Im Mai 2013 wurde von einem Forscherteam rund um Robert Carpenter der London School of Hygiene & Tropical Medicine eine Studie veröffentlicht, die Familienbett-Eltern weltweit aufschreckte. In Bed sharing when parents do not smoke: is there a risk of SIDS? haben die Forscherinnen und Forscher fünf grosse Vergleichsstudien statistisch analysiert um herauszufinden, ob das Schlafen im Elternbett für einen Säugling ein erhöhtes Risiko darstellt, an plötzlichem Kindstod (SIDS, sudden infant death syndrome) zu sterben.

Die Antwort auf die Ausgangsfrage ist auf den ersten Blick erschreckend: Die Wahrscheinlichkeit im Elternbett an SIDS zu sterben sei drei mal höher, als wenn der Säugling alleine in seinem Bettchen schlafen würde, betonen die Forschenden im Forschungsbericht.

Und prompt verbreiteten deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften die dramatische Neuigkeit: „Gefahr im Elternbett“ (Süddeutsche Zeitung) oder „Plötzlicher Kindstod – Das Risiko im Elternbett“ (Spiegel Online) sprangen einem die Titel ins Auge. Völlig unkritisch übernahmen dabei die Journalisten die Zusammenfassung („abstract“) des Forschungsberichtes.

In der Folge fragen sich Eltern weltweit: Bringe ich mein Kind um, wenn ich es bei mir schlafen lasse?

Kurz und bündig geantwortet: Nein. Unter Beachtung der normalen Sicherheitsregeln, ist das Familienbett nicht gefährlicher als das eigene Bett.

Aber schauen wir uns die Details an.

Was wurde genau untersucht?

Die Forschenden kombinierten die Einzeldaten von fünf grossen europäischen Fallstudien über SIDS. Dabei wurden wurden nur Säuglinge unter einem Jahr berücksichtigt.

Mit den Fallstudien hatten die Forschenden 1472 Datensätze von Kindern, die an SIDS verstorben waren. Diese verglichen sie mit 4679 Kindern mit demselben Geburtsalter (das Auswahlverfahren ist online einsehbar), einer, wie die Forschenden sagen, „genügend hohen Anzahl Vergleichskinder“.

Folgende Risikofaktoren wurden analysiert (zitiert nach Bed sharing when parents do not smoke, Tabelle 1, eigene Übersetzung):

  • gemeinsames Schlafen mit den Eltern / der Mutter in einem Bett
  • Schlafen im selben Zimmer / in einem anderen Zimmer als die Mutter / die Eltern
  • Ernährung (Stillen oder Flasche)
  • Lagerung (Rücken, Seite, Bauchlage)
  • Rauchen (ein / beide / kein Elternteil raucht)
  • Alkoholkonsum (Mutter konsumierte in den 24 Stunden vor dem Tod bzw. dem Interview Alkohol)
  • konsum illegaler Drogen (Heroin, Haschisch o.ä. in den 24 Stunden vor dem Tod bzw. dem Interview)
  • Geschlecht des Säuglings
  • Rasse (weiss / farbig)
  • Geburtsgewicht (nach Gruppen)
  • Alter der Mutter
  • Anzahl lebender älterer Geschwistern

Einige dieser Punkte machten keinen Unterschied, können nicht beeinflusst werden, oder es gab zu wenige Daten, deshalb wurden sie herausgerechnet: Lagerung, Rasse, Geburtsgewicht, Alter der Mutter und Anzahl lebender Geschwister.

Mit den restlichen Faktoren berechneten die Forschenden das Kreuzproduktverhältnis mit der Frage, ob das Baby im Elternbett, im eigenen Bett im Elternschlafzimmer oder im eigenen Bett im eigenen Zimmer gestorben ist. Auf diese Weise werden die Risikofaktoren rechnerisch untereinander und miteinander verglichen (zitiert nach Bed sharing when parents do not smoke, Tabelle 4, eigene Übersetzung):

Risikofaktoren

Im Elternzimmer aber eigenes BettIm Elternbett

Gruppe Nr.

Ernährung

Rauchen

Alkohol

„Minimalrisiko“StillenNeinNein0.08‰0.23‰
1FlascheNeinNein0.13‰0.34‰
2StillenPartnerNein0.09‰0.52‰
3StillenMutterNein0.13‰1.27‰
4StillenBeideNein0.24‰1.88‰
5FlascheBeideJa1.77‰27.5‰

Nach diesen Berechnungen besteht kleinste Risiko, dass das Kind an SIDS stirbt, wenn es gestillt wird, seine Eltern nicht rauchen, kein Alkohol getrunken wird und das Kind im eigenen Bett im Elternschlafzimmer schläft. Am höchsten ist das Risiko laut den Forschenden bei rauchenden Eltern, die getrunken haben und ihr Flaschenkind mit ins Elternbett nehmen.

