Am 13. März 2020 hat sich die Zeitqualität verändert. Das war ein Freitag und die ganze Schweiz hing ab 14 Uhr am Bildschirm, um zu erfahren, was der Bundesrat bezüglich Epidemieeindämmung entschieden hatte.

An jenem Nachmittag bin ich in eine andere Zeitblase eingetreten und seither nie mehr herausgekommen. Hier, in der Covid-Zeit, vergeht die Zeit anders. Viel langsamer, unendlich zäh sogar, und gleichzeitig irrsinnig schnell. Die Stunden tröpfeln und die Wochen und Monate rasen – es wird einer ganz schwindlig.

Erst noch hörten wir in den Nachrichten von diesem neuen Virus in China und dachten, dass uns das nichts angehe und zack, sind wir dagegen geimpft und hoffen darauf, dass die EU das mit dem Covid-Pass noch vor unseren geplanten Sommerferien in Kroatien auf die Reihe bringt, weil sonst die drei (!) Grenzübergänge von hier nach dort unendlich kompliziert und teuer werden würden.

Dazwischen waren die Tage lang und immer gleich, aufstehen, Frühstück, Schule, arbeiten, kochen, Mittagsschlaf, Kaffee, arbeiten, Hausaufgaben, kochen, Haushalt, schlafen… Was zwar überhaupt nicht stimmt, aber sich trotzdem so anfühlt.

Einfach um es selbst auf die Reihe zu kriegen, fasse ich hier dieses ver-rückte Jahr kurz zusammen. Vielleicht interessiert es ja auch die Eine oder Andere von euch, wo wir abgeblieben sind…

Februar 2020

Im Februar ging es in Norditalien los und wir rieben uns staunend die Augen. Aber „es“ war weit weg, und wir glaubten immer noch, dass „so etwas“ bei uns nicht passieren könne. Dann war „es“ im Tessin. Wir witzelten, man müsse den Gotthard schliessen. Als meine Schwester mit dem Kurzen an die Fastnacht wollte, war mir unwohl und ich war froh, als diese von den Behörden abgesagt wurde. Die Spitäler machten sich bereit.

März 2020

Das Virus kam immer näher und war plötzlich überall. Eine Woche, nachdem wir zusammen ein Bier getrunken hatten, bekam ein Bekannter „die schlimmste Grippe seines Lebens“ und kam kaum mehr auf die Füsse. „Es“ war bei uns im Dorf angekommen. Informationen prasselten von allen Seiten auf uns ein und es gab kein anderes Thema mehr. Als Mitte Monat von Freitag auf Montag die Schule schloss, atmeten wir erleichtert auf. Die Regierung handelte – das gab uns Zuversicht.

April 2020

Der Bub war im Homeschooling und dann waren auch noch Frühlingsferien. Es war herrliches Wetter aber man wusste nicht, ob die Kinder draussen gefahrlos zusammen spielen konnten oder nicht. So vieles war zu dem Zeitpunkt noch unklar! Wir waren lieber vorsichtig – also musste ich nicht nur als Lehrerin, sondern auch als Spielkameradin herhalten. Gleichzeitig arbeitete ich vollzeit. Gegen Ende des Monats hatte der Mann dann Kurzarbeit und war öfter zuhause, das gab Luft. Die Regierung rief dazu auf, zuhause zu bleiben.

Mai 2020

Der Arbeitgeber des Mannes hatte ihm vorgeschlagen, den ganzen Mai daheim zu bleiben – bei 80% Lohn! Wir mussten rechnen, aber es ging irgendwie. Wenn man weder wegfahren noch ins Restaurant kann, spart man viel Geld! Wir verbrachten praktisch den ganzen Monat im Garten, bauten ein kleines Treibhaus und zwei Hochbeete. Nach dem Hamsterrad der letzten Jahre genossen wir die gemeinsame Zeit! Mir war nur allzu bewusst, dass der Bub langsam in die Pubertät kommt und die Kameraden immer wichtiger werden und wir Eltern langsam abgeschrieben.

