Das „damals-war-die-Welt-noch-in-Ordnung“-Gefühl, mit dem wir uns als Erwachsene manchmal an unsere eigene, „glückliche“ Kindheit zurück erinnern; Das, nach dem wir uns machmal zurück sehnen, es lässt sich in einem einzigen Wort zusammenfassen: Geborgenheit.

Julia Dibbern, die Autorin von „Geborgene Babys“ (Werbelink) und ehemals selbständige Verlegerin (Anahita-Verlag) und Mit-Initiatorin des „Artgerecht-Projekt“, hat ein neues Buch verfasst. „Geborgenheit. Wie Kinder sie spüren und Eltern sie geben können“ ist in der Reihe Beltz Nikolo erschienen, in der unter dem Titel „Mit Bilderbüchern die Welt entdecken“ Lehrmaterialien für Kitas und Kindergärten erscheinen.

Das Bilderbuch „Oh, wie schön ist Panama“ von Janosch (Werbelink) ist dann auch der rote Faden, der sich durch das 115 Seite dünne Büchlein zieht.

Inhalt

Nach einer Einführung beschreibt Dibbern im Kapitel „Was Geborgenheit ausmacht“ die biochemischen und biologischen Hintergründe von Geborgenheit und erklärt, wie Urvertrauen entsteht.

Danach lässt sie im Kapitel „Geborgenheit, das ist wenn… Gespräche mit Kindern“ die Kinder gleich selber zu Wort kommen.

In „Geborgenheit geben“ geht die Autorin auf vier verschiedene „Methoden“ ein, wie man als Eltern oder Bezugsperson den anvertrauten Kindern Geborgenheit vermitteln – oder es wenigstens versuchen – kann.

Im Kapitel „Geborgen in Büchern“ schlussendlich schreibt sie über das Philosophieren mit Kindern, wie das Vorlesen oder gemeinsame Lesen Rituale stiften kann (die ihrerseits Geborgenheit vermitteln) und wie Geschichten/Bücher als Basis für ein Gespräch über Gefühle oder Verhaltensweisen dienen können.

Die Grundlagen von Urvertrauen und Geborgenheit und wie man sie dem Kind vermitteln kann

Ich öffnete das Buch in der Hoffnung, dass es sich um eine Fortsetzung des ersten Buches der Autorin handelte. „Geborgene Babys“ war für mich einer der wichtigsten Babyratgeber, Mut machend, aufbauend, praxisorientiert.

Vielleicht waren meine Erwartungen also zu hoch gesteckt? Vielleicht hatte ich zu viel Hoffnungen auf ein schnelles Allerweltsrezept gesetzt, mit dem ich all unsere aktuellen Probleme ausschalten könnte? Oder hatte ich den Klappentext nicht richtig gelesen?

Also erstens ist das Buch Teil eines Gesamtpaketes zum Thema „Geborgenheit“, das sich nicht nur an Eltern, sondern auch an Erziehungspersonen in Kitas und Kindergärten richtet.

Beim ersten Mal habe ich es mit dem „Kinderblick“. Der Überblick über Geborgenheit, die verschiedenen Emotionen, Sicherheitsempfinden, aber auch Stress und Unsicherheit habe ich intensiv studiert und dabei darüber nachgedacht, wie dieses oder jenes sich für mich angefühlt hatte, als ich selber ein Kind war. Da hatte ich tatsächlich während des Lesens auch mal feuchte Augen und sehnte mich nach dem verlorenen Paradies.

Da ich nach dem ersten Durchlauf ein nicht erfassbares, eigenartiges Gefühl hatte – ohne es jedoch benennen zu können – habe ich das Buch einige Wochen später ein zweites Mal gelesen, diesmal mit dem „Eltern-Blick“. Was kann ich als Mutter daraus lernen, habe ich mich gefragt. Was kann ich konkret tun, um meinem Kind ein gutes Urvertrauen, das Gefühl zu vermitteln, dass es in dieser Welt, in dieser Familie, in Sicherheit ist?

Und da hat sich mir beim Lesen streckenweise die blanke Wut eingestellt. Denn wenn man den Text so liest, kommt man zum Schluss, dass bei uns schon bei der Geburt alles falsch gelaufen wäre. Futsch, aus, nix mehr zu korrigieren, Urvertrauen im Eimer, die Fähigkeit, überhaupt Geborgenheit fühlen zu können, auf Ewig zerstört. Und Schuld bin natürlich ich als Mutter, weil ich es nicht geschafft habe, Stress von meinem Uterus und seinem Inhalt fernzuhalten.

So könnte man es lesen.

Nicht jedes Kind, dessen Grundbedürfnisse zu kurz kamen, erwartet zwangsläufig eine Zukunft als unglücklicher Erwachsener“, schreibt Dibbern auf Seite 30. Immerhin.

