Zur Zeit kursiert im Internet ein Video, auf dem drei Mädchen mit ihren pinken und rosa Spielsachen quer durch ein Haus hindurch eine Rube-Goldberg-Maschine bauen. Das Video bewirbt ein Spielzeug namens GoldieBlox:

GoldieBlox wurde für Mädchen konzipiert, da andere Konstruktionsspielsachen – die Erfinderin von GoldieBlox nennt namentlich Lego – auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse von Jungen ausgelegt seien. Spätestens da schlägt mein Bullshitdetektor mit der Stirn auf den Arbeitstisch. AUTSCH!

„I’m creating GoldieBlox to inspire girls the way Legos and Erector [US-Handelsname von Meccano] sets have inspired boys, for over 100 years, to develop an early interest and skill set in engineering. It’s time to motivate our girls to help build our future.“ (Debbie Sterling, Erfinderin von GoldieBlox)

Dafuq?!

Es gibt absolut! keinen! Grund! weshalb Mädchen nicht mit Lego oder Meccano spielen könnten ausser dem Einen: Dass seit ein paar Jahren ständig irgend welche Leute gebetsmühlenartig runterbeten „die sind nicht für Mädchen“.

Was ist da los? Nach 1985 geborene Eltern können sich kaum vorstellen, dass es für Mädchen mal Spielsachen gab, die nicht „prinzessinnig“ daher kamen. Besser noch: Es einfach Spielzeug gab, ohne Geschlechterapartheid im Spielzeugladen und Pinkvergiftung beim Betreten der Mädchenabteilung. Für diese jungen Eltern ist die Trennung von Spielsachen so normal, dass sie tatsächlich davon überzeugt sind, der Pinkwahn sei eine biologische Notwendigkeit.

Ich bin ja sonst nicht die, die Geschichten aus dem Krieg erzählt, aber in diesem Punkt scheint es nötig zu sein: Das ist alles nur Marketing!

Natürlich gab es immer Spielsachen, die eher den Jungen oder eher den Mädchen zugedacht waren. Welche es genau waren hing von der jeweiligen Mode und den jeweiligen Stereotypen ab, an die die Gesellschaft zu dem Zeitpunkt glaubte, an dem sie produziert wurden. Die Entwicklung, die seit den 1990er Jahren stattfindet, ist aber neu in der Geschichte:

Für Mädchen gedachte Spielsachen, ca. 1970er Jahre und 2000er Jahre im Vergleich

Für Mädchen gedachte Spielsachen, ca. 1970er Jahre und 2000er Jahre im Vergleich

Arbeiten wie jene der Entwicklungspsychologin Donna Fisher-Thompson („Adult toy purchases for children: Factors affecting sex-typed toy selection“, Journal of Applied Developmental Psychology, Volume 14, Issue 3, July–September 1993, Pages 385–406) zeigen, dass Kinder mehr noch als ihre Eltern auf „Genderspielzeug“ anspringen. Während es jedoch für einen interessierten Jungen bis Ende der 1980er Jahre noch möglich war, mit einem Puppenhaus zu spielen, ist es für ihn heute praktisch unmöglich. Die „Pink Zone“ ist für Jungen tabu: Weder seine Eltern noch er selber würden sich ab einem gewissen Alter dort hinein trauen, da die sog. sozialen Kosten für Nonkonformität extrem hoch sind („Mädchensachen“ gelten nach wie vor als „minderwertig“ – dass sie es rein qualitativ und vom Gebrauchswert her tatsächlich auch sind, hilft nicht).

Zurück zur Frage: Was ist da passiert?

Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Mit Biologie hat das nichts zu tun, auch wenn man es uns heute genau das weiszumachen versucht. Vielmehr sind die Ursachen im auf Kinder abzielenden Zielgruppenmarketing zu suchen, das seit den späten 1980er Jahren eingesetzt hat. Sieht man die Entwicklung an, wurden bis dahin in der Werbung die Erwachsenen angesprochen, die das Spielzeug kaufen sollten. Mit der Ausbreitung des Fernsehens, Kinderkanals etc. wurden die Kinder selber als Zielgruppe interessant und die Werbebotschaften richteten sich fortan direkt an die Kinder.

Damit setzte ein sich selbst befruchtender Kreislauf ein. Denn im Alter von ca. 3 bis 6 Jahren sind Kinder dabei, ihre Geschlechtsidentität zu entdecken und zu festigen. Entsprechend sensibel sind sie dann auch auf sämtliche Botschaften, die darauf abzielen, wie Mädchen/Jungen sind, wofür sie sich interessieren, welche Aufgaben sie wahrnehmen, welche Tätigkeiten sie ausüben etc.