Juni 2020

Die ersten Öffnungen nach dem „Lockdown“ – der in der Schweiz gar keiner war – erfüllten mich mit Besorgnis, besonders die Idee, dass der Kurze wieder mit 20 anderen in einem Klassenraum sitzen sollte. Gesellschaftsleben fand zur Zeit höchstens über den Gartenzaun hinweg statt. Ich kochte unendlich viele Konserven ein und probierte neue Rezepte aus, und der Kurze hatte endlich genug Geld gespart, um sich die heiss ersehnte Les Paul zu kaufen. Ich erfüllte mir einen alten Traum und startete noch einen Lehrgang.

Juli 2020

Grosse Sommerferien! Die Dorfkinder zogen in Horden um die Häuser oder trafen sich auf dem Fussballplatz. Bei mir blieben ferienbedingt die Aufträge aus, so hatte ich genug Zeit, um den Pflanzen und Blumen beim Wachsen zuzusehen. Lange Abende im Freien. Weil wir Lust auf Menschen hatten und es wieder möglich wurde, haben wir in den letzten zwei Juliwochen ein Dorfest zur Schweizer Nationalfeier aus dem Boden gestampft.

August 2020

Resten essen und Nationalfeier aufräumen brauchte dann auch wieder ein paar Tage. Wir liessen uns nicht stressen, sondern genossen die gemeinsame Zeit im Garten und am See. Ein kleines „Türli de Suisse“ mit dem Landrover führte uns ins benachbarte Frankreich, den Gantrisch, ins Oberland und über das untere Emmental wieder nachhause. Kurz, intensiv, kulinarisch wertvoll. Wir hüpften in jeden Bach rein, der an unserem Weg lag. Danach waren wir jeden Abend am See oder im Schwimmbad. Es war sauheiss. Weil man wieder relativ gefahrlos konnte, gab es auch noch ein Familientreffen im kühlen Adelboden. Derweil explodierte unser Treibhaus fast vor lauter Tomaten.

September 2020

Die neue Schule, wegen der ich mir so grosse Sorgen gemacht hatte, stellte sich als Segen heraus: Kurzer mag seinen neuen Lehrer sehr, geht gerne zur Schule und erzielt die entsprechenden Resultate. An einem Wochenende bauten wir Kurzens Zimmer um und richteten es neu ein. Meine Mutter fuhr nach einer OP in die Kur und ich nahm mir einen ganzen Tag frei von der Familie, um sie im Oberland zu besuchen. Dabei fuhr ich durch das Gürbetal, wo ich aufgewachsen bin und tankte neue Energie. Ich sollte sowas öfter machen!

Oktober 2020

Die zweite Covid-Welle überrollte die Schweiz und wir entschieden, in den Herbstferien nicht wegzufahren. Stattdessen richteten wir das Wohnzimmer neu ein, oder überhaupt endlich einmal, jedenfalls wurde es ziemlich hell und geräumig. So weit man halt in einem mittelalterlichen Altbau von hell und geräumig sprechen kann. Den 11. Geburtstag des Kurzen konnten wir gerade noch würdig bei einer Kinovorstellung in der Turnhalle mit seinen Kameraden feiern. Danach verhängte die Regierung neue Kontaktverbote. Die Kinder freuten sich über Back to the Future und dass die Zukunft auch schon wieder vorbei ist und ganz anders, als man sich das in den 1980er Jahren gedacht hatte. Halloween ohne Quartierfest und verkleidete Kinder war doof. Richtig doof. So doof, das Kurzer weinte und alles Scheisse fand.

