Alina Bronsky: "Baba Dunjas letzte Liebe" (Roman) 213ce92cfdb34c8b82da7aa9b574c30cAlina Bronsky: "Baba Dunjas letzte Liebe" (Roman) plzm

Neulich stiess ich im Internet auf einen Bericht über alte Frauen, die trotz des Verbots in ihre Dörfer in der Sperrzone in der Nähe von Tschernobyl zurückgekehrt sind. Sie wollen ihren Lebensabend lieber in ihren eigenen Häusern zu verbringen statt in den seelenlosen Neubausiedlungen, in die sie nach dem Reaktorunglück von der Regierung umgesiedelt worden waren. Ich teilte das Posting und gleich zwei Bekannte fragten mich: «Kennst du das Buch Baba Dunjas letzte Liebe?» Nein, ich kannte es noch nicht und ich gebe zu: Das war eine unverzeihliche Bildungslücke!

Die Handlung

In „Baba Dunjas letzte Liebe“ finden wir die Protagonistin Dunja (Baba heisst Grossmütterchen) in Tschernowo, einem fiktiven Dorf mitten in der Sperrzone von Tschernobyl. Einige der Bewohnerinnen und Bewohner sind zurückgekehrt, wohlwissend, dass ihr Dorf und die Umgebung kontaminiert sind und dass die Welt sich anderswo weiterdreht. Doch Baba Dunja und ihre Nachbarn haben sich bewusst dafür entschieden, diese verlassene Gegend wieder zu ihrer Heimat zu machen – hier, an einem Ort, der geprägt ist von Vergänglichkeit, Erinnerungen und einer eigentümlichen Ruhe. Die seltsame Stimmung aus Unberührtheit und Bedrohlichkeit gibt der Geschichte ihren ganz besonderen Ton.

In Tschernowo verschwimmen die Grenzen zwischen Leben und Tod, Realität und Erinnerungen. Gleich zu Beginn stirbt der Hahn der Nachbarin. Baba Duna kocht aus ihm eine Hühnersuppe – und kurz darauf sitzt der Hahn wieder auf dem Zaun und kräht. Diese Geisterhaftigkeit durchzieht das Buch und verleiht dem Alltag der Figuren eine Art sanften Zauber. Die Toten mischen in Tschernowo kräftig mit, und für Baba Dunja sind sie genau so präsent, wie die Lebenden, und sie halten sich nicht mit Kommentaren zurück.

Baba Dunja führt ein einfaches, aber durch und durch liebenswertes Leben. Sie kümmert sich um ihre Nachbarinnen und Nachbarn und pflegt ihren Garten. In regelmässigen Abständen schreibt sie Briefe an ihre Tochter und ihre Enkelin, die beide in Deutschland leben. Ab und zu fährt sie mit dem Bus in die nächstgelegene Stadt, um die Briefe zur Post zu bringen und ein paar Einkäufe zu tätigen – und kehrt sie immer wieder in die kontaminierte Stille ihres Dorfes zurück. Bis auf die wenigen Male, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Strahlenschutzanzügen herkommen und die Strahlung in Baba Dunjas eingemachten Pilzen messen, passiert eigentlich nicht viel.

Alles ändert sich jedoch, als eines Tages ein Fremder mit seiner kleinen Tochter im Dorf auftaucht. Was zunächst nach einer harmlosen Begegnung aussieht, bringt Unruhe in die verschworene Gemeinschaft. Selbst Baba Dunjas verstorbener Mann scheint von diesem Ereignis nicht unberührt und gibt seine Meinung kund. Plötzlich wird Tschernowo, dieses friedlich-verlassene Stück Erde, zur Bühne für Konflikte und Offenbarungen.

Meine Gedanken zu Baba Dunja und dem Roman

„Baba Dunjas letzte Liebe“ hat mich sehr berührt. Alina Bronsky gelingt es, mit einfachen Worten und einem humorvollen Ton die Tiefe und Würde ihrer ungewöhnlichen Heldin zum Leben zu erwecken. Baba Dunja bleibt mit beiden Beinen fest auf dem Boden, während die Welt um sie herum schwebt. Ihre Weisheit, ihr trockener Humor und ihre selbstverständliche Art, mit der sie sowohl Lebende als auch Verstorbene anspricht, machen sie zu einer faszinierenden Figur. Sie ist keine, die sich selbst bemitleidet – eher eine, die mit einem leichten Schulterzucken sagt:

„Wenn ich mich in meinem Alter noch über Menschen wundern würde, käme ich nicht einmal mehr zum Zähneputzen.“

Die Stärke dieses Romans liegt in Bronskys einzigartigem Gespür für ihre Figuren. Die Autorin „behandelt“ ihre Protagonisten liebevoll und mit Respekt. Die Bewohner von Tschernowo sind nicht nur eine Handvoll Verrückter, die in die Sperrzone zurückgekehrt sind. Jeder von ihnen hat seine Gründe, seine Geschichten, Ängste und Hoffnungen. Jeder von ihnen hat etwas verloren, und jeder hat sich entschieden, mit diesem Verlust auf seine Weise umzugehen. Sie akzeptieren das Risiko, in einem verseuchten Gebiet zu leben, denn es ist ihr Zuhause. Diese Entscheidung, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen und trotz der Radioaktivität hier zu leben und zu sterben, lässt einem als Leserin nicht unberührt.

