Dieser Artikel ist Teil der 2. Blogger Thementage zum Thema „Gemeinsam stark“. 

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Zum Thema Kommunikation wollte ich etwas beitragen. Aber eigentlich kann ja gar nicht aus erster Hand mitreden: Ich bin ja nicht behindert und mein Kind soweit man das abschätzen kann, auch nicht. Wie die meisten Menschen habe ich – soweit ich weiss! – äussert selten Kontakt zu Behinderten.

Wie ich also so über das Thema Behinderung und Kommunikation nachdenke, kommen mir verschiedene Personen, Begegnungen und Erlebnisse in den Sinn. Selber Erlebtes und Gehörtes. Meine Gedanken schweiften in die eine und in die andere Richtung, aber ich konnte mich nicht auf ein Thema festlegen.

All die Erlebnisse und Begegnungen, die mir in den Sinn kommen, haben nur eine Gemeinsamkeit: Die Sprachlosigkeit, nicht wissen was sagen oder sich nicht mehr rechtfertigen wollen.

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Wie kommuniziert man mit Behinderten?

Nicht anders, als mit anderen Menschen nehme ich mal an. Eigentlich müsste das doch so sein. Im Internet ist es einfach zu sagen „so und so, dann passt das schon“, aber im richtigen Leben ist es viel schwerer. Man will schliesslich nichts falsch machen, niemanden beleidigen, niemanden verletzen, und sagt am Ende aus den richtigen Gründen das Falsche. Oder fast noch schlimmer: Man sagt gar nichts, sondern dreht sich weg, tut als hätte man den anderen Menschen nicht gesehen, frei nach dem Motto „wenn ich dich nicht sehen kann, kannst Du mich auch nicht sehen“.

So ging es auch mir, als Kurzer im Bahnhof Bern beim Treffpunkt laut brüllte:

“Schau mal Mama, ein Mann mit Rädern, ich will auch Räder haben!“

Was sagt man in so einem Moment? Zum Kind, zu dem Mann? Mir hat es einfach die Sprache verschlagen, ich habe den grinsenden Herrn im Rollstuhl ebenfalls angegrinst und Kurzem vor Verlegenheit stammelnd erklärt, er solle bitte nicht so laut rumbrüllen.

Ich denke, mit Behinderten zu kommunizieren ist an Ende auch nicht schwieriger als mit anderen Menschen. Aber dazu muss man sich natürlich erst mal durchringen, den Menschen zu sehen statt seiner Behinderung.

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Wie kommuniziert man Behinderung?

Damit meine ich jetzt nicht, wie man einem Kind erklärt, was Behinderung sei. Dazu hat Raul Krauthausen hier schon alles gesagt, was es zu sagen gibt.

Ein Rollstuhl, Blindenstock, Begleithund oder sonstiges Hilfsmittel sind sichtbar, und sie lassen auf die entsprechende Behinderung schliessen auch ohne dass die behinderte Person oder ihre Begleitung extra darauf hinweisen müsste.

Aber was ist mit unsichtbaren Behinderungen?

Neulich sprach ich mit der Mutter eines Mädchens mit Asperger-Autismus. Bis auf einige Ausraster und Meltdowns macht das Kind einen völlig normalen Eindruck. Ihre Eltern und sie selber haben gelernt, mit der Behinderung umzugehen und wann immer möglich die Meltdowns zu umschiffen. Es gibt jedoch Momente, da kreischt die Tochter los, manchmal aus heiterem Himmel, manchmal aus einem für uns nichtigen Anlass, der höchsten noch die Augenbraue eines Dreijährigen zucken lassen würde.

Wie kommuniziert man die Behinderung in einem potenziell feindlichen Umfeld? Den unbeteiligten Zuschauern, deren Uninformiertheit sie weder davon abhält, sich eine (negative) Meinung über die Erziehungsfähigkeiten der Mutter zu bilden noch diese kundzutun?

