Eigentlich würde es sich gehören, den 10. Bloggeburtstag gross zu feiern. In diesem verrrückten Jahr ist es aber untergegangen. Schlimmer: Ich hab’s einfach vergessen.
Am 26. Juli 2010 ging mit Das Kamikaze-Baby der erste wohlformulierte und geistreiche Beitrag zu einem interessanten Thema online. Die Seite hatte noch keine eigene Domain sondern lief auf der Seite des CMS-Anbieters und als Titelbild hatte ich ein Foto des Kurzen, wie er mit seinen Patschhändchen nach dem Laptop greift.
Erst ab 2012, als ich auf die eigene Domain wechselte, benutzte ich das schöne Bild „The Gale“ von Winslow Homer mit der Frau mit dem Kind auf dem Rücken, die im Sturm den Strand entlang läuft, auch im Seitendesign (vorher nur als Profilfoto auf meinen Social Media Accounts).
„Mama hat jetzt keine Zeit“ – Bevor ich Mutter wurde, war ich schon 39 Jahre lang eine Frau gewesen und ich stelle mir das so vor, dass der Kurze zwischendurch auch mal zurückstehen musste, damit ich das tun konnte, was mir am Herzen liegt: schreiben, über uns, Elternschaft, Erziehungsthemen, politische Themen und was mich sonst interessiert und bewegt.
Der Blogtitel soll suggerieren, dass ich nicht immer zur Verfügung stehe, sondern auch mal etwas für mich selbst tue. Leider ist er mit den Jahren zum Leitthema des Blogs geworden.
Zu Beginn habe ich mal fleissig, mal weniger fleissig geschrieben – wie ich gerade Zeit und Musse hatte. Damals fuhr ich an einem Tag in der Woche zu meinen Eltern, die sich um den Kurzen kümmerten, während ich im Arbeitszimmer meines Vaters arbeitete oder schrieb. Beim Autofahren kann ich mich gut entspannen und die Gedanken schweifen lassen und sehr oft hatte ich, wenn ich nach einer Stunde Fahrt in Bern ankam, einen fertigen Blogartikel im Kopf, den ich nur noch in die Maschine hacken musste.
Die Themen damals waren variabel, je nachdem was mich im Alltag gerade beschäftigte, mich anregte oder mir zu denken gab.
Nach Kurzens Einschulung fuhr ich nicht mehr nach Bern. Neue Themen kamen hinzu, viele davon waren leider nicht blogbar. Ich musste die Privatsphäre des Kurzen schützen.
Meine Arbeitssituation veränderte sich ebenfalls. Es wurde immer schwieriger, Zeit am Stück freizuschaufeln, um mal länger an einem Artikel zu arbeiten (und wenn, dann tat ich es für Geld und nicht für Euch, meine werten Leserinnen und Leser). Ihr wisst wie es ist: Abends um 22 Uhr setzt man sich dann auch nicht mehr an den Computer und schreibt locker flockig noch einen amüsant zu lesenden Artikel. So sank meine Artikelfrequenz von alle 1-2 Wochen auf einen pro Monat und später auf einen alle paar Monate. Vielen merkt man an, dass ich sie nur schrieb, um überhaupt wieder mal etwas zu veröffentlichen.
Es ist nicht so, dass ich nichts mehr zu sagen gehabt hätte. Vieles war aber in der Tat zu persönlich, um es hier zu veröffentlichen. Medizinischen Themen, Themen, bei denen auch andere Leute involviert sind und die nicht auf eine Weise anonymisiert werden können, dass sie sich nicht mehr erkennen würden, darüber mag ich hier nicht schreiben. Einiges hatte ich bereits geschrieben und die betreffende Person hat mich auf mein Nachfragen gebeten, den Text nicht zu veröffentlichen.
Natürlich geht es auch und in erster Linie um den Schutz der Privatsphäre meines Sohnes (alias „Kurzer“). Er wird grösser, und obwohl seine Schulkameraden eine andere Sprache sprechen als Deutsch, können ihm gewisse Geschichten später um die Ohren fliegen. Er soll seine eigenen Spuren im Internet hinterlassen, und seine eigenen Fehler machen können. Da müssen nicht die meinen auch noch auf ihm lasten. Alles gut und richtig, aber natürlich führt diese „Blogpolitik“ dazu, dass die wirklich interessanten Themen, die für andere Familien auch einen grossen Nutzen hätten, gleichzeitig zu sensibel sind, um direkt unter meinem Namen veröffentlicht zu werden.
An der 1. Swiss Blog Family, die ich als Co-Gründerin mitorganisierte, erfuhr ich in verschiedenen Diskussionen, dass es vielen anderen auch so ging. Aus diesen Diskussionen heraus entstand die Idee zum Projekt hyperaktiv.rocks, wo Familien in einem geschützten Rahmen und unter Pseudonym über ihre Erfahrungen und ihren Alltag mit ihren besonderen Herausforderungen als Familie sich austauschen und schreiben konnten.
