Vielleicht erinnert Ihr Euch: Torben Kuhlmanns „Lindbergh“ von Anfang 2014 hatte mich voll aus den Socken gehauen. Kuhlmanns Stil gefällt mir so gut, dass ich es noch jetzt gerne wieder zur Hand nehme und durchblättere. Entsprechend hoch waren deshalb auch meine Erwartungen, als der NordSüd Verlag Kuhlmanns zweites Bilderbuch „Maulwurfstadt“ ankündigte.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Beim ersten Eindruck war ich enttäuscht. Das Buch hat nur 32 Seiten und kaum Text, eigentlich erzählt es überhaupt keine Geschichte. Dachte ich!

Die Handlung

Erzählt wird die Geschichte von Mole Town, der Maulwurfstadt, und zwar praktisch ohne Worte. Die Geschichte von Mole Town beginnt mit einem Maulwurfhügel auf einer grünen Wiese. Ein einzelner Maulwurf gräbt einen Tunnel. Doch bald kommen mehr Maulwürfe, entstehen mehr Tunnels. Die Zivilisation wird eingeführt, Arbeiter steigen täglich die lange Wendeltreppe hinunter, um mehr Tunnel zu bauen. Maschinen werden erfunden, um Tunnel schneller bauen zu können. Langsam wird die ehemals grüne Wiese von Maulwurfhügeln übersät, Rauch steigt aus Kaminen. Um die Arbeiter zu ihrer Arbeitsstelle zu transportieren werden weitere Tunnel gebaut und Trambahnen eingerichtet. Jetzt benötigt die Stadt eine Verwaltung, einen Bürgermeister, nach der Elektrizität kommt das Telefon und weitere Transportmittel. Und die Wiese?

„Viele Maulwurfgenerationen später war das Grün der Wiese fast völlig verschwunden. Fast…“

Was meint die Zielgruppe?

Als ich das Buch nach einmaligem Durchblättern enttäuscht weglegte, schnappte es sich Kurzer (5 Jahre 3 Monate). Er blätterte und schaute, schaute und blätterte – und stellte eine Million und Hundertausendsiebenhundertdreiundzwanzig Fragen zu den Bildern, den Maschinen, dem Rauch, dem Waldsterben, den Maulwürfen und weshalb sie immer grössere Maschinen bauen würden wenn doch dabei die Wiese kaputt ging.

Kurzer schaut das Buch mit einer Konzentration und Durchhaltevermögen an, die er sonst nur bei den Wimmelbüchern an den Tag legt, und es scheint ihm nicht zu verleiden.

Mein Fazit

Sofort mit Vergleichen aufhören! Die einzigen Gemeinsamkeiten zwischen „Maulwurfstadt“ und „Lindbergh“ sind der fotorealistische Stil Kuhlmanns und die düsteren Farben. Abgesehen davon sind die beiden Bücher völlig verschieden.

„Maulwurfstadt“ besticht durch seine Details, die man aber erst sieht, wenn man sich viel Zeit nimmt, um es zu betrachten. Mir ist beispielsweise das Bild „Lunch atop a Skyscraper“ (klick) ins Auge gesprungen, aber bei näherem Hinsehen würde man wohl andere auch erkennen, nehme ich an.

Manche der Bilder erinnern vom Ambiente her an alte Science Fiction Filme, beispielsweise die düsteren Dystopien von „Metropolis“ oder „Blade Runner“. Das Titelbild ist eine Hommage an Chaplins „Modern Times“. Sobald man das Auge an die Bilder gewöhnt hat, sieht man immer mehr solch klassische Andeutungen – die Kuhlmann übrigens immer mit einem Augenzwinkern hat einfliessen lassen.

Die Abwesenheit eines Protagonisten (und somit Identifikationsfigur) könnte manche Kinder stören. Andererseits wird nicht „eine Geschichte“ erzählt, sondern „die Geschichte“ (der Industrialisierung). Kuhlmann deckt 150 Jahre Geschichte auf 30 Seiten ab – eine meisterhafte Leistung!

Insgesamt von mir also trotz anfänglicher Enttäuschung eine uneingeschränkte Kaufempfehlung für Erwachsene, aber auch für technikbegeisterte Kinder. Die hohe Altersempfehlung des Verlags (5 Jahre) halte ich für berechtigt.

Torben Kuhlmann: „Maulwurfstadt“
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Torben Kuhlmann: „Maulwurfstadt“

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Steckbrief

Klappentext

„Die unterirdische Maulwurfstadt ist ein Spiegelbild unserer modernen Welt.
Ein eindrückliches Bilderbuch des mehrfach ausgezeichneten Illustrators Torben Kuhlmann“

„Maulwurfstadt“
Torben Kuhlmann
Gebunden
NordSüd Verlag AG, Zürich, 2015
ISBN 978-3-314-10274-5
Altersempfehlung des Verlags: Ab 5 Jahren

Torben Kuhlmann: „Maulwurfstadt“
Torben Kuhlmann: „Maulwurfstadt“

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