Wer hätte gedacht, dass mein Grenzposting von letzter Woche Wellen schlagen könnte?

Hm, wie können dann (kleine oder grosse) Tyrannen entstehen?“ fragte eine Kommentatorin auf meine Bemerkung, dass Kinder auch soziale Grenzen am  besten von selber entdecken, indem sie mit anderen interagieren. „Antiautoritär und Kuschelpädagogik sind out, das sollte doch auch langsam mal beim letzten angekommen sein!“ schimpfte ein anderer.

Das heutige Mamablog geht sogar noch einen Schritt weiter und Titelt: „Die kleinen Hitler und ihre willfährigen Helfer“ und beschreibt die Situation, wo sich eine Mutter im Supermarkt zum Affen macht.

Es scheint, als gäbe es nur zwei mögliche Wege der Pädagogik: Totale Kontrolle oder totales Laisser-faire (dass die Theorie der Antiautoritären Erziehung nichts mit Laisser-faire zu tun hat, auch wenn das pädagogisch ungebildete Publikum zu dieser Ansicht neigt, lassen wir jetzt einmal beiseite).

Natürlich benötigt ein Kind Führung – aber es benötigt keine Erziehungspersonen, die ihm auf Schritt und Tritt hinterherlaufen und seine Handlungen steuern. Es ist völlig ausreichend, den Kindern die Werte konsequent, kohärent und authentisch vorzuleben, die wir sie lehren möchten. Auch, und ganz besonders ihnen gegenüber!

Kinder haben – wie andere Menschen auch – das tiefe Bedürfnis, in ihrer Gruppe eine Funktion einzunehmen und dazu zu gehören. Wir können darauf vertrauen, dass sie der Gruppe folgen, wenn wir sie lassen. Wenn wir sie natürlich erst in ihr Kinderzimmer verbannen, wegsperren, ausschliessen, hindern wir sie daran, einen wichtigen Entwicklungsschritt aus eigener Kraft zu vollbringen: Die Integration in ihre Gruppe.

Zurück zu den Grenzen, um die es in der Diskussion ging: Wer seine Familie als funktionierende Gruppe ansieht, braucht keine Regierung (Eltern, die befehlen) und Untertanen (Kinder, die zu gehorchen haben). Eine Gruppe kennt Mitglieder mit mehr oder weniger Erfahrung, wobei die Mitglieder mit mehr Erfahrung die Führung übernehmen. Werte werden geteilt, gelebt und imitiert und nicht von oben her „befohlen“. Grenzen werden nicht rigide gesetzt, sondern existieren in Form von Leitplanken, die sich unter gewissen Umständen auch verschieben können.

Zentral ist der Begriff „Vertrauen„: Ich vertraue darauf, dass mein Kind der Gruppe und mir folgt. Ich erleben jeden Tag, dass dies zutrifft und auf diese Weise existiert auch kein Bedarf an „Grenzen setzen“, da das Kind keine solchen sucht, sondern mir – die sich innerhalb der definierten Leitplanken bewegt – folgt, vielleicht mal etwas nach links oder rechts abschweift, aber im grossen und ganzen folgt.

Damit diese Art der Pädagogik funktionieren kann, braucht es Eltern, die auf dem gewählten Weg vorausgehen. Lässt man das Kind vorausgehen, muss man es zwangsläufig immer wieder auf den richtigen Weg zurückbringen. Geht man hingegen selber voraus, ist dies nicht nötig: Das Kind wird folgen.

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