Die Swiss Blog Family! Da haben Sévérine und ich etwas Tolles angestossen: Tolle Menschen kennengelernt den Grundstein zu einem Netzwerk gelegt, das weit über die Landesgrenzen hinausgeht. Aber sie hatte auch noch eine anderer Auswirkung – eine, mit der ich nicht gerechnet hatte!
Im Rückblick muss ich sagen: Was mein eigenes Bloggen angeht, hat mir die Swiss Blog Family als Bloggerin die Unschuld genommen. Als ich mit „Mama hat jetzt keine Zeit“ anfing, war ich den ganzen Tag allein und wenn der Mann abends nachhause kam, war er nicht unbedingt in der Stimmung, um sich über Elternthemen und Erziehungsratgeber auszutauschen. Er ist da ja sowieso viel mehr down to earth und weniger verkopft als ich und kann nicht immer nachvollziehen, weshalb ich mir tage- oder wochenlang Gedanken über bestimmte Situationen oder Vorgehensweisen mache.
Anders gesagt: Ich brauchte ein Ventil für meinen Brainfuck und das Blog war daafür die perfekte Plattform. So gesehen startete ich das Blog aus rein egoistischen Motiven: Um zu schreiben, und nicht für die Leserinnen und Leser. Dass ich das nicht nur schreiben und raushauen konte, sondern dass sich die Leute sogar dafür interessierten, war mehr oder weniger ein erfreulicher Nebeneffekt. Aber ehrlich: Ich überlegte mir beim Schreiben weder, was wohl bei der Leserschaft gut ankommen könnte, noch wie ich das wohl am freundlichsten verpacken sollte. Was raus musste, liess ich raus!
„Mama hat jetzt keine Zeit“ war also schon 6 Jahre als, als ich an der ersten Swiss Blog Family erstmals in Berührung mit SEO und all dem Gugus kam, an den man beim Bloggen denken „muss“, und schöne Bilder, und die richtigen Keywords, und so und so viele Zwischentitel, und dann auch noch Pins und Promoting und das alles, nur damit man auch gefunden und gelesen wird. Entwürfe überarbeiten, schleifen, neu strukturieren, korrigieren, verbessern… um ein professionelles Resultat zu erzielen… am liebsten noch von einem/r Profi ein graifsches Konzept erarbeiten lassen, um jedes Bildchen dem Corporate Design anzupassen…
Natürlich kenne und beherrsche ich das alles vom beruflichen Schreiben her.
Aber eben: Das war die Arbeit!
Je mehr ich alles richtig machen wollte, desto weniger Freude bereitete mir das Bloggen.
Je professioneller ich bloggen wollte, desto mehr fühlte es sich wie Arbeit an.
Ich bin eine Schnell- und Vielschreiberin, die ihre Texte aus dem Kopf in die Tastatur kotzt und sie innerhalb einer Stunde veröffentlicht.
Jetzt dachte ich, ich müsse, um nicht wie ein Amateur rüberzukommen, erst mal schauen, welche Stichworte dazu passten, ob das Thema überhaupt zielgruppenrelevant war, und dann auch noch die passenden Bilder gestalten. Ich, die grafisch unbegabte und uninteressierte Buchstabenfanatikerin.
Und nun fand ich mich wieder, wie ich meine Texte überarbeitete, korrigierte und umstrukturierte, bis sie mir selbst nicht mehr gefielen und ich sie löschte.
Mein privates Bloggen fühlte sich wie Arbeit an. Mehr und mehr Artikel stapelten sich in meinen Entwürfen. Nicht etwa, weil ich nichts mehr zu sagen wusste. Aber weil ich nach einem langen Tag bei der Arbeit nicht abends noch Zeugs erledigen will, das sich wie Arbeit anfühlt. Und wenn ich mich dann nach Wochen endlich dazu aufraffen konnte, war die entsprechende Sau schon lange durchs Dorf und zurück getrieben worden und das Thema überhaupt nicht mehr aktuell und ich kam mir doof vor, so zwei Monate später auch noch was dazu zu veröffentlichen.
So habe ich in den letzten 3 Jahren sehr viel mehr eigentlich fertige, „gut genuge“ Texte wieder gelöscht als veröffentlicht. Schade um die Arbeit! Schade um die Freude!
Die Freude des Anfangs möchte ich wiederfinden. Das Bloggen hat mir damals gut getan, und würde mich auch heute noch guttun. Als Therapie, als Austauschplattform, als Beitrag zu den jeweils aktuellen Debatten. Ich senfe gerne und habe etwas zu sagen. Schade, wenn das alles in den Entwürfen verfault, nur weil es mich anödet, Bildchen hübsch herzurichten.
Um den Traffic mache ich mir keine Sorgen. Wenn ich kaum mehr blogge, bleibt er auch weg, egal wie viele tolle Keywords und Pinteresttaugliche Bilder ich einbaue. Der Traffic kommt automatisch, wenn ich im Internet das tue, was ich am liebsten mache: Lesen, denken, diskutieren und kommentieren.
Deshalb schenke ich mir zum 10. Bloggeburtstag wieder mehr Freude am Bloggen – und Euch hoffentlich mehr Freude beim Lesen!