Unter dem lesenswerten Artikel von Mama Notes „Vom Förderwahn, Helicopter Eltern und Eltern-Bashing“ hinterliess ich vor einer Woche folgenden Kommentar:

Ich weiss beispielsweise von meinem Sohn, dass er sich beim Klettern gerne verschätzt und komme deshalb schnell ins Hypern, wenn ich ihn auf einer Mauer sehe. Dafür lasse ich ihn seit er 2jährig ist mit Küchenmessern hantieren, weil ich weiss, dass er damit umgehen kann. Bin ich jetzt eine Helikopter-Mum oder fahrlässig…?

Das war dann wohl das, was man eine selbsterfüllende Prophezeiung nennt. Also dass wir uns nicht falsch verstehen: Normalerweise ist Kurzer ein vorsichtiges, manchmal sogar ängstliches Kind, kein „Cascadeur“.

Jedoch klettert er leidenschaftlich gerne, höher und noch höher. So stieg er, eine Woche nachdem er mit zweieinhalb das Bein gebrochen und von Fuss bis Hüfte im Gips hatte, von der Seite am Bücherregal hoch. Auf meine Frage „was tust du da?!“ reagierte er mit Loslassen. Einfach. Los. Lassen. Er muss sich gedacht haben „Mama fängt mich dann schon“ – nur dass ich etwa vier Meter von ihm weg stand. Er stürzte nach hinten ab und blieb mit dem Gipsbein hängen, so dass er schliesslich kopfüber einen halben Meter über dem Erdboden hing und lauthals brüllte. Kontrollröntgen ergab zum Glück keine weiteren Schäden.

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Im Sommer danach wollte er auf der Mauer am Bach balancieren. Das Hochklettern schaffte er auch ohne Probleme, das Mäuerchen war zu diesem Zeitpunkt keine wirkliche Herausforderung mehr. Das Balancieren jedoch schon, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass einige der Trittsteine sich im Laufe der letzten Jahrhunderte gelockert haben und beim darauf Stehen wackeln. Zum Glück sah sein Papa die Sache kommen und stellte sich ein paar Meter unterhalb in das Flüsschen, so dass er den Kurzen nur rausfischen musste, als dieser an ihm vorbei driftete.

Etwas weiter Bachabwärts hat diese Mauer eine meterhohe Stufe drin, die zu Nachbars Garten führt, der etwas höher als unserer liegt. Dort wollte er im Sommer, kurz bevor er drei wurde, bereits hoch steigen, obwohl er über einen Meter Höhendifferenz überwinden musste. Clever wie er in so Situationen sein kann, fing er an, Steine aus dem Bach aufeinander zu stapeln – und landete natürlich wieder im Bach.

Letzten Sommer war das, da wollte er auf der oberen Gartenmauer „angeln“. Er beugte sich nach vorne – und stürzte zwei Meter tief kopfsvoran in mein Rosenbeet. Zum Glück landete er in der aufgehäckselten Erde weich und ausser dem Schrecken und einer Platzwunde an der Augenbraue von einem herumliegenden Kiesel hatte er nichts.

Jetzt könnte man natürlich einfügen, in Bezug auf die hunderttausend Kilometer, die er bereits auf seinem Kletterzähler hat, seien die paar Abstürze ja nicht wirklich relevant. Das Problem dabei ist nur: Einmal sich den Hals brechen reicht völlig! Da ist es dann echt egal, wie viele tausend Mal er die Mauer hochgekommen ist, ohne dass etwas geschieht. Ich mag nicht den Teufel an die Wand malen, aber ich mache mir echt Sorgen um den Kerl! Es ist nicht so, dass er es nicht könnte. Aber er lässt sich leicht ablenken, ist unkonzentriert, seine Füsse tun etwas, seine Hände was anderes, der Kopf studiert an etwas Drittem rum und sein Mund erzählt derweil frischfröhlich etwas über seine Erlebnisse mit seinen Kumpels…

