Spät wie die Alte Fastnacht bin ich dazu gekommen, den Artikel „Lauter Vorzeigekinder“ von Miklos Gimes im Magazin Nr. 43 vom 2. November zu lesen. Es geht um die Lektüre von Pamela Druckermans Bestseller „French Children Don’t Throw Food“, die anhand der Kindererziehung in der Französischen oberen Mittelklasse dem Rest der Welt aufzeigen möchte, wie „es“ richtig geht.

„Es“ – die perfekte Erziehung. Hier versteht man darunter perfekt dressierte Vierjährige, die eine Abend im Restaurant ohne einzigen Ausrutscher durchstehen können. Herr Gimes seinerseits schielt mit Neid und Bewunderung auf die Eltern, die das hinbekommen haben. Ihren Kindern einen „Rahmen“ setzten (so nennt man das heute, nicht mehr Grenze!), sie als erstes, gleich bei Verlassen der Fruchtblase, mit freundlichem „attends“ („wart schnell“) daran gewöhnt, dass die Interessen der Eltern immer und in jedem Fall über den Interessen des Kindes stehen.

Nun, über Erziehungsziele kann man hervorragend streiten. Mein Erziehungsziel ist es, in 17 Jahren einen gesunden, selbständig denkenden jungen Menschen ins Leben entlassen zu können, der frei in dem Sinne ist, dass er seine Entscheidungen nicht vom Wohlwollen Anderer abhängig machen muss, sondern seinen eigenen Weg gehen kann.

Andere Eltern wünschen sich Kinder, die mit sieben wissen, welches Besteck bei welchem Gang das Richtige ist, die nicht mit Essen rumschmieren keine haptischen Experimente mit verschiedenen Texturen und Konsistenzen durchführen und auch nicht anhand empirischer Flugbahnstudien das Gravitationsverhalten von Kartoffelstock herzuleiten versuchen.

Ich für meinen Teil kann gut auf diese tausendmillionste Methode verzichten, die uns Müttern einmal mehr unsere Unzulänglichkeit unter die Nase reiben möchte. Lieber mache ich mir noch einen Capuccino, lege die Füsse hoch und höre mit einem Ohr zu, wie mein Kurzer Lego und Holzeisenbahn, Autokiste und Bauernhoftiere fröhlich durcheinander schmeisst und dazu Kinderlieder und ein paar Songs von Johnny Clegg und Savuka durcheinander trällert. Ein Bisschen mehr Gelassenheit und Vertrauen in die Tatsache, dass Menschen von Haus aus soziale Wesen sind, die sich von sich aus in ihre Gemeinschaft integrieren und alles richtig machen möchten und alles kommt gut!

„Eltern müssen sich fragen: Was wollen wir erreichen? Was ist unser Ziel? Wie soll dieser Mensch sein, wenn er 20 Jahre alt ist? Und dann kommt es plötzlich nicht mehr darauf an, ob ein dreijähriges Kind seinen Spinat isst oder um Punkt sechs ins Bett geht.“ (Jesper Juul)

P.S. Es gab übrigens auch in der französischen Blogosphäre und bei den französischen AP-Elternforen und Gruppen viele kritische oder ironische Stimmen über Druckermans Buch. Offenbar gibt es auch in Frankreich Kinder, die nerven oder mit Essen um sich werfen.

Update vom 23.6.2016

Unterdessen hat Danielle bei „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn“ einen Artikel über das Buch und die Erziehung in Frankreich geschrieben, den ich selbst schon lange gerne selber geschrieben hätte. Ich kann aus meinen Erfahrungen in Frankreich und der französischen Schweiz praktisch jedes Wort davon unterschreiben: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind.