„Armand darf man nicht umschubsen“, verkündete Kurzer neulich beim Abendbrot.
Seine Aussage hatte keinen Zusammenhang mit irgend etwas, das wir in den letzten Minuten diskutiert hatten.
„Wer ist Armand?“ fragte ich, obwohl ich die Antwort schon ahnte.
Und prompt: „Wer ist denn Armand, wer ist denn Armand, wer ist denn Armand?“-singend tanzte Kurzer singend durch die Küche.
Ach wie gut, dass niemand weiss, wer dieser Armand ist!
Langer und ich assen weiter. Nach ein paar Minuten setzt sich Kurzer auch wieder zu uns. „Armand kann nichts sehen“, verkündet er mit bedeutungsvoller Miene.
Meine Neugierde war geweckt.
„Was genau kann Armand nicht sehen?“ hakte ich nach.
„Er kann nichts sehen und er hat meinen Traktor genommen und Vanessa hat gesagt nicht schubsen und er darf meinen Traktor nehmen“.
„Und du hast ihm einen deiner Traktoren gegeben?“
Ich war erstaunt. Kurzer ist jemand, der seine Spielsachen nur mit sorgfältig ausgewählten Personen teilt.
„Lieb sein hat Vanessa gesagt“.
Vanessa ist die Betreuerin.
Es dauerte noch etwas, bis ich alle Informationen einzeln aus meinem wortkargen Sohn herausgequetscht hatte.
Armand ist ein blinder Junge, der seit Neuestem in der Kita in Kurzens Gruppe geht. Er spielt ganz normal mit den anderen Kindern, aber die Betreuerinnen halten ein Auge auf ihn.
Was mich bei der Sache fasziniert: Den Drei- und Vierjährigen ist es völlig wurscht, ob dieser Bub behindert ist oder nicht. Er klaut einem anderen Kind einen Spielzeugtraktor und wird dafür umgenietet. Er ist ein Knabe unter vielen, mit der einzigen Besonderheit, nichts sehen zu können. Kinder in dem Alter nehmen die Unterschiede zwischen ihnen einfach zur Kenntnis: Pierre hat einen roten Rucksack, Emma mag kein Obst, Lisa weint viel und Armand kann nichts sehen. Kinder in diesem Alter werten nicht und versuchen nicht, die anderen zu verändern. Sie nehmen sie, wie sie sind. Die soziale Umwelt wird nicht in zig Kategorien eingeteilt, sondern nur in zwei: „Mag ich“ und „Mag ich nicht“. Mehr braucht es in dem Alter nicht.
Erst die Bemühungen und das Eingreifen der Betreuerinnen machen aus Armand etwas Besonderes. Nicht seine Blindheit hebt ihn aus der Masse der anderen Kinder heraus, macht ihn zu jemadem, der nicht ganz dazu gehört, sondern das grundsätzliche Verbot, ihn niemals zu schubsen – auch nicht zur Selbstverteidigung – und das Gebot, besonders nett zu ihm zu sein. Gerade den letzten Punkt erachte ich als problematisch.
Wäre es nicht besser, sie würden nur dann eingreifen, wenn ein Kind wirklich grob würde und Armand tatsächlich gefährdet wäre, anstatt den anderen Kindern einzubläuen, sich ihm gegenüber besonders rücksichtsvoll zu verhalten? Sollte er nicht auch lernen dürfen, sich erst mal selber zu wehren, bevor jemand einschreitet, wie bei den anderen Kindern wo erst eingegriffen wird, wenn eines weint? Müsste das Ziel der Inklusion nicht sein, ihn so weit wie es nur irgend geht „Kind unter Kindern“ sein zu lassen statt „behindertes Kind unter nicht behinderten Kindern“?
Ich weiss es nicht. Deshalb würde ich mich über Eure Kommentare ganz besonders freuen. Was denkt Ihr darüber?