Auf den ersten Blick sieht es also tatsächlich so aus, als ob das Schlafen im Elternbett eine grosse Gefahr für den Säugling darstellen würde.

Das grosse „ABER“ sehe ich in den verwendeten Definitionen einerseits und in den Faktoren, die nicht untersucht worden sind, andererseits.

Bereits die Definition für das Schlafen im Elternbett („bed sharing“) selber wirft Fragen auf: Das Kind lag zum Zeitpunkt seines Todes „auf der gleichen Oberfläche, wie die Mutter“ (ausgenommen Sofa oder Sessel). Wir erhalten keine Informationen darüber, ob das Kind sich nur ausnahmsweise dort befand oder ob die Eltern das Familienbett dauerhaft praktizierten.
Unklar ist auch, wo im Elternbett das Kind schlief, ob am Rand oder in der Mitte. Auch die Frage, ob die heute oft verwendeten Anbaubetten und Beistellbetten als „Schlafen im Elternbett“ oder als „Schlafen im eigenen Bett im Elternschlafzimmer“ behandelt wurden, wird nirgendwo beantwortet.
Im gleichen Zusammenhang fehlen Informationen über andere bekannte Risikofaktoren in der Schlafumgebung, die unumstritten sind: Decken, Federbetten, Kissen, Still- oder Langerungskissen, andere Gegenstände im Bett, weiche Unterlage, Geschwisterkinder im gleichen Bett. All diese wichtigen Faktoren wurden in der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt. Sie wären aber wichtig, weil schon 2006 Fleming, Blair und McKenna in ihrem Artikel „New knowledge, new insights and new recommendations. Scientific controversy and media hype in unexpected infant deaths“ darauf hinwiesen, dass über 90% aller Todesfälle im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Schlafen von Eltern und Kind durch eine unsichere Schlafumgebung verursacht waren. Trotzdem wird die Schlafumgebung in der vorliegenden Studie mit keinem Wort erwähnt!

Obwohl die genauen Gründe dafür noch ungenügend erforscht sind, senkt das Stillen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Säugling an SIDS stirbt. In der vorliegenden Studie wird jedoch nicht unterschieden, ob ein Säugling voll- oder teilgestillt wird, „hauptsächlich gestillt“ oder „nur teilweise gestillt“. In der Gruppe „gestillte Kinder“ werden alle zusammengefasst. Unklar ist auch, in welcher Gruppe sich Kinder, die zwar mit Muttermilch ernährt, aber nicht gestillt werden, befinden.

Ein anderer wichtiger Faktor, der fehlt, ist die gesundheitliche Vorgeschichte des Kindes. Nur das Geburtsgewicht wurde heraus gerechnet, nicht aber andere gesundheitliche Risikofaktoren, wie beispielsweise Frühgeburtlichkeit (wobei diese mit dem Gewicht korreliert), Neugeborenen-Atemnotsyndrom, gastrooesophageale Refluxkrankheit oder ein vorhergehendes ALTE. Und war das Kind zum Zeitpunkt des Todes gesund oder war es erkältet, hatte Fieber, einen Infekt der Atemwege…? Hatte es Herzprobleme, Fehlbildungen, Geburtsgebrechen? Gab es Anzeichen für Vernachlässigung oder Misshandlung?

Die Studie lässt für meinen Geschmack zu viele Fragen offen, um daraus eine allgemeine Warnung vor dem Familienbett formulieren zu können!

Solange die Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie zur Reduktion des Risikos für Plötzlichen Kindstod eingehalten und bezüglich Schlafumgebung der Gesunde Menschenverstand benutzt wird, sehe ich absolut keinen Anlass, auf all die positiven Aspekte des Familienbettes zu verzichten.

Bei Kindern mit erhöhtem SIDS-Risiko würde ich in der ersten Zeit auf das Schlafen im gleichen Bett verzichten und das Kind lieber in einem Beistellbett oder Anbaubettchen direkt neben meinem Bett schlafen lassen.

Leider gibt es keine Garantie gegen den plötzlichen Kindstod. Auch unter Berücksichtigung aller Präventions- und Sicherheitsmassnahmen kann ein Baby ohne bekannten Grund einfach sterben. Meine Gedanken und Gebete sind bei den Eltern und Geschwister dieser Kinder.

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