Dieser Gastbeitrag gehört zum Schwerpunktthema Stress, Burnout und Depression.

Kati lebt in einer Stadt in Hessen, ist 44 Jahre alt, und hat sechs Kinder. Das hier ist ihre Geschichte:

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Ich wollte immer viele Kinder haben – vier bis sechs war mein Ziel, von Anfang an. Und ganz früh, damit ich noch jung bin, wenn die gross sind. Das da ein Denkfehler war, habe ich nicht kapiert.

Ich habe auch nicht mitbekommen, dass Kinder heute anders gross werden als in meiner Kindheit, den 80er Jahren, wo in den Grossfamilien mit Bauernhof oder Gärtnerei jeder mitgeholfen hat. Familienbetriebe. Irgendwie habe ich gedacht, dass die Kinder von selber mithelfen, dass sie Familie als ein grosses System begreifen, das zusammenhält und sich als ein Ganzes versteht. Ich habe nicht realisiert, dass heutzutage nur noch Kleinfamilien existieren mit einem, maximal zwei Kindern. Und vor allem habe ich nicht weiter gedacht, z.B. daran, dass Eltern mit einem Kind mit ihm spielen, es verwöhnen und es alles bekommt, was es möchte und Zuwendung ohne Ende. Und dass das bedeutet, dass meine Grossfamilienkinder sich in unserer Gesellschaft immer benachteiligt fühlen.

Als mir das klar wurde, habe ich noch mehr als zuvor versucht ihr Leben so zu gestalten, dass sie es als Gewinn empfinden, Familie zu haben und nicht als Nachteil. Ich war alleinerziehend mit vier Kindern und habe versucht, genauso für jedes Kind da zu sein wie wenn es das einzige wäre. Ich habe viele Werte und Ideale, keine städtischen Schulen oder Kindergärten, veganes Vollwertessen immer selbst zubereitet, alles frisch, lange stillen, die Kinder nur tragen, finanziell selbstständig zu sein, Bildung, Sport und Musik für die Kinder immer ein blitzend sauberes Haus und vieles mehr. Nirgendwo kann ich als Perfektionistin ein Stückchen zurück, alles muss so sein, wie ich es mir vorstelle.

Ich habe schon mit 21 das erste Kind bekommen, während dem Abi, das ich auf zweitem Bildungsweg gemacht habe. Nachts war ich putzen, um die Miete bezahlen zu können, mit dem Kind auf dem Rücken. Beim zweiten Kind begann ich mein Studium und habe weiterhin geputzt um Geld zu verdienen neben Praktika und dem Lernen. Während der Diplomarbeit kam Kind Nummer drei.

Zwischendurch stand ich so unter Druck, dass ich nachts ins Bett gemacht habe, weil ich den Stress nicht mehr kompensieren konnte. Alle meine sechs Kinder kamen bis zum Ende des dritten Lebensjahres stündlich, auch nachts zum Stillen. Ich habe Kindergärten gewählt, in denen die Betreuungszeit bewusst nur bis zum frühen Nachmittag ging, ich habe Schulen und Kindergärten gewählt, in denen die Elternmitarbeit am oberen Limit rangierte. Teilweise kam sie einer Vollzeitstelle gleich. Mir fällt es schwer mich abzugrenzen, zu sagen, dass ich etwas NICHT mache, wenn mich jemand bittet, oder wenn überhaupt jemand eine Gemeinschaft um etwas bittet, nicht HIER zu schreien.

Nachdem ich dann mit Ende Dreissig noch zwei Kinder nacheinander bekommen habe, eine Patchworkfamilie mit zwei weiteren Kindern gegründet und ein Haus gekauft habe, das komplett renovierungsbedürftig ist, habe ich die Kontrolle über alles verloren. Ich hatte keine Zeit mehr für Kontakt zu Freundinnen und habe nur noch gearbeitet und bin seit dem nur noch müde Tag und Nacht.

Ich arbeite zwar nicht mehr ausser Haus, habe den Garten abgegeben der mehrere Hektar gross war aber dafür habe ich auch kein Geld mehr. Ich fange morgens um fünf Uhr an, mich um Kinder und Haus zu kümmern und mein Arbeitstag endet so um 22 Uhr, wenn ich Glück habe. In der Zeit mache ich nichts mehr, was mich befriedigt, was mir Spass macht, ich funktioniere wie eine Marionette.