Oh, Katharina, das ist eine schwierige Frage. Ganz spontan möchte ich darauf antworten, dass ich es super finde, dass Armand in die gleiche Krippe wie dein Kurzer geht. Das ist für mich schon sehr viel der Inklusion. Ich staune sogar. Dass man ihn nicht „besonders“ behandeln soll, da bin ich jetzt grad etwas anderer Meinung. Armand IST anders. Er sieht nicht. Ich finde das eben schon noch entscheidend. Er hat nicht nur einen anderen Rucksack oder mag Fleisch lieber als Obst. Er sieht nicht. Das ist für mich wirklich eine andere Liga der Unterschiede zwischen Kindern. Dass man ihn daher weniger schubsen sollte als andere ist für mich normal und auch normal, dass man das den Kindern sagt. Sie müssen lernen, ücksichtsvoll miteinander umzugehen, eben weil Armand nichts sieht. Und wenn er geschubst wird, würde er wohl viel eher weinen, weil er vermutlich nicht mehr drauskommt und sich auch nicht wehren kann, weil er ja nicht einmal weiss, wer ihn geschubst hat. Nein, da bin ich anderer Meinung. Ich finde auch so – mit dieser Sonderbehandlung – lernen die Kinder in der Gruppe deines Kurzen ganz viel über Behinderungen und dem Miteinander leben. Auch wenn Armand ein bisschen geschützt wird. Und trotz Sonderbehandlung werden die „nichtbehinderten“ Kinder auch so ziemlich „normal“ (sprich: auch frech) mit Armand umgehen, was eben ein Stück der Normalität darstelltt, die du glaub meinst. Kinder sind ohnehin recht brutal zueinander, fadengrad, direkt, unverblümt. Armand bekommt auch mit Sonderbehandlung genung der „normalen Inklusion“.
Das war jetzt ganz spontan, was mir durch den Kopf gegangen ist. Ich bin nicht ausgebildet, ich habe es mir auch nicht zwanzig Mal überlegt. Es ist mein Gefühl im Bauch. Ich würde Armand auch ein bisschen besonders behandeln.
Nun bin ich gespannt auf weitere Kommentare, weil das Thema ist wirklich sehr spannend.
Meinem Bauchgefühl nach müssten sie besser unterscheiden zwischen „Rücksichtsnahme“ und „Extrawürsten“: Natürlich werden Vierjährige schnell körperlich und davor muss man ihn bis zu einem gewissen Grad schützen. Andererseits denke ich halt schon: Wenn er einem anderen Kind ein Spielzeug aus der Hand reisst, sollte man dem anderen Kind auch erlauben, es sich auf dieselben Weise zuückzuholen.
Natürlich geht Hauen nicht. Aber das müsste doch für alle Kinder gelten: Man pügelt sich nicht (oder nur zum sich verteidigen). Und Spielzeug wird geteilt. Punkt. Solche Regeln würde ich mir wünschen, dass sie für alle gelten und nicht speziell nur für das spezielle Kind.
Irgendwie ist für mich „positive Diskriminierung“ eben auch Diskriminierung. Ich glaube nicht, dass man damit den Kindern (auch dem speziellen Kind!) etwas Gutes lernt. Denn ob es dem blinden Bub hilft wenn er lernt, dass ihm seine Behinderung bei gewissen Dingen einen Vorteil verschafft?
Warum haben eigentlich immer alle Angst, Behinderung könnte ein Vorteil sein?
Selbst wenn es in einer EINZELNEN Situation so wäre…. Geschenkt, denn die Bilanz von Vor-und Nachteil ist ganz eindeutig.
Wie oft hat dein Junge einen Vorteil vor Armand, weil er sehen kann?
Ich bin weder „alle“ noch habe ich „immer Angst“.
Was würde denn „Armand“ verlieren, wenn man ihm erlauben würde, in seinem Tempo und nach seinen Möglichkeiten eigene soziale Erfahrungen selbständig zu machen, ohne dass gleich ein Erwachsenes präventiv eingreift, um das andere Kind zuückzupfeifen? Könnte er nicht auch etwas „gewinnen“ (und sei es nur an Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein), wenn erst dann eingegriffen würde, wenn es wirklich nötig wird, weil er selber nicht mehr zurecht kommt?
