Neulich sah es aus, als sei mein Kurzer am Boden zerstört: Sein bester Freund feierte  Geburtstag und hatte ihn nicht eingeladen. In mir machte sich Wut auf dieses Kind und seine Eltern breit. Wie konnten die nur zulassen, dass so was geschieht, wenn sie doch ganz genau wissen, wie lieb mein Sohn den ihren hat und wie die beiden ständig zusammen abhängen. Und ausserdem hatten wir ihren Sohn schliesslich auch zu unserem Kindergeburtstag eingeladen, da ist es nur Recht, wenn sie sich revanchieren!

Zum Glück hatte ich genau in dem richtigen Moment das Buch von Gundula Göbel auf dem Nachttisch!

„Häufig leiden Mütter und Väter übermässig mit ihrem Kind, wenn es Schmerz oder Enttäuschungen aushalten muss. Vermutlich hat die Mutter ähnliche Erfahrungen gemacht und sich als Kind ausgeschlossen gefühlt. Statt die eigenen Gefühle zu projizieren, ist es besser, einfach nachzufragen: ‚Wie geht es dir damit?’“

Nachdem ich meine eigene Wut losgeworden war, konnte ich objektiv über diese Situation nachdenken und kam zum Schluss, dass gar nicht viel Trost nötig war und dass die Wut vor allem in mir selber entstanden war. Die Angst, dass mein Sohn ausgeschlossen wird, ist meine Angst, nicht seine!

Am Ende kam dann übrigens alles viel besser, als wir uns vorstellen konnten: Statt an den Kindergeburtstag seines Freundes bekam Kurzer von ihm und seinen Eltern eine extra-exklusive Einladung. Er durfte mit seinem Freund an dessen Geburtstagsgeschenk teilhaben und mit ihm ins Verkehrshaus fahren.

In der Buch-Reihe Beltz Nikolo geht es um das Thema „Grosse Gefühle“. Niemand kann so intensiv empfinden, wie kleine Kinder! Im Band „Trost“ beschreibt die Kinder-Psychotherapeutin Gundula Göbel, wie wir als Erwachsene mit diesen schnell aufbrausenden Gefühlen unserer Kinder und Schutzbefohlenen umgehen und dabei ihren Bedürfnissen gerecht werden können.

Wie wir trösten

Ein Kind benötigt immer dann Trost, wenn seine Bedürfnisse nach Sicherheit, Zugehörigkeit, Wertschätzung und Selbstverwirklichung nicht erfüllt sind und sich negative Gefühle wie Wut, Angst, Frustration, Traurigkeit etc. breit machen. Das gilt übrigens auch für uns selber! In solchen Momenten brauchen wir es, mit all unseren Gefühlen ernst genommen werden.

Welche Art des Trosts angebracht ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem auch die Kultur, in dem jemand lebt, seinem Charakter, dem Charakter des Kindes und dem Alter des Kindes. Trostbedürfnisse verändern sich mit dem Alter und der Situation der Beteiligten.

Die Kraft der Ermutigung

Im zweiten Teil geht es darum, was Trost bewirken kann. Kinder, jeden Alters erleben täglich zahlreiche Frustrationen und tun dies manchmal mit lautem Geschrei kund. Es ist schwierig für uns Erwachsene, dies auszuhalten, aber: „[Kinder brauchen] Erwachsene, die ihnen helfen, ihre extremen Emotionen zu verändern. Wenn die Erwachsenenwelt nicht begleitet, sondern nur zuschaut, bleiben die Kinder von ihren Gefühlen überflutet“.

Am Besten können wir unsere Kinder trösten, wenn wir selber uns nicht von ihren Emotionen anstecken lassen. Das ist manchmal einfacher gesagt, als getan, denn Spiegelneuronen sorgen dafür, dass wir ihre Emotionen nachempfinden. Es ist aber nicht damit getan, einen Gefühlsausbruch nicht zu beachten oder das Kind davon abzulenken. Unterdrückte Gefühle machen krank und blockieren wichtige Entwicklungsschritte und Lernprozesse. Sie führen zu Stress und verhindern, dass das Kind Resilienz entwickelt. Deshalb ist Trost wichtig für die geistige und körperliche Entwicklung des Kindes.