„Manchmal wünschte ich, meine Tochter sässe im Rollstuhl. Das ist furchtbar.“

Das ist es. Das Furchtbarste daran ist, in einem Umfeld leben zu müssen, wo eine Mutter die Behinderung ihrer Tochter wieder und wieder erklären muss und trotzdem auf kein Verständnis stösst, weder für ihre Tochter noch für sich selber.

Besagte Mutter hat aufgehört darüber zu reden. Wenn ihre zwölfjährige Tochter ein Verhalten an den Tag legt, das dem klassischen Trotzanfall eines Dreijährigen ähnlich sieht, dann ist das halt so. Sie mag nicht mehr erklären. Jeder Versuch führte zu noch mehr Erklärungen, Fragen, direkten und indirekten Vorwürfen und Kritik an ihren Fähigkeiten als Mutter, als Pädagogin, als Mensch.

Nicht mehr reden mögen.
Nicht mehr erklären mögen.
Auch das ist Kommunikation.

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Die Tochter einer andere Bekannten hat bei der viel zu frühen Geburt einen irreversiblen Gehirnschaden erlitten. Während andere Mütter mit so kleinen Babys sich freudig über jeden Pups unterhalten, dreht sie sich mit Tränen in den Augen weg.
Von einem Tag auf den anderen befand sie sich auf einem anderen Planeten. Oder in Holland.
Was soll sie schon sagen?
Was sollen die anderen ihr schon sagen?
Von einem Tag auf den anderen steht da eine Mauer und macht die Menschen auf beiden Seiten sprachlos.

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Die Sprachlosigkeit fängt aber schon früher an:

„Immer wieder fuhr der Arzt mit dem 
Ultraschallkopf über die gleiche Stelle an ihrem Bauch. Er schwieg […]“

So berichtete Stefanie Steiner der Zeitschrift „Der Beobachter“. Hier war der Arzt sprachlos. Wie erklärt ein fühlender Mensch den sich hoffnungsvoll freuenden Eltern eines werdenden Kindes, dass es schwerst behindert sein, den sicheren Tod oder aber zahlreiche schwere Operationen vor sich haben wird?

Die Eltern des kleinen Nael verharrten nicht in Sprachlosigkeit, sondern kommunizieren offensiv. Sie gründeten die Gruppe „Lebenssturm“ für Eltern von kranken und behinderten Kindern zur gegenseitigen Unterstützung. Denn oft ist es schwierig oder unmöglich mit Menschen zu reden, die nicht denselben Weg gegangen sind. Also ob man eine andere Sprache spräche.

Seit Kurzem setzt sich auch der vom Ehepaar Steiner gegründete Verein Fontanherzen Schweiz bei Behörden, IV und Krankenkassen für Kinder mit Fontanherz und ihre Familien ein, und informiert über diesen Herzfehler und seine Folgen. So bieten sie betroffenen Familien eine Ansprechstelle, die die Kommunikation nach Aussen vereinfacht.

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Und da war da noch die junge Frau mit Trichotillomanie, die sich so sehr für ihre Krankheit – und was sie aus ihr macht – schämte, dass sie lieber Freunde verlor, als arrogant und eigen galt, als darüber zu reden. Scham, aber auch (berechtigte) Angst vor den Reaktionen der Anderen auf ihre Krankheit, Angst davor, den Respekt der Freunde zu verlieren, wie sie zuvor den Respekt vor sich selber verloren hatte.

Was wiegt schwerer? Die Sprachlosigkeit, der Rückzug und die freiwillige Selbstbeschränkung oder der Respekt, die Würde und der Stolz?

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Mehr Offenheit in der Kommunikation wäre zwar schön. Aber noch viel mehr braucht es Menschen, die zuhören ohne zu werten, annehmen ohne RatSCHLĀžGE zu erteilen, und aufhören, Menschen mit Behinderung oder ihre Pflegepersonen im Alltag zu behindern.