Hat nicht jedes Kind das Bedürfnis, möglichst autonom zu werden, auch behinderte Kinder und auch in sozialen Interaktionen?
Hi, Du „Ãbermutter“ Katharina,
langsam hab‘ ich wirklich genug davon fast täglich von dem „enormen Entwicklungsfortschritten“ von „Kurzem “ auf FB zu sehen / hören – !!,
(- diese sind altersentsprechend absolut normal..,abgesehen von diesem ekligen Ãko-Nuggi,.. den ein 4-1/2 jähriger – und stets enthusiastisch getragenes Kind überhaupt niemals nötig gehabt hätte- !! – )
Sei doch glücklich daüber,dass Lewis sich inzwischen mit Deiner Super-Mum-Hilfe bestens entwickelt.;-))).
Gewisse Rücksichtnahme auf körperlich oder geistig Behinderte in KITA’s, o. ä. finde ich deshalb absolut in Ordnung !!!!!
LG Elle
Ich bin auch froh daüber, dass er endlich entwicklungsmässig mit den anderen Dreieinhalbjährigen gleichzieht.
Wie Du weisst, hat mir sein Rückstand grosse Sorgen bereitet und es ist für uns eine grosse Erleichterung zu erfahren, dass der „Knoten“ langsam aufgeht. Das hat er übrigens ganz alleine geschafft, ohne unsere Hilfe. Meine Superkräfte liegen in einem anderen Bereich 😉
Eine gewisse Rücksichtsnahme auf Behinderte erachte ich ebenfalls als selbstverständlich.
Liebe Güsse zuück
Gibt es nicht Krankheiten, die die Knochen schnell brechen lassen? Ich vermute, der Junge ist von so was betroffen. Da würde ich die Kinder auch entsprechend instruieren.
Da bin ich überfragt, aber es ist natürlich möglich, dass da noch mehr ist.
Wie gesagt: Dass nicht geschubst oder gepügelt wird, ist selbstverständlich. Das war auch nicht mein Punkt.
Spontan sehe ich es ähnlich wie du. Zumindest den Teil mit dem „besonders nett sein“. Nicht schubsen kann man durchaus erklären (kann sich weh tun weil er nicht sieht wo er hinfällt) aber es wäre aus meiner Sicht nicht so förderlich wenn sich die Assoziation „Behinderung – besonders nett sein“ festsetzt, denn daraus kann schnell auch Ablehnung werden. Ist schlieÃlich doof wenn sich jemand mal schlecht benimmt und man sich gar nicht wehren darf – da spielt man lieber gar nicht mit dem.
Vielleicht könnte man die „Sonderregeln“ eher spielerisch herleiten indem man z.b. alle Kinder mal für eine stunde die augen verbinden lässt und Armand kann dann zeigen, wie man sich zurechtfindet.
Das finde ich eine gute Idee!
Für jemanden, der weniger oder andere Sinnesempfindungen hat als andere, ist es etwas ganz anderes, geschubst, hochgehoben usw. zu werden. Die Orientierung fehlt bzw. wird schwieriger hergestellt. Versetz dich mal in ein Fieber, du stehst auf mit wackeligen Beine… und wirst dann noch geschubst.
Oder du kannst nicht sehen, wo du hinstürzt, weiÃt nicht, wann und wodu dich abstützen kannst.
Jeder Mensch mit Sinnesbeeinträchtigungen ist schon ohne Zwischfälle einer Fülle von Hürden ausgesetzt. Hürden, die andere nicht haben, nicht sehen, nicht spüren, nicht verstehen.
Ja verflixt, die Kinder müssen Rücksicht nehmen. Inklusion ist keine einseitige Sache. Sie könnten auch was lernen, verbinde deinem Kurzen doch mal richtig die Augen und schubse ihn.
Angst wird er bekommen, schreien wird er.
Orientierungslosikgeit macht Angst.
Meinst du nicht, dass Armand die nicht schon oft genug zu spüren bekommt?