Auch wenn ich ganz sicher bin, dass Julia Dibbern es nicht so gemeint hat: Sie schafft es leider nicht ganz, die Verantwortung (und somit Schuld) für teilweise unkontrollierbare Umweltfaktoren von den Eltern, den Müttern, wegzunehmen.

Bitte liebe Julia, versuche das in der nächsten Auflage noch zu verfeinern.

Nun aber genug der Kritik

Der Autorin ist nämlich insgesamt eine gut verständliche Übersicht auf dem aktuellen Stand der Forschung zum Thema Geborgenheit gelungen. Zur Vertiefung bietet sie am Ende des Buches weiterführende Literaturangaben an.

Am besten gefiel mir persönlich das Kapitel „Geborgenheit, das ist wenn…“, wo die Kinder selber zu Wort kommen. Das fand ich – mit meinem Vorwissen – spannender und lehrreicher als das Einführungskapitel. Denn es ist wahr, wir handelt meistens aus Elternsicht und viel zu selten fragen wir unser Kind direkt: „Wann ist Dir heimelig? Was braucht es, damit Du entspannt sein und Dich sicher fühlen kannst?“

Kinder haben eine andere Perspektive, als wir Erwachsenen. Wir machen uns Ideen, antizipieren, und interpretieren auf der Grundlage unserer eigenen Erfahrungen. Aber auch sehr junge Kinder haben bereits eigene Erfahrungen und die sind unabhängig von unseren eigenen Āžngsten, die sehr oft unsere Entscheidungen als Erwachsene beeinflussen. Danke deshalb für dieses Kapitel!

Auch den Abschnitt Geborgen in Büchern finde ich sehr gelungen, praxisnah und gerne hätte ich hier mehr gelesen als die knappen 13 Seiten.

Mit Vorlesen kann man den Tag strukturieren, oder man kann Nähe und Geborgenheit dort finden, wo wegen Konflikten andere Worte fehlen.

Ein vorgelesenes Buch, eine erzählte Geschichte, kann als Brücke für ein Gespräch über Gefühle oder Ereignisse dienen oder als Grundlage für ein philosophisches Gespräch.

Und nicht zuletzt lernen Kind mithilfe von Geschichten und Büchern: Ohne es zu merken erweitern sie ihren Wortschaft und ihr Wissen ganz automatisch.

Dieser Teil wäre eigentlich fast ein eigenes Buch wert! Hoffentlich erweitert ihn die Autorin in der zweiten Auflage!

Fazit

„Geborgenheit“ ist auf jeden Fall ein lesenswertes Buch. Mehr als einen flüchtigen Überblick über das Thema vermittelt es zwar nicht – diesen dafür in einer gut verständlichen und emotional nachvollziehbaren Art und Weise. Neue Aspekte sind die Perspektive der Kinder sowie die Idee, mit Bücher und Geschichten dort Geborgenheit zu vermitteln, wo andere Worte aus Gründen nicht ausreichen.

Als Mutter, als Elternteil, darf man beim Lesen nie vergessen, dass das Buch auch andere Erziehungspersonen anspricht: Kita-EPs und Kindergarten-LPs. Es besteht die Gefahr, dass man mit dem Appell-Ohr liest und sich kritisiert fühlt und es ist hilfreich, wenn man versucht, es beim Lesen auszuschalten.

Ich freue mich bereits jetzt auf weitere Schriften aus der Reihe „Grosse Gefühle“ von Beltz Nikolo.

Julia Dibbern: „Geborgenheit. Wie Kinder sie spüren und Eltern sie geben können“
Julia Dibbern: „Geborgenheit. Wie Kinder sie spüren und Eltern sie geben können“

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Klappentext: „Ob ein Mensch beherzt oder verzagt durchs Leben geht, hängt von der Geborgenheit ab, die er als Kind erfährt. Dieses Buch zeigt, wie Kinder sie spüren und Eltern sie geben können.
Erste Weichenstellungen: Wie Urvertrauen entsteht und was im Gehirn passiert.
Starke Bindung: Nähe schenken und Gefühle anerkennen.
Intuition und Aufmerksamkeit: Dem eigenen Blick vertrauen.
Bilderbücher als Brücke: Eine gemeinsame Sprache finden.
Gespräche mit Kindern: Wie sie fühlen.
In den grossen Gefühlen liegt der Schlüssel zu den inneren Welten der Kinder.“

„Geborgenheit. Wie Kinder sie spüren und Eltern sie geben können.“
Julia Dibbern
Beltz Verlag, Weinheim und Basel, 2014
ISBN 879-3-407-72712-1
Preis CHF 18.60 / Eur 12.95 / Eur 30.40

Julia Dibbern: Geborgenheit
Julia Dibbern: Geborgenheit

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