Stil und Atmosphäre

Alina Bronsky bringt es fertig, eine Geschichte über Tod und Vergänglichkeit zu erzählen, ohne dabei düster oder gar depressiv zu werden. Im Gegenteil: Der Ton ist leicht, oft humorvoll, und die ernsten Themen werden mit einer Leichtigkeit verhandelt, die man selten sieht. Der „magische Realismus“ Bronskys hält das kleine Dorf und seine Bewohner in einer poetischen Schwebe fest. Geisterhafte Elemente wie der Hahn, der nach seinem Tod weiterhin kräht, geben dem Buch einen surrealen, fast märchenhaften Touch. Die Figuren leben mit ihren Geistern – und lassen uns spüren, dass es im Grunde vielleicht keinen Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart gibt.

Nachdenken über Heimat und Vergänglichkeit

Obwohl es sich um ein kurzes Buch mit nur 154 Seiten handelt, regt „Baba Dunjas letzte Liebe“ zum Nachdenken an. Bronsky wirft darin Fragen auf, die weit über die Geschichte hinausgehen: Was bedeutet Heimat, wenn sie nicht mehr existiert, wie man sie kannte? Wie lebt man weiter, wenn das Leben einem den Boden unter den Füssen wegzieht? Und was bleibt von uns, wenn alles andere zerfällt? Baba Dunjas Geschichte ist vielleicht ein klein wenig nostalgisch, aber gerade das verleiht ihr eine Tiefe, die lange nachhallt.

In einer Zeit, in der Veränderung oft als das einzig Konstante erscheint, steht Baba Dunja wie ein stiller Fels in der Brandung. Ihre Geschichte erinnert uns daran, dass wir auch dann in Würde leben und eigene Entscheidungen treffen können, wenn die Umstände gegen uns sind. Die kauzige alte Dame Baba Dunja mit ihrem Mutterwitz und ihrer Lebensweisheit ist mir sehr ans Herz gewachsen – vielleicht weil sie mich ein wenig an meine eigenen Grosseltern erinnert?

Fazit

Alina Bronskys „Baba Dunjas letzte Liebe“ ist ein kleines literarisches Juwel! Der Roman zeigt einem, dass das Leben nicht immer spektakulär sein muss, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Auch wenn die Geschichte an der Oberfläche ruhig und unspektakulär wirkt, schwingt im Hintergrund eine tiefe, stille Kraft mit, die einen zum Nachdenken bringt. Vielleicht ist es genau das, was Bronsky mit ihrem Buch erreichen will: dass wir einen Moment innehalten und uns fragen, was im Leben wirklich zählt.

Ich kann dieses Buch jedem empfehlen, der bereit ist, sich auf eine sanfte, nachdenkliche Reise und neue Gedanken einzulassen. Alina Bronsky erzählt eine Geschichte, die einem unter die Haut geht!

Alina Bronsky: „Baba Dunjas letzte Liebe“
Zum Pinnen und Teilen:
Alina Bronsky: „Baba Dunjas letzte Liebe“

Informationen über „Baba Dunjas letzte Liebe“

Alina Bronsky Baba Dunjas letzte Liebe Buchcover

„Baba Dunjas letzte Liebe“
Alina Bronsky
Kiepenheuer & Witsch, 2015
ISBN: 978-3-462-05472-9
Erhältlich als Hardcover, Taschenbuch, E-Book und Hörbuch

Baba Dunja ist eine Tschernobyl-Heimkehrerin. Wo der Rest der Welt nach dem Reaktorunglück die strahlenden Waldfrüchte fürchtet, baut sie sich mit Gleichgesinnten ein neues Leben auf. Doch dann kommen Fremde ins Dorf – und die Gemeinschaft steht erneut vor der Auflösung.
Voller Poesie, Herz und Witz erzählt Alina Bronsky von einer aussergewöhnlichen Frau, die im hohen Alter ihr selbstbestimmtes Paradies findet.

Bezugsquellen

Deutschland

Schweiz

Österreich

Weitere Romane aus der Ukraine