Natürlich darf er anderen Kindern nichts weg nehmen. Das muss er lernen wie alle anderen auch.
Sollte dein Kurzer ein Kind sein, dass sich wehrt, freu dich. Viele, viele Kinder schaffen das aus unterschiedlichsten Günden nicht.
Da kommt alte Wut in mir hoch, aus Spielplatztagen, wo Mütter von tollen Jungs immer meinten, die Kids regeln alles unter sich.
Und Weicheier wie meins sollen das auch gefälligst lernen.
Und noch was: die tollen Kids der Sandkiste sind heute teilweise pubertierende Nervensägen, deren Mütter auf einmal finden, man müsse Rücksichtauf ihre sensiblen Ableger nehmen.
Ganz ehrkuch: mein Kind musste sich trotz Extrawurst und Rücksichtnahme durchbeiÃen, mehr als gut für sie war.
Nun weinen die Mütter der Erfolgs-Prognostizierten?
Und ich müsse das doch verstehen…. Mach ich, aber Rücksicht iss nicht!
Bitte entschuldige, wenn ich mit meiner Frage bei Dir etwas getriggert habe. Das war nicht meine Absicht.
Nein, ich bin absolut auch nicht dafür, dass man in so einer Situation die Kinder nach einem darwinistischen Modell einfach machen lassen sollte.
Aber ich bin absolut dafür, dass man jedem Kind zuerst die Chance geben sollte, die eigenen Interessen wahrzunehmen / zu verteidigen, d.h. dass das anwesende Erwachsene erst einschreitet, wenn ersichtlich ist, dass das schwächere Kind dies nicht selber kann. Und nicht schon vorher.
Ich finde halt, beide Extreme sind ungesund: Ãberhaupt nicht eingreifen genau so, wie schon im Voraus eingreifen bevor überhaupt etwas passiert ist. Ich halte einen Mittelweg für am gesündesten: Eingreifen ja, aber erst dann, wenn das schwächere Kind sich selber nicht wehren kann.
Und ich bin überzeugt, dass es für „Armand“ ein Gewinn wäre wenn er erfahren dürfte, dass er in vielen Bereichen durchaus imstande ist, seine eigenen Interessen wahrzunehmen.
Unabhängig davon finde ich es wichtig, dass alle diese Kinder lernen, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Nicht nur die „unspeziellen“ auf die „speziellen“ sondern grundsätzlich Stärkere auf Schwächere etc. Für mich riecht das ein wenig komisch, wenn es schon fast heisst „dieser und jener haben eine Diagnose / Etikette, zu denen seid mal nett und die anderen dort sind einfach etwas langsamer / dümmer / schwächer aber noch knapp in der Normalverteilung drin, auf denen hackt nur ruhig rum, die müssen lernen sich zu wehren“. Ich wünschte mir, es würde mehr auf die realen Situationen und Bedürfnisse in der Situation drin geachtet, als auf die Diagnose, die schlussendlich noch überhaupt nichts daüber aussagt, ob ein Kind in dieser konkreten Situation besonderen Schutz durch Erwachsene benötigt oder nicht. Und auch die Abwesenheit einer Etikette darf nicht heissen, dass ein Kind nie Schutz benötigen könnte.
(ist das zu wirr was ich schreibe? ich wünschte mir einfach ein situatives/individuelles/bedürfnisgerechtes Eingreifen statt präventives Eingreifen aufgrund der sichtbaren Behinderung)
Stimmt, mit Diagnosen hat das nichts zu tun. Leider reduzieren unsere Institutionen die Kids immer darauf. Und wenn Eltern nicht immer nur Bittsteller sein wollen, müssen sie eine Diagnose anschleppen.
Ziehmlich daneben.