Trost wird immer dann benötigt, wenn eines der Bedürfnisse verletzt sind, die alle Menschen haben, und die über die körperlichen Bedürfnisse (Essen, Trinken, Wärme, Schlaf,…) hinausgehen: Bedürfnis nach Sicherheit (Nähe, Bindung,…), nach Zugehörigkeit, nach Wertschätzung oder nach Selbstverwirklichung. Deshalb funktioniert auch das Ablenken nicht als Trost: Das Kind wird sich zwar ablenken lassen, sein Bedürfnis ist aber immer noch nicht befriedigt.

Guter und gefährlicher Trost

Im dritten Teil geht es um die gesunde Entwicklung von Kindern und wie sich unsere Art zu trösten, darauf auswirken kann.

Gerade bei Kindern, die ihre Gefühle auf extreme Weise ausleben, ist viel Trost notwendig. Eine Entwertung oder Beschämung in dieser Situation („jetzt übertreib doch nicht so“, „hör auf zu heulen“, „sei doch keine Heulsuse“ etc.) statt Zuwendung und Verständnis kann zu heftiger Verzweiflung führen, weil sich das Kind im Stich gelassen fühlt. Das kann das Vertrauen und die Bindung dauerhaft stören. Das Kind verschliesst sein Herz, „panzert seine Seele“. Doch mit der Panzerung zu seinem Schutz verliert es auch einen Teil der Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen und seinerseits Trost zu spenden.

In der Folge werden Gefühle unterdrückt oder unangemessen erlebt. Auch schöne Gefühle werden nicht mehr vollständig erlebt. Wenn ein Kind sich unangemessen verhält, auffällt, laut, aufbrausend, aggressiv ist, steht meist ein Ruf nach Trost, nach Verlässlichkeit und Schutz dahinter. Auch Wut und Frustration brauchen Trost! Wobei auch überangepasstes Verhalten Traurigkeit und emotionalen Rückzug anzeigen kann. Es ist also auch hier an uns Erwachsenen, unsere Kinder zu beobachten und angemessen auf ihre Bedürfnisse zu regieren.

Wir können unsere Kinder nicht vor negativen Erlebnissen und Gefühlen schützen. Überbehütung ist kein guter Trost, denn das Kind muss trotz allem erfahren dürfen, dass es Hindernisse überwinden und Konflikte lösen kann. Kinder benötigen manchmal Hilfe beim Finden von Bewältigungsstrategien, nicht aber Erwachsene, die bewerten und beurteilen.

Schwere Abschiede

Im vierten Teil geht es um praktische Hilfe, wie man Kindern in gewissen Situationen zur Seite stehen kann. Besprochen werden hier konkrete Situationen wie zum Beispiel:

  • Trennungsschmerzen beim Abgeben in der Kita
  • Trennung der Eltern, Auszug eines Elternteils, Trennungsschmerzen nach Besuchswochenenden
  • Umzug der Familie und Trennung von Freunden und Spielkameraden und Betreuungspersonen
  • Tod einer vertrauten / geliebten Person

Für jede dieser Situationen wird erklärt, wie Kinder ihrer Trauer Ausdruck verleihen können (sehr individuell) und wie wir Erwachsenen sie beim Verarbeiten unterstützen und trösten können (weder Erklärungen noch Ablenkungen sind hilfreich).

Einfach trösten

Im fünften Teil schliesslich geht es um praktischen Trost im Alltag. Was benötigt es, um einem Kind Trost geben zu können? Manchmal kann nur die richtige Person trösten (Mutter, Vater, vertraute Betreuungspersonen…). Manchmal braucht es Umarmungen, Berührungen, Zuhören, über die Gefühle Sprechen und manchmal braucht es einfach etwas Ruhe, Musik, Büchlein anschauen,….

Jedes Kind, jede Situation, benötigt eine andere Art des Trosts. Manchmal muss man Trost auch mehrmals anbieten, bevor das Kind ihn annehmen kann.

