Am 18. Februar 2013 wurde die Neuseeländische Studie „Childhood and Adolescent Television Viewing and Antisocial Behavior in Early Adulthood“ in der US-amerikanischen Zeitschrift Paediatrics veröffentlicht. Es handelt sich um eine Langzeituntersuchung zu exzessivem Fernsehkonsum in der Kindheit und antisozialem Verhalten im jungen Erwachsenenalter. Dazu wurden 1037 zwischen 1972 und 1973 geborene Menschen in regelmässigen Abständen zu ihrem Fernsehkonsum interviewt.  Besonderes Augenmerk richteten die Forscher/innen auf die täglichen Fernsehstunden zwischen 5 und 15 Jahren, die verglichen wurden mit kriminellen Handlungen, gewalttätigen Handlungen und Überzeugungen, der Diagnose von antisozialen Persönlichkeitsstörungen und aggressiven Persönlichkeitszügen mit 26 Jahren.

Die Regressionsanalse (ein statistisches Verfahren, mit dessen Hilfe man Beziehungen zwischen einer abhängigen Variable und ein oder mehreren unabhängigen Variablen untersuchen kann) ergab, dass je regelmässiger Kinder TV konsumierten bzw. je mehr Stunden täglich sie vor dem TV-Gerät sassen, desto wahrscheinlicher legte die Person als junge Erwachsene ein antisoziales Verhalten an den Tag (im Vergleich zu Personen derselben Gruppe mit weniger TV-Konsum).

Aber auch bei den Kindern, die über 3 Stunden täglich fern sahen waren es „nur“ 16%, die überhaupt zu sog. antisozialen Persönlichkeiten wurden. Dabei wurden andere Variablen, mit denen es ebenfalls einen Zusammenhang geben könnte, herausgerechnet. Das wären insbesondere Geschlecht, IQ, sozioökonomischer Status und eine bereits im Vorfeld bestehende antisoziale Verhaltensweise oder Persönlichkeitsstörung.

Am stärksten war der statistische Zusammenhang bei Kindern, die ab 5 Jahren über 3 Stunden täglich vor der Glotze sassen. Nicht untersucht wurde – und dieser Punkt wäre meines Erachtens durchaus auch interessant – der Inhalt der gesehenen Sendungen.

Die grundlegende Schlussfolgerung ist jedoch klar: Unabhängig vom Inhalt kann tägliches Fernsehen über mehrere Stunden ab Kindesalter zu antisozialen Verhaltensweisen im Erwachsenenalter führen. Aus diesem Grund formulieren die Forscher/innen die Empfehlung, Kinder zwischen 5 und 15 nicht mehr als 1-2 Stunden täglich TV schauen zu lassen.

Laut den Forscher/innen würde das antisoziale Verhalten nicht durch das Programm verursacht, sondern dadurch, dass das TV-Schauen an die Stelle von sozialen Interaktionen – beispielsweise beim Draussenspielen mit Freund/innen – träte und damit die sozialen Interaktionen nicht eingeübt werden können. Das tönt für mich plausibel!

Viel spannender als die Forschungsergebnisse – die sich ja +/- mit dem gesunden Menschenverstand decken – ist einmal mehr die Rezeption durch die (nicht Fach-) Presse, die „Skandal“ schreit und damit entweder auf die Eltern zielt, die ihre Kinder überhaupt Fernsehen lassen oder auf die bösen Forscher, die Eltern vorschreiben wollten, wie sie ihre Kinder zu erziehen hätten.

Deshalb empfehle ich allen: Lest selber nach, was da untersucht wurde, wie es untersucht wurde und was genau herausgefunden wurde – und bildet Euch eine eigene Meinung!

Denn schnell entstehen komische Aussagen. So unterstellt beispielsweise der Blog von Wir Eltern, die neuseeländischen Forscher/innen hätten behauptet, Fernsehen mache unsere Kinder kriminell und widerlegt dies argumentativ. Nur haben Lindsay A. Robertson, Helena M. McAnally and Robert J. Hancox nirgends eine derart absurde Aussage gemacht. Und so verkommt die Diskussion, die hätte interessant sein können, zum argumentativen Schattenboxen um erfundene Behauptungen.

Schade, denn die Frage „wieviel TV Konsum liegt noch drin und wieviel ist zuviel“ hätte durchaus Aufmerksamkeit verdient und die Sache mit der Vereinsamung vor der Flimmerkiste/Playstation/Computer und dem Mangel an Gelegenheiten, um soziales Verhalten „in freier Wildbahn“ zu lernen und zu üben, ebenfalls.

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