Hmm … ich hatte in dem Kindergarten, den meine Tochter besuchte, auch ständig das Gefühl, daà in einiger Hinsicht mit zweierlei Maà gemessen wurde, zumal sie als eines von vier „Integrationskindern“ in einem entsprechenden Kindergarten war. Es wurde von Anfang an gesagt, daà es bei der Integration „von behinderten Kindern“ (nicht etwa der genaue Wortlaut des Gesetzes) überwiegend darum ginge, daà sich die Integrationskinder gut entwickeln und die „normalen“ Kinder soziale Kompetenz lernen … Eigentlich nicht Sinn von Integration bzw Inklusion …
Ich weiss nicht, was die Zielvorgabe ist.
Aber ich bin überzeugt, dass wenn die Kinder miteinander und voneinander lernen sollen, sie auch die Möglichkeit haben müssen „aneinander“ zu lernen. Sowohl das spezielle Kind als auch die anderen. Jedes nach seinem eigenen Tempo und Möglichkeiten, selbstverständlich, aber doch so autonom und „selber“ wie immer nur möglich. Oder nicht?
Sehe ich auch so … Wobei der Kindergarten allerdings hauptsächlich Kinder integrativ aufnahm / aufnimmt, bei denen im weitesten Sinne eine „Wahrnehmungsstörung“ diagnostiziert wurde … da kann eine Bevorzugung der „Integrierten“ doch ziemlich daneben gehen …
Sorry Katharina, du bist nicht „alle „und hast auch nicht „immer Angst“. Meine Wortwahl ührt daher, dass die Sache mit dem vermeintlichen Vorteil so gerne bedient wird. Auch Lehrer, z.B.: ein autistischen Kind kann nur gut lernen, wenn es als Reizfilter/Stopper seine Lieblings-CD immer und immer ( natürlich mit Kopfhörer) wieder hören darf. Das beruhigt, gibt Sicherheit und die Arbeitsblätter werden ruck-zuck fertig. Vorteil gegenüber den anderen, die das auch gerne täten?
Oder sogar nur vorgeschoben unpm des Vorteils willen?
„Immer nett sein“ ist was anderes als Rücksichtnahme: bin ich zu der klapprigen Omi auf der Treppe „immer nett „oder zu allen Omis „immer nett,“ , wenn ich in Eile nicht an ihr vorbei stürme wie ich es bei einer jungen Frau ohne sichtbare Beeinträchtigung täte?
Nichts hassen viele gehandicapte Menschen mehr als UNBEGRÃNDETES immer-nett-sein. Zu Recht. Weil man sie damit nicht ernst nimmt.
Und zugleich fürchten sie Rücksichtslosikgkeit.
Eine der schwierigsten Ãbungen: wann sollen Erwachsene eingreifen?
Selbstverständlich sollten alle Menschen lernen, sich selbst zu helfen.
Wann aber ist bei einem Behinderten der Zeitpunkt, ihm zu Hilfe zu eilen?
Eltern gesunder Kinder nehmen ihre Kinder, die meist ähnlich wie sie fühlen, hören, sehen usw. können, zum MaÃstab. Eltern von behinderten Kindern brauchen viel Zeit, um nicht von ihrer eigenen Erfahrungen hinsichtlich Wahrnehmung und Bedürftigkeit auszugehen sondern herauszufinden, wann ihr Kind und Unterstützung braucht und in welcher Form. Klar, das müssen alle Eltern, aber bei behinderten Kids um ein vielfaches mehr.
Es muss Umgangsregeln für alle geben, und einige Regeln für spezielle Menschen, mit oder oder Behindertenstatus. Für die Einhaltung sind die Erwachsenen zuständig.
Zu guter Letzt: was können nichtbehinderte Kinder im Umgang mit Behindertn lernen?
Nicht nur Soizialkompetenz. Sie könnten auch begreifen, dass sie sich zwar „normal“ nennen dürfen, sie aber durchaus Defizite haben und Behinderte Stärken, von denen sie zum Teil nur träumen können.
Darum geht es bei Inklusion. Sich gegenseitig in seiner Andersartigkeit akzeptieren.
Du sprichst da ein paar wichtige Punkte an, über die ich gerne nachdenken werde.