Wer hoch steigt kann auch tief fallen
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Am Silvester-Abend ist er dann von einer ordinären – wenn auch vereisten – Leiter aus einem Meter sechzig voll auf den Hintern geknallt und hat sich dabei einen Haarriss an einem der Lendenwirbel zugezogen. Könnt Ihr Euch vorstellen, wie viele Schutzengel da wieder im Dienst waren?! Wir waren gerade fertig mit dem Käsefondue, als sein Vater noch ein wenig mit ihm raus ging, um ihn auszupowern. Kurz darauf hörte ich ihn schon heulen, zum Glück habe ich den Unfall nicht gesehen, sonst könnte ich ihn wohl nicht mal mehr ruhig auf seinen Triptrap steigen lassen ohne ihn zur Vorsicht zu ermahnen.

Auf jeden Fall, als er nicht mehr mit weinen aufhören wollte, riefen wir die Hotline des Kinderkrankenhauses an, die uns anwiesen, „zur Sicherheit“ mit ihm im Notfall vorbei zu kommen. Glaubt mir einfach, wenn ich es sage: Notfallstation währen der Silvesternacht ist kein Ort, an dem man aufs Neue Jahr anstossen möchte. Praktisch im Minutentakt fuhren da Polizeiautos ein mit kotzenden und randalierenden Betrunkenen, zum Ausnüchtern oder zur Blutabnahme wegen Trunkenheit am Steuer.

Die hatten dort nur eine Kinderärztin im Dienst, die war alleine zuständig für die Notfälle, die Geburten, die Neonatologie, die chirurgische und die normale Kinderstation. Das tönt nach viel Spass, führt im Endeffekt aber zu elend langen Wartezeiten für alle Notfälle, die nicht lebensbedrohlich verletzt sind: „also, schauen wir uns mal deine Reflexe an“ – PIEP-PIEP-PIEP – „es tut mir leid, sie müssen sich noch mal einen Moment gedulden“…..

Die junge Assistenzärztin war echt am rennen, die wusste am Morgen garantiert, weswegen ihr die Füsse weh taten. Jedenfalls schickte sie uns dann auch noch in die Radiologie, um Aufnahmen von der Wirbelsäule zu machen, dann zurück auf die Kinderstation, wo wir wieder warten mussten – und die Schwestern aufs neue Jahr anstossen hörten – während sie ihre Chefin und einen Kinderorthopäden aus dem Bett oder von der Party holte, damit die sich die Röntgenbilder übers Tablett anschauen konnten.

„Normalerweise ist wohl nichts, aber ein kleiner Zweifel bleibt, da ist so ein Schatten“

Mit dieser nicht sehr zufrieden stellenden Information kamen wir schliesslich morgens um halb drei wieder zuhause an. Kurzer bat uns, er möchte bei mir schlafen – was zwangsläufig dazu führt, dass sein Papa nicht bei mir schlafen darf, denn sonst schläft hier überhaupt keiner. Auf jeden Fall rief uns dann am Vormittag die Āžrztin erneut an, nachdem die Oberärztin und der Kinderortopäde die Röntgenbilder am Plasma gesehen hatten. Ein Lendenwirbel war tatsächlich so gestaucht, dass sich ein feiner Haarriss gebildet hatte.

Ergo: Sechs Wochen lang kein Schlitten fahren, Ski fahren, Eishockey spielen, nicht mal Schulsport. Und das bei diesem Kind! Das werden harte sechs Wochen. Wobei ich nur auf allerhöchstem Niveau klage, denn ich bin froh und dankbar, dass die Verletzung normalerweise ohne Folgen ausheilen wird. Normalerweise heisst: Wenn ein bewegungsfreudiger Kurzer wie meiner es schafft, tatsächlich sechs Wochen durchzuhalten, ohne auf den Hintern zu fallen oder sich in eine Schlägerei verwickeln zulassen.

Aber wie ich es in Zukunft schaffen soll, ihn irgendwo hochsteigen zu lassen ohne gleich Blutdruck zu bekommen, weiss ich ehrlich gesagt auch nicht!

Edit: ich habe später gelernt, dass man sich nicht nur beim Klettern verletzen kann, sondern auch beim Trottinett-Fahren oder ähnlichen banalen Tätigkeiten.