Auch Humor – sofern er nicht einfach zur Ablenkung benutzt wird – kann ein wunderbarer Trost sein und für einen Moment das Traurige und Schwere aus dem Alltag herausnehmen. Beim Lachen schüttet unser Gehirn „Wohlfühl-Hormone“ aus und verdrängt für einen Moment die negativen Emotionen.

Rituale und rituelle Handlungen geben Sicherheit, vermitteln Stabilität und Geborgenheit, und können viel dazu beitragen, ein Kind zu trösten (-> Trostlieder singen bei kleineren Verletzungen etc.).

Mein Fazit

Wie bei allen Beltz Nikolo-Bänden bringt auch „Trost“ nicht unbedingt neues Wissen zutage, sondern ist eine gute Zusammenstellung des heutigen Wissensstandes zum Thema. Ein Theoretischer Überblick, sehr beziehungsorientiert und nah am Kind, und in der zweiten Hälfte praxisorientiert, mit nützlichen „Dos“ und „Donts“. In Infokästen wird zudem der Inhalt jeweils nochmal stichwortartig zusammengefasst.

Am Ende findet man wie immer eine Liste mit Lesetipps für die Kinder und die Erwachsenen sowie eine Literaturliste, die zum Weiterlesen einlädt.

„Trost“ von Gundula Göbel ist nicht so durchstrukturiert, wie ich meine Ratgeber gerne mag. Für mich ist es eher eine Sammlung von Gedanken zum Thema, was teilweise halt auch zu Wiederholungen führt. Es ist kein Buch zum etwas Nachschlagen, sondern eher eines, das man kapitelweise langsam liest, darüber nachdenkt, weiterliest…

Gundula Göbel kommt aus der Praxis, und dem entsprechend ist ihr Text sehr praxisorientiert. Immer wieder orientiert sie darüber, was in welcher Situation angebracht ist oder nicht.

Ich habe das Buch gerne gelesen und konnte einige praktische Tipps für den Alltag mit meinem Sohn mitnehmen. Für das schnelle Nachschlagen zwischendurch hätte ich mir aber eine klarere Struktur und mehr Informationskästen gewünscht. Trotzdem empfehle ich das Buch gerne weiter an alle, die erfahren möchten, wie sie ihr Kind in verschiedenen Situationen so trösten können, dass der Trost auch „ankommt“.

Gundula Göbel: „Trost. Wie Kinder lernen, Traurigkeit zu überwinden“
Zum Teilen und zum Pinnen:
Gundula Göbel: „Trost. Wie Kinder lernen, Traurigkeit zu überwinden“

~~~||~~~

Klappentext:

„Die Kraft des Tröstens
Kindheit ist nicht frei von Frustrationen. Schon früh entwickeln Kinder ganz eigene Strategien, um mit Schmerz, Zurückweisung und Trauer umzugehen. Ihre Hilferufe sind manchmal kaum wahrnehmbar – oder so grell, dass sie Eltern überfordern.
– Gefühle sind veränderbar
Helfende Gespräche, Spiele und Rituale
– Stark ein Leben lang
Wie Kinder Resilienz entwickeln
– Wenn Kinder trauern
Was Eltern bei Trennung und Verlust tun können
– Vom kleinen Kratzer zur grossen Furcht
Die emotionalen Bedürfnisse von Kindern erkennen
– Kinder sind gute Tröster
Trost als soziale Kompetenz

In den grossen Gefühlen liegt der Schlüssel zu den inneren Welten von Kindern.“

Cover von Gundula Göbel: „Trost. Wie Kinder lernen, Traurigkeit zu überwinden“
Gundula Göbel: „Trost. Wie Kinder lernen, Traurigkeit zu überwinden“

~~~||~~~

„Trost. Wie Kinder lernen, Traurigkeit zu überwinden“
Gundula Göbel
Broschiert
Beltz Nikolo, bei der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim 2015
ISBN 978-3-407-72740-4

~~~||~~~

Bezugsquellen

Es folgen einige Affiliate-Links. Wenn Du das Buch kaufen möchtest und dafür einen der folgenden Links benutzt, erhalte ich eine kleine Provision. Damit finanziere ich dieses Blog. Für Dich entstehen dabei keine Zusatzkosten.

in Deutschland

in der Schweiz

in Österreich

Weitere Artikel zum Thema Gefühle