Dieser Beitrag im Schweizer Radio von vor ein paar Tagen hat im Facebook zur gewohnten Polemik besorgter Bürger geführt.

„Wer hier leben will soll gefälligst deutsch lernen und wer er das nicht will, soll er den Dolmetscher aus der eigenen Tasche bezahlen.“

Jep. Wenn es nicht so kompliziert wäre, dann wäre es eigentlich ganz einfach.

Schon seit Jahren, nämlich seit der Einführung der Fallpauschalen, klagen die Schweizer Spitäler, allen voran die grossen Universitätsspitäler, dass ihre Kosten für Dolmetscher und Übersetzer von niemandem bezahlt werden. Sie sind nicht in den Fallpauschalen inbegriffen, sie können nicht den Behandlungskosten angerechnet werden, und sie können auch nicht einfach so an die Patienten weiter verrechnet werden. Am Ende landen die Kosten bei den Spitälern selbst, bei den Patienten, bei den Kantonen oder halt doch irgendwie auf verzweigten Wegen bei den Krankenkassen.

Anders gesagt: Es gibt keine einheitliche Regelung, und erst recht keine befriedigende Regelung.

Soll man deshalb auf Dolmetscher- und Übersetzerdienste verzichten für Menschen, die diesen Dienst nicht aus eigener Tasche bezahlen können?

Denken wir das mal kurz ernsthaft durch.

In den meisten Kantonalen Spitalgesetzen haben Patienten ein Recht darauf, «rechtzeitig, angemessen und in verständlicher Form über die Vor- und Nachteile sowie die Risiken der Behandlungen und möglichen Alternativen» aufgeklärt zu werden. Verständlich heisst in diesem Zusammenhang nicht nur, dass der Arzt/die Āžrztin etwas ohne allzuviel technisch-medizinischen Fachjargon erklären soll, sondern hier ist das Verständlich auch wortwörtlich auf die Sprache bezogen. Wenn also Āžrzt/in und Patient/in keine gemeinsame Sprache sprechen, was tun?

Der Tagesanzeiger beschrieb dei Problematik schon 2016:

Die Kosten für Dolmetscherdienste sind weder in den Fallpauschalen berücksichtigt, noch werden sie durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung abgedeckt. Sie auf die Patienten zu überwälzen, ist kaum opportun, sind doch diese meist mittellos. Das heisst: Die Kosten bleiben am Spital hängen.

Tagesanzeiger: Sprachprobleme führen zu gefährlichen Situationen

Jetzt könnte man natürlich einfach sagen: Wer sich keinen Dolmetscher leisten kann, muss halt darauf verzichten. Damit wären wir bei dem Beispiel, das im oben erwähten Artikel des Tagesanzeigers erwähnt wird: Eine Person mit Diabetes Typ II, die aber die Anweisungen der Fachleute bezüglich Diät nicht verstehen und deshalb auch nicht befolgen kann… Ein Missverständnis kann tödlich sein!

Oder stellen wir uns vor, ein Patient versteht während der Anamnese die Fragen nach Allergien, Kinderkrankheiten, Blutgruppe, Vorerkrankungen, Süchten, eingenommene Medikamente usw. nicht – oder kann sich nicht korrekt mitteilen. Das kann ganz schnell zu lebensgefährlichen Situationen führen.

Wenn man über Menschen liest, die die örtliche Sprache nicht verstehen, denken viele besorgte Bürger automatisch an hier lebene Ausländer, am wahrscheinlichsten noch Asylbewerber/innen und langjährige Sozialhilfebezüger/innen, die sich weigern, Deutsch zu lernen.

