In diesem Jahr hat die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Schweiz ein paar Rückschläge einkassieren müssen: Beim Sexualstrafrecht, beim Scheidungsrecht, sowie beim Rentenalter. Deshalb gehen wir am 14. Juni auf die Strasse.

Kein Nein ist noch lange kein Ja!

Ausnahmslos alle anständigen Menschen wollen nur mit einem Partner oder einer Partnerin schlafen, die das auch möchte. Mein 12-jähriger Sohn findet das völlig logisch – aber unser Bundesrat und das Parlament nicht. Weil „Nur Ja heisst Ja“ zu übertrieben vielen Anzeigen führen könnte (führen nicht eher sexuelle Übergriffe zu Anzeigen?), sprach sich der Ständerat Ende letzte Woche, als es um die dringend nötige Reform des Sexualstrafrechts ging, für die Variante „Nur Nein heisst Nein“. Derweil erblödete sich ein bekannter Zürcher Nationalrat nicht, „Jede grosse Liebe beginnt mit einem Nein der Frau“ zu twittern – während das Parlament über die Definition von Vergewaltigung diskutiert wurde!

Am gleichen Tag, an dem sich der Ständerat für die Variante „Nur Nein heisst Nein“ aussprach, gab das Bundesgericht einer Beschwerde Recht, dass Stealthing – das heimliche Ausziehen des Kondoms während des Geschlechtsaktes, ohne die Zustimmung der Partnerin – keine Sexualstraftat (oder in Schweizerischem Rechts-Deutsch: „Schändung“) sei.

In Verbindung mit der verabschiedeten Gesetzesänderung heisst das dann also: Wenn eine Frau mit einem Mann mitgegangen ist, und nicht vor Zeuginnen oder Zeugen laut und deutlich „NEIN“ gerufen hat, dann habe sie automatisch zum Sex eingewilligt und somit automatisch auch zum Beischlaf ohne Kondom und zwar sogar auch dann, wenn vorher die Benutzung eines Kondoms vereinbart wurde. Wobei schon ein „bitte benutze wenigstens ein Kondom, wenn du mich schon gegen meinen Willen penetrierst“ in unserem Land als Einwilligung zum Geschlechtsverkehr angesehen wird.

Gleichstellung nach der Scheidung – wurde da nicht etwas vergessen?

Noch ein anderes Bundesgerichtsurteil gab im April zu reden: Zukünftig soll eine geschiedene Hausfrau kein Anrecht auf Ehegattenunterhalt mehr haben, sondern muss selbst für ihren eigenen Unterhalt aufkommen. Und zwar auch dann, wenn sie jahrelang als nicht erwerbstätige Hausfrau ihre berufliche Laufbahn unterbrochen und stattdessen ihrem Mann seine Karriere ermöglicht hat.

Statt also die ökonomischen und organisatorischen Konsequenzen aus vergangenen Lebensentscheidungen gerecht auf beide Scheidungsparteien zu verteilen, werden Männer neuerdings sowohl von den daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen als auch von der Verpflichtung zur Care-Arbeit entlastet. Dafür wird den Frauen neben der Care-Arbeit auch noch volle Erwerbstätigkeit aufgehalst, während im Gegenzug aber niemand die Väter bei der Care-Arbeit in die Pflicht nimmt.

Das hat mich schon im April so hässig gemacht, dass ich im Artikel „Keine Ausreden mehr, meine Herren“ bei Beehive darüber gerantet habe und die Anwältin Dana Matanovic hat im Interview erklärt, wieso das besagte Grundsatzurteil problematisch ist: „Die Gerichte sollten Väter in die Pflicht nehmen“.

Schon heute sind die meisten Armutsbetroffenen in der Schweiz alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern. Durch die neusten Entscheidungen der Gerichte wird sich diese Situation weiter verschärfen, denn mit den hohen Ansprüchen der heutigen Arbeitswelt lässt es kaum ein Beruf zu, 100% zu arbeiten und daneben noch Kinder alleine zu betreuen.

Väter können sich weiterhin aus der Betreuungsverantwortung schleichen, wenn sie es darauf anlegen, und bezahlen werden es am Ende die Kinder!

Auch die Rente findet ohne Care-Arbeit statt

Und gleich noch nachgedoppelt, sollen jetzt also die Frauen, die zeitlebens 100% arbeiten und 100% Kinder betreuen sollen, dies auch noch zwei Jahre länger tun und das, obwohl sie im Schnitt nur 1/3 der der AHV-Renten der Männer erhalten.

Frauen arbeiten wegen der Care-Arbeit öfter Teilzeit und ihre Löhne sind deswegen auch öfter nicht Pensionskassenpflichtig. Deswegen müssen so viel mehr Frauen als Männer nach der Pensionierung Ergänzungsleistungen beantragen, um ihre AHV-Rente auf das Existenzminimum aufzustocken. Die AHV wird also mehr oder weniger durch Umverteilung von der AHV zu den Ergänzungsleistungen, und auf dem Rücken der Frauen, saniert.

Übrigens: Wenn endlich der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ überall konsequent umgesetzt würde, käme damit mehr Geld in die Rentenkassen als durch die Erhöhung des Rentenalters für Frauen… Ich mein‘ ja nur! Vielleicht wäre es sogar genug, um das Rentenalter für alle auf 63 Jahre zu senken – damit wäre dann auch der Forderung nach Gleichberechtigung für die Männer Genüge getan.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Diese Modelle von Gleichbereichtigung, wie das bürgerliche Parlament sie sich, sind mehr als realitätsfremd. Es kommen darin keine Familien vor, keine Kinder, keine pflegenden Angehörigen, überhaupt niemand, der unbezahlte Care-Arbeit übernimmt. Wenn dies niemand mehr tut, dann wird der Staat tief in die Taschen greifen müssen, denn wenn man die durch Frauen erledigte Freiwilligenarbeit und unbezahlte Care-Arbeit bezahlen müsste – das EDI spricht von 80 Milliarden Franken pro Jahr, die diese Arbeit wert sei.

Diese Arbeit würde dann wiederum von Frauen erledig, einfach bezahlt statt unbezahlt, damit sie im Anschluss jemanden bezahlen können, der ihre eigenen Angehörigen pflegt, während sie die Angehörigen anderer Frauen pflegen,…– Ihr merkt schon, worauf ich hinauswill. So ergibt das einfach keinen Sinn!

Aus diesen und noch vielen anderen Gründen werden ich, wie so viele andere Frauen und Alliierte, am 14 Juni 2022 am Frauenstreik teilnehmen. Einfach weil es nötig ist, weil so vieles, was Frauen, Mütter und Familien betrifft, in diesem Land immer zuhinterst auf der Prioritätenliste landet. Nur am Muttertag gibt es Blumen und das reicht einfach nicht!

Es reicht! Wir sind die Hälfte der Bevölkerung, wir erledigen rund 2/3 der gesamten Arbeit aber kriegen nur rund 1/3 der Rente.

Wir fordern:

  • Existenzsichernde Renten auch für Frauen
  • Endlich flächendeckend gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit
  • Keine Erhöhung des Rentenalters für Frauen, solange die Lohngleichkeit und Rentengleichheit nicht umgesetzt ist
  • Gleichstellung bei der unbezahlten Arbeit und der Care-Arbeit

Ich streike am 14. Juni 2022. Wie es sich für eine brave Schweizer Frau gehört, zwischen 18 – 20 Uhr: Nach der Erwerbsarbeit und vor der Familienarbeit. Kommt Ihr auch?

gedanken zum frauenstreik 2022
Immer noch hässig:
Gedanken zum Frauenstreik 2022