„Ich dreh gleich durch!“ sei, so wurde mir in einer FB-Gruppe für Eltern von ADHS-Kindern versichert, das beste Buch, das über das Thema ADHS je geschrieben worden sei. Das tönt natürlich nicht schlecht und auch der Klappentext hat mich angesprochen.

Inhalt

Im Buch wird ein halbes Jahr im Leben des 11jährigen Max erzählt. In lockerem Plauderton wechselt die ich-Perspektive von Max zu seiner Mutter, seinem Vater, dem Opa, den Lehrern, dem Bruder und wieder zurück zu Max.

Anhand einzelner Begebenheiten, Anekdoten und Erlebnissen in der Schule, den Skiferien, zuhause oder unterwegs, gibt die Autorin eine bunte Illustration des Störungsbildes „ADHS“ (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit Hyperaktivität) und hangelt sich dabei den Diagnosekriterien entlang.

Mit der Erzählstimme der Mutter flicht sie dabei immer wieder wissenschaftliche Informationen ein, die zudem mit Fussnoten und Endnoten das jeweilige Thema vertiefen und auf weiterführende Literatur verweisen.

Fazit

Mir gefällt der wissenschaftliche Ansatz und die vielen Verweise auf weiterführende Literatur. Die Autorin versteht es gut, Erklärungen in den Text einzuflechten, ohne dabei den Lesefluss zu stören und sie hat ein Talent, komplexe Zusammenhänge einfach verständlich darzustellen.

Die ständigen Perspektivenwechsel hingegen finde ich beim Lesen sehr anstrengend. Zudem verändert sich die Erzählstimme nicht wirklich, man merkt: Hier ist die Autorin, die so tut, als wäre sie jemand anderes.

Das Buch hat mich emotional nicht berühren können. Ich habe weder gelacht, noch geweint (wie es im Klappentext angekündigt wird).

Unglaubwürdig ist für mich die Tatsache, dass Max – dessen ADHS ja sehr typisch und sehr ausgeprägt ist – mit 11 Jahren noch nicht abgeklärt worden, ja, der Verdacht auf ADHS noch nicht mal angesprochen worden sein soll. Man ist heutzutage ja so übersensibilisiert, dass der Verdacht auf ADHS heute bei den wilderen Kindern spätestens in der ersten Klasse von den Lehrpersonen geäussert wird (wenn nicht schon vorher bei einer kinderärztlichen Routinekontrolle).

Mit dem Menschenbild der Autorin kann ich mich nicht anfreunden – es ist dem, was wir in unserer Familie leben, diametral entgegengesetzt. Wenn jemand sein Kind als „Nervensäge“, „Störefried“ oder ähnliches betitelt, zucke ich innerlich zusammen. Der kleine Max hat diese abwertenden Fremdbezeichnungen bereits voll in seine Identität integriert, was mich ratlos und traurig hinterlässt. Statt dass die Eltern ihr Kind annehmen, wie es ist, mit all seinen Ecken, Kanten und teilweise auch „Fehlfunktionen“, versuchen sie, es „mit Humor und klaren Regeln“ in eine Form zu presse, die der Norm entspricht – aber dem Kind offenbar nicht. Meiner Erfahrung nach ist das nicht nur sehr schmerzhaft für das Kind, sondern auch verheerend für sein Selbstwertgefühl. Statt bedingungslos angenommen zu werden, ist es ständig mit Forderungen konfrontiert, die es (noch) nicht erfüllen kann.

Lange Passagen des Buches lesen sich zudem wie ein Werbeprospekt für die Erziehungsmethoden von Triple P bzw. der „autoritativen Erziehung“, mit denen ich mich bekanntermassen noch nie anfreunden konnte. Das ist eine Möglichkeit, Kinder zu erziehen, aber sicher nicht die einzige, die aus ihnen funktionierende Mitglieder der Gesellschaft macht, wie im Buch zwischen den Zeilen behauptet wird.

Ich bin überzeugt, dass man mit bedingungsloser Liebe, Akzeptanz seiner Eigenheiten und bedürfnisorientierter, gleichwürdiger Erziehung dem Kind helfen kann, zu einem integren, in sich ruhenden, gesunden Erwachsenen heranzuwachsen. Und zwar unabhängig davon, ob es ADHS hat oder nicht.

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Klappentext

„Max, 11 Jahre alt, lebhaft, quirlig, impulsiv, planlos, vergesslich, eine richtige Nervensäge, aber auch ein äusserst liebenswerter Zappelphilipp – ein Kind mit ADHS.
Wie mag sich ein solches Kind in seinem Alltag mit all dem Chaos fühlen?
In diesem Buch kommt zum ersten Mal ein ADHS-Kind selbst zu Wort. Marx erzählt witzige Episoden aus seinem Leben. Er lässt uns lachen, weinen und nachdenklich sein und verhilft uns durch seine entwaffnende Offenheit zu einer Riesenportion Verständnis und Gelassenheit. Auch diejenigen, die mit ihm zu tun haben, schreiben sich in einem erfrischenden Perspektivwechsel ihre liebe Not mit dem Energiebündel von der Seele.
Das Buch beweist, dass mit Geduld, Humor und klaren Regeln Familienleben und Schule dann doch gelingen können. Geschickt eingewoben in das Tagebuch ist alles theoretische Wissen, das Sie über den Lesengenuss der Geschichten hinaus über ADHS wissen müssen.“

„Ich dreh gleich durch! – Tagebuch eines ADHS-Kindes und seiner genervten Leidensgenossen“
Anna Maria Sanders
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2016
ISBN 978-3-579-08633-0

"Ich dreh gleich durch" von Anna Maria Sanders
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„Ich dreh gleich durch“ von Anna Maria Sanders
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Cover von „Ich dreh gleich durch“ von Anna Maria Sanders

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