Angefangen hat es damit, dass mein Sohn in der Pubertät mir die Schuld daran gab, dass er sein Leben nicht lebenswert findet, dass ich mich nicht gekümmert hätte etc. Er zog mit 17 Jahren in eine Wohngruppe und ich verstand die Welt nicht mehr. Ich habe nie Dankbarkeit von meinen Kindern erwartet. Mir ist klar, dass ich mich selber als sinnvoll empfinden muss, was mir auch lange gut gelang, aber das war das Gegenteil von Dankbarkeit und das von DEM Kind, das mich am meisten Kraft, Energie und Arbeit gekostet hatte und für das ich häufig die anderen zurückgestellt hatte.

Seit dem Punkt empfinde ich meine Arbeit als Hausfrau und Mutter als sinnfrei, fühle mich als Versagerin, als eine, die ihr Leben nicht hinbekommen hat und ihre Ziele – eine gute Mutter zu sein – nicht erreicht hat. Ich bin überfordert, fühle mich hilflos und weiss nicht mehr, wofür ich das ganze mache. Aber ich funktioniere weiter, putze und koche täglich stundenlang und kümmere mich um die gesamte Organisation der Grossfamilie alleine.

Schon lange diagnostiziert mir jeder Psychologe ein Burnout, aber ich sehe keinen Weg heraus. Dieses Projekt läuft nur mit mir und ich reisse mich zusammen und funktioniere einfach weiter mit der Hoffnung durchzuhalten, bis die Kinder grösser sind. Ich wünsche mir Ruhe, eine Freundin zum reden und einfach Spass haben, oder einfach einen Sinn im Leben. Ich habe nie in meinem Beruf gearbeitet. Kurz nach dem Studium hatte ich sehr schnell sechs Kinder zu versorgen ohne Betreuung und da war kein Raum zum arbeiten. Jetzt könnte ich Raum schaffen, aber ich traue mir nicht mehr zu zu arbeiten und sicher nicht in meinem Beruf. Ich habe Angst vor dem Draussen, beginne jeden Tag mit Mutlosigkeit und dem Gefühl der Sinnlosigkeit. Ich bin eigentlich Frühaufsteherin, aber ich sehe keinen Momenten der Freude entgegen. Ich bin immer müde und ich habe das Gefühl alles falsch zu machen. Selbst die Treppe hoch zu gehen ist so anstrengend, dass ich manchmal denke, ich schaffe es nicht. Häufig habe ich nach einem vollen Tag Tinnitus, dann fiept es weil ich nichts mehr hören will und kann. Mein Gehirn hat irgendwann in den letzten fünf Jahren den Geist aufgegeben. Ich erinnere mich an kaum noch etwas, ich kann keinen Gedanken behalten.

Meine Therapeutin sagt, ich habe keine Zeit etwas zu ändern oder an mir zu arbeiten, in meinem Leben ist kein Raum für mich. Ich habe das Gefühl, ich existiere kaum noch, ich bin – DAS MUTTI.

Wann das Gefühl des Burnouts und des ICH KANN NICHT MEHR s angefangen hat, weiss ich nicht. Ich glaube dass sowohl das fünfte und sechste Kind und der Hauskauf einen grossen Teil ausgemacht hat und der Auszug meines Sohnes in die Wohngruppe mir dann den Rest gegeben hat. Der erste Teil machte Überforderung, der zweite Sinnlosigkeit und das Gefühl, zu versagen. Mein grösster Wunsch – alleine in den Bergen ohne einen Menschen sehen zu müssen, vielleicht mit einem Hund – jemand der nichts Komplexes von einem will. Viele Bücher, viel Natur, viel Stille, keine anderen Menschen. Selbstversorgend mit Quelle und kleinem Garten.

Was ich stattdessen tun werde? Ich bewerbe mich bei der Post und hoffe durch einen Job Anerkennung im Sinne von Geld zu bekommen und wenn ich draussen bin und etwas machen kann, was ich mir zutraue, geht es mir hoffentlich besser. Ob das organisatorisch gehen kann, und ob hier alles trotzdem läuft? Ich weiss es nicht. Aber ich muss raus hier, bevor ich völlig eingehe.

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