Genau in diese Altersgruppe hinein zielt die Spielzeugwerbung mit ihren geschlechtsbezogenen Botschaften. Und die Botschaft kommt an: Eltern berichten, dass bereits ihre Dreijährigen „ganz genau wissen, was sie wollen“ und richten sich bei ihren Kaufentscheidungen danach. Ein Kind wird durchschnittlich pro Jahr mit ca. 60’000 an ihns gerichteten Werbebotschaften torpediert und jede von ihnen sagt „kauf mich, ich bin für dich!“

Wer kann’s den Kurzen verübeln, wenn sie das glauben?

Legowerbung 1980er Jahre

Legowerbung 1980er Jahre

Zurück zur Herkunft der grassierenden Geschlechtersegregation bei den Spielsachen. Führende Hersteller von Spielsachen, wie beispielsweise die Firma Lego, haben gegen Ende der 1980er Jahre angefangen, ihre bis anhin für Jungen und Mädchen gleichermassen gedachten Spielwaren ausschliesslich für Jungen zu promoten. Vielleicht weil sich auch vorher meistens Jungen dafür interessierten? Schon möglich. Aber fortan wurden Mädchen ausgeschlossen. Sie kamen nicht mehr vor und die Botschaft war klar: Lego ist für Jungen (Botschaft zwischen den Linien: Mädchen, Finger weg!)

10 Jahre später dann fanden umtriebige Marketingfachleute heraus, dass sich Mädchen kaum für Lego interessierten und suchten gemeinsam mit eben so umtriebigen Produktmanagern nach Erklärungen.

Das muss man sich auf dem Bildschirm zergehen lassen: Erst sagt man den Mädchen zehn Jahre lang, Lego sei nicht für sie und dann fragt man sich, weshalb sie sich nicht für Lego interessieren!

Und siehe da: Man fand heraus, dass sich erwachsene Frauen nicht für Konstruktionen interessierten und überhaupt: Messungen ihrer Gehirne würden belegen, dass die diesbezüglichen Fähigkeiten bei erwachsenen Frauen weniger ausgebildet sind, als bei Männern gleichen Alters. Das musste der Beweis sein! Davon, dass das menschliche Gehirn nur jene Synapsen und Fähigkeiten verfestigt, die es tatsächlich benutzt, haben sie noch nie gehört.

Lego Friends: Damit sollen Mädchen für Konstruktionsspiele begeistert werden.

Lego Friends: Damit sollen Mädchen für Konstruktionsspiele begeistert werden.

„Wofür interessieren sich denn Mädchen?“ fragten sie sich also und kamen auf all die Tugenden, über die die weibliche Bevölkerung dieses Planeten verfügen soll: Kuchen backen, reden, Freundinnen treffen, noch mehr reden, noch mehr Kuchen backen. Und schon war die Idee für „Lego Friends“ und „GoldieBlox“ geboren!

Die Beweisführung ist in etwa analog zu der antifeministischen Argumentation Ende des 19. Jahrhunderts, um den Frauen den Zugang zu den Universitäten vorzuenthalten: Dass Frauen für ein Studium nicht geeignet seien, wurde damit „bewiesen“, dass keine Frauen studieren. Weil sich erwachsene Frauen grösstenteils nicht für Konstruktionen begeistern, wird kleinen Mädchen gar nicht erst Konstruktionsspielzeug angeboten, sie können also weder Interesse noch Fähigkeiten dazu trainieren.

Diese Lücke wollen nun, glaubt man den jeweiligen Marketingabteilungen, Spielsachen wie Lego Friends oder GoldieBlox, füllen und Konstruktionsspielsachen anbieten, die für Mädchen interessant sind.

GoldieBlox

GoldieBlox, Konstruktionssystem für zukünftige Ingenieurinnen

Diese Spielsachen bedienen jedoch genau so die gängigen Genderstereotypen und fördern dieselben Eigenschaften und Fähigkeiten, wie andere „typischen Mädchenspielsachen“. Die unterschwelligen Annahmen und Wertungen, die den Stereotypen zugrunde liegen, führen dann zu so absurden Auswüchsen sie diesen GoldieBlox, lila und hellgelbe Tönnchen in himmelschreiend schlechter Verarbeitung, mit denen man nach Anleitung kleine Hündchen und hübsche Bänder drehen kann. Diese Dinger haben nur einen Zweck: Zu beweisen, dass Mädchen tatsächlich den Jungen nicht das Wasser reichen können, wenn es um Bauen, Erfinden und Konstruieren geht. Stellt Euch vor, zukünftige Ingenieurinnen würden mit der Erwartung an die TUs strömen, später solchen Mist zu bauen. Was soll das? Trotz der gut gemachten Werbung ist dieses Spielsystem nur teurer, nichtsnutziger Unfug!