Aber ein Teil des Problems liegt in der Struktur unseres Landes: Wir sind viersprachig. Die wenigsten beherrschen eine zweite oder dritte Landessprache auf einem Niveau, das ein medizinisches Fachgespräch ermöglichst. Oh, man lernt schnell, wenn man muss. Aber grad im Falle eines Unfalles hat man nicht gleich das ganze medizinische Fachvokabular präsent. Und ich, die ich seit fast 30 Jahren in der französischen Schweiz lebe und selbst als Übersetzerin und manchmal auch Dolmetscherin zwischen Französisch und Deutsch arbeite, nicht mal ich würde gleich aus dem Stegreif sagen wir alle Allergene auf Französisch wissen, die in unserer Familie vorkommen, geschweige denn wissen, wie die Kinderkrankheiten auf Französich heissen, die ich schon gehabt habe, oder die Knochen, die sich der Kurze schon gebrochen hat. Solche Dinge kennt man nicht mal entspannt, im Alltag, und erst recht nicht kann man sie unter Stress in einer Ausnahmesituation einfach mal schnell abrufen.

Als unser Kurzer als Baby ein ALTE hatte und er in ein Universitätsspital verschoben werden musste, war unsere erste Reaktion deshalb die Bitte, ihn ins Inselspital zu verschieben, so dass wir mit seinen Āžrzten reden konnten. Man empfahl uns jedoch das CHUV in Lausanne, weil dort zu diesem Zeitpunkt einer der weltweit besten Neugeborenen-HNO-Chirurgen lehrte und operierte und das CHUV das modernere Equipment hatte, als die Insel. Als ich meine sprachlichen Bedenken äusserte, hiess es gleich: Selbstverständlich haben Sie ein Anrecht auf einen Dolmetscher, der bei den Gesprächen zugegen sein wird. Am Ende haben wir diesen Dienst nicht in Anspruch nehmen müssen, weil es auch ohne ging. Aber das Wissen um seine Existenz ermöglichte es uns als Eltern, für unser Baby die best mögliche medizinische Entscheidung zu treffen, die in unserem Land möglich war, anstatt nur wegen der Sprache in ein weniger geeignetes, weniger gut ausgerüstetes Spital mit einem weniger guten Arzt gehen zu müssen, nur um uns verständigen zu können.

Die Distanzen sind in der Schweiz kurz, die Sprachgrenzen liegen nah beinander. Und sehr oft leigt das geografisch bzw. streckenmässig gesehen am nächsten liegende Spital in einem Kanton, in dem eine andere Sprache gesprochen wird. Es wird gespart, Spitäler geschlossen, zusammengelegt, zentralisiert und plötzlich fährt mich die Ambulanz von Gals nach Neuchâtel statt nach Lyss, weil die Zeit knapp ist und es medizinisch mehr Sinn macht – und plötzlich habe ein (sprachliches) Problem.

Oder ein Kind verunfallt schwer und wird von der Rega ins nächst gelegene Universitäts-Kinderspital geflogen, ohne dass vorher jemand abklärt, ob seine Eltern die lokale Sprache beherrschen. Ich mag mir nicht vorstellen wie es sein muss, wenn sein Kind stirbt und man all die damit zusammenhängenden Entscheidungen treffen und Formulare ausfüllen und unterschreiben muss, ohne die Sprache zu beherrschen und ohne Hilfe mit der Sprache zu bekommen.

Und man kann ja nicht davon ausgehen, dass die behandelnden Āžrzt/innen mehr als eine Landessprache beherrschen. Denn wie in der Deutschschweiz viele Āžrzt/innen aus Deutschland arbeiten, die in der Schule weder Französisch noch Italienisch hatten, sind hier in der Westschweiz sehr viele Französ/innen beschäftigt, die ihrerseits in der Schule kein Deutsch hatten. Man kann also nicht automatisch davon ausgehen, sich überall in seiner Muttersprache (oder wenigstens Hochdeutsch) verständigen zu können!

Aus diesen Gründen finde ich die Forderung nach einem Recht auf sprachlichen Beistand in seiner Muttersprache für berechtigt und unterstütze sie. Ich finde es auch gut, wenn die Kostenübernahme auf nationaler Ebene geregelt wird, um standortabhängige Diskriminierungen vorzubeugen. Ob die Kosten dafür von den Kantonen oder den Krankenkassen übernommen werden, ist mir einerlei, denn am Ende bezahlt sie ja doch die Allgemeinheit. Entweder über die Krankenkassenprämien oder über die Einkommenssteuern.

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