Kurzer und ich verbringen einen Tag die Woche bei seinen Grosseltern, die etwa eine Autostunde entfernt leben. Neulich waren wir wieder mal spät unterwegs, ich fuhr etwas schneller als sonst, um die verlorene Zeit wieder einzuholen.

Auf der Strecke liegt ein Bahnübergang. Da die Züge beim nahe gelegenen Bahnhof kreuzen, bleibt die Schranke, wenn sie einmal geschlossen ist, ewig lange unten. Und natürlich schloss sich prompt die Bahnschranke, als wir dort ankamen. Das ist immer so, wenn ich keine Zeit habe.

Ich war genervt. Trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. Schimpfte ein kleines Bisschen vor mich hin. Auf dem Rücksitz tönte es „Mama, Mama!“ Im Wissen, dass mein Dreijähriger nicht gerade die Geduld auf zwei Füssen ist, drehte ich mich zu ihm um, um ihm zu erklären, dass wir jetzt halt warten ein paar Minuten Geduld haben müssen.

Und was sehe ich? Ein kleiner Bub in freudiger Erregung!

„Kommt jetzt ein Zug?“
„Ja“.
„Was für ein Zug?“
„Weiss nicht“.
„Ist es ein langer Zug?“
„Das sehen wir dann“.
„Kommt er jetzt bald?“
„Wahrscheinlich schon“.
„Ist es ein blauer Zug?“

Welch Abenteuer!

Er freute sich wie ein Honigkuchenpferd darüber, dass die Schranke geschlossen war!

Plötzlich kam mir die Warterei gar nicht mehr schlimm vor. Am Ende ist auch das nur eine Frage der Perspektive.

Da hat mir Kurzer in ein paar Minuten eine Lektion über Achtsamkeit und das Leben im Jetzt beigebracht, die ich so schnell nicht wieder vergessen werde.

(zum gleichen Thema gibt es noch einen weiteren Artikel: Eine Frage der Perspektive 2)

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