November 2020

Immer alles gleich. Ich hörte auf, im Coworking-Space zu arbeiten. Die dunkle Jahrezeit ging mir schon jetzt auf die Senkel, dabei fing sie gerade erst an. Kurzer hatte die Schnauze gestrichen voll von Covid, vom Rücksicht nehmen müssen, davon, seine Kumpels ausserhalb der Schule kaum mehr zu sehen. Kochen für’s Gemüt: Pommes, Gemüse aus dem Bioladen, und Fleisch vom Bauernhof. Arbeiten, essen, schlafen, arbeiten, essen, schlafen. Dunkelheit und Nebel. Um auf andere Gedanken zu kommen, startete ich ein neues Projekt – einen Youtube-Kanal. Ich wollte mich wieder mal über etwas freuen, aber es blieb bei einem einzigen Video.

Dezember 2020

Wegen Covid konnten wir unsere traditionelle Nikolausfeier am Picknickplatz nicht durchführen. Das ganze Dorf war deprimiert, allen voran die Kinder. Deswegen liessen wir uns etwas einfallen und mein Mann, der Kurze und ich stampften in wenigen Tagen mit etwas Hilfe der Dorfschullehrerin und Geld von der Gemeinde eine covidtaugliche Nikolausaktion aus dem Boden. Die Reaktionen wärmten uns die Seele! Die Adventszeit ohne Stress war hingegen ganz nach meinem Geschmack. Die Sonnenwendfeier war eigenartig – normalerweise machen wir zu den Sonnwenden und Āžquinoxen eine Feuerschale und ein Apéro im Quartier. Diesmal standen nur wir drei draussen, und erst noch im Garten statt im Städtchen. Weihnachten mit der Grossfamilie wurde abgesagt, dafür gab es ein Zoom-Apero. Alle taten so, als hätten sie Spass dabei.

Januar 2021

Pandemüde. Den Begriff las ich auf Twitter und fand ihn sehr passend. Es fehlte an Licht, an den geliebten Menschen, an Abwechslung. Der kurzfristige Wartezustand ging in ein ewigs Provisorium über. „Nur schnell die Ansteckungen drücken, dann wird alles wieder gut“ hat nicht funktioniert. Puzzeln als einzige Abwechslung. Ich schwankte zwischen Wut auf die, die sich nicht an die Anweisungen hielten und Wut auf mich selber, weil ich es tat und das überhaupt nichts änderte. Warten – aber auf was?

Februar 2021

Kurzer lernte kochen, so langweilig war es ihm ohne seine Kollegen. Der Schnee war nur Matsch, es reichte nicht zum Schlitteln oder Skifahren. Die Sonne gewann ein Bisschen an Kraft und wir genossen an den Sonntagvormittagen ein paar schöne Wanderungen. Spazieren, kochen, essen, arbeiten, schlafen – alles fühlte sich gleich an.

März 2021

Warten. Immer noch. Wann ist der Mist endlich zu Ende? Am 29. erhielt ich meine erste Impfung und heulte, als ich wieder im Auto sass. War’s das jetzt?

April 2021

Oster und Frühlingsferien… man merkte kaum etwas davon. Mir war bisher gar nicht so bewusst gewesen, wie sehr diese jährlichen Festtage uns in Raum und Zeit verankern. Am 12. April wurde ich 50. Wir feierten im winzig kleinen Rahmen. Ich genoss es – bald wäre unsere Dreisamkeit vorbei und wir würden wieder in alle Himmelsrichtungen auseinander streben. Die grosse Party wird nachgeholt, versprochen! Den Rest des Monats wartete ich auf meine zweite Impfung und hatte fast mehr Aufträge als ich prästieren mochte, deswegen arbeitete ich auch an den Wochenenden. Was sollte man sonst tun?

Mai 2021

Wie lange regnet es jetzt schon? Drei Wochen? Vier? Mein Zeitgefühl ist völlig aus dem Takt. Aber bald ist Sommer, bald kommt die Sonne raus, bald wird alles wieder gut. Sehen wir uns am Strand?

Corona-Zeit: Zwei Jahre mit der Pandemie
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