Ihr wollt mir nicht glauben, dass der lila Plastikmüll nur so von Stereotypen strotzt?   O-Ton von Debbie Sterling, der Erfinderin von GoldieBlox:

„GoldieBlox geht über ‚mach es pink‘ hinaus, um für Mädchen attraktiv zu sein. Ich verbrachte ein Jahr damit, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und die Entwicklung von Kindern zu studieren und ein Konzept zu erarbeiten. Mein grösstes ‚Aha-Erlebnis‘? Jungen haben das bessere räumliche Vorstellungsvermögen, deshalb lieben sie Konstruktionsspielzeuge so sehr. Mädchen hingegen haben überlegene verbale Fähigkeiten. Sie lesen gerne, mögen Geschichten und Personen.

GoldieBlox vereint das Beste aus beiden Welten: Lesen und Bauen. Es ist für Mädchen attraktiv, weil die sich weniger dafür interessieren, was sie bauen, sondern weshalb. Die Geschichten von Goldie beziehen sich direkt auf das Leben von Mädchen. Die Maschinen die sie baut, helfen ihren Freunden Probleme zu lösen. Beim Lesen der Goldie-Geschichten wünschen sich die Mädchen, wie sie zu sein und das zu tun, was sie tut.

Goldie’s Werkzeuge sind von Objekten inspiriert, die man in jedem Haushalt findet – Dinge, die Mädchen bereits kennen. Die hübschen Farben, runden Ecken und weichen Formen und Oberfläche sind für Mädchen besonders attraktiv. Und nicht zuletzt sind die Geschichten, die Goldier erlebt, humorvoll und leicht. So macht das Bauen und Erfinden den Mädchen weniger Angst und macht Spass.“

Soviele Weisheiten über Jungen und Mädchen auf so kleinem Raum. Maschinen bauen, um die Probleme ihrer Freunde zu lösen. Du meine Güte!

Bei so viel Mist rollen sich meine Fussnägel hoch!

Ich habe mich damals trotz einigermassen ausgeprägter technischer Begabung aus Gründen gegen ein Ingenieursstudium entschieden. Aber hätte man mir mit fünf oder sechs ein solches GoldieBlox geschenkt und gesagt, das sei jetzt eben Ingenieurskunst – ich wäre schreiend davon gelaufen und hätte nie mehr etwas von Technik wissen wollen!

Obwohl man überall diese unbewiesenen Behauptungen lesen und hören kann, wurde bisher in der Forschung weder ein Technikgen bei Jungen noch ein Beziehungsgen bei Mädchen gefunden. Auch kein Traktorengen, Gewehregen, Prinzessinnengen oder Schminkgen. Zweijährige Mädchen und Jungen interessieren sich noch für dieselben Dinge, bei Dreijährigen kippt es dann schon. Wenn wir unseren Kindern die Chance zur freien Entfaltung geben wollen, dann ist die Erfindung weiterer Spielsachen „für Mädchen“ oder „für Jungen“ (auch in der besten Absicht!) nicht der richtige Weg. Denn sie zementieren und tradieren genau die Stereotypen, die sie überwinden wollen. Im schlimmsten Fall stellen sich dann sogar schon 5-jährige die Frage, ob sie eventuell „eigentlich“ dem Gegengeschlecht angehören, wenn sie mit den für ihr Geburtsgeschlecht bestimmten Spielwaren bzw. Stereotypen nichts anfangen können.

Statt bis weit über die Kotzgrenze hinaus gegendertem Spielzeug benötigen wir wieder Spielsachen in allen Farben und Formen, die für alle Kinder sind und die auch als Solche beworben werden, wo weder das Spiel noch die Farb- oder Formgebung exklusiv nur den Kindern eines Geschlechtes zugesprochen wird. Wo man Jungen und Mädchen mehr zutraut, als nur den Schubladen gesellschaftlich vorgegebener Stereotypen zu folgen statt eigenes Denken zu entwickeln.

Eröffnen wir unseren Söhnen und Töchtern alle Möglichkeiten und lassen wir sie daraus machen, was immer sie wollen!