Ein Punkt fehlt noch: Was die erwachsenen Betreuer*innen von diesen kleinen Kindern lernen können! Nämlich diese Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem behinderten Kind, es einfach als eines der ihren behandeln. Vielleicht ist es es das, was mir ein wenig Sorgen macht: Dass das viele Eingreifen diese Selbstverständlichkeit und Unbeschwertheit mit der Zeit kaputt machen wird.
Weil eigentlich wäre das doch echte Inklusion: Jeder macht auf seine Weise und nach seinen Fähigkeiten mit und jeder bringt seine ganz spezielle Superkraft mit ein.
Da hast du Recht.
Junge Kinder bewerten ein anderes Vorgehen zunächst nicht. Leider ist das in der Schule dann schon ganz anders. Von uns Erwachsenen ganz zu schweigen.
Mich hat unsere familiäre Inklusion sehr voran gebracht. Hier gibt es kein „regulär“ und „anders.“ Das mussten wir lernen. Das war/ ist nicht immer konfliktfrei, denn nicht immer sind unsere unterschiedlichen Vorgehensweisen kompatibel.
Aber in der Schule etc. erlebt mein Kind das sehr wohl.
Auf eigenen Wunsch ist sie, obwohl Inklusionskind, von einer Integrationsklasse in eine Regelklasse gewechselt. Sie wollte nicht mehr für “ blöd“ gehalten werden und verzichtet damit auf Nachteilsausgleich usw.
Dennoch kann Sie mehr kann zu ihrer Weise stehen, aber das ist ein ungeheurer Kraftaufwand. Und möglich ist das jetzt nur, weil sie immer von uns in ihrem Weg bestärkt wurde und unsere Unterstützung bekam, zumindest soweit wir Eltern das konnten. Auch für uns nicht einfach, sich von den Normen ( richtig/ falsch, gut/schlecht, Erfolg/Misserfolg) zu lösen.
In der 9. Klasse geht sie nun erstmals relativ gern in die Schule.
Puh, ich habe nicht alle Kommentare gelesen, allerdings kann ich das Posting von erzaehlmirnix unterstreichen! „Besonders nett sein weil anders“ führt aus meiner Sicht schnell zu Eifersucht und Unverständnis. Und daraus resultieren dann Handlungen, die überhaupt nicht besonders nett sind… Um dennoch klar zu stellen, womit der/die Behinderte jeden Tag zu tun hat, kann man -wie vorgeschlagen – spielerisch allen mitteilen. Wenn nicht im KiGa, dann vielleicht daheim wenigstens. Mein Knopf ist erst 11 Monate und noch nicht so weit, ich werde ihn aber zu 90% in einen integrativen KiGa geben, allein deshalb verfolge ich solche Themen wie hier.
Eine Frage habe ich noch: ich bin mit dem Namen „Armand“ leicht über fordert *hüstel* spricht man das französisch aus?
Ãbrigens habe ich selbst neulich ein Kunstprojekt kurz vorgestellt, in dem ein schwerst behinderter Junge die Hauptrolle spielt :o) Hat mich sehr beeindruckt.Ist der Link hier erlaubt? (toter Link entfernt)
Liebe GüÃe, Natascha
Ich finde die Vorschriften der Betreuerin, wie mit diesem Jungen umzugehen ist, auch problematisch. Ich denke, dass es oft so ist, dass behinderte Kinder und Erwachsene über ihre Behinderungen definiert werden und auf ihre Behinderungen reduziert werden. Die Behinderung ist im Fokus.
Die Frage ist auch, wie sich Armand fühlt! Es ist möglicherweise kein besonderes Bedürfnis von ihm, besonders nett und überhaupt BESONDERS behandelt zu werden. Er will teilhaben. Er ist in erster Linie ein Kind, nicht in erster Linie ein behindertes Kind.
Rücksichtnahme ist zwar schön und wertvoll! Aber gewisse, quasi vorweg-genommene Rücksichtnahme kann, so nett sie gemeint ist, auch eine gewisse Herablassung in sich tragen, eine Art „Wohltätigkeits-Haltung“ sein. Und so gibt es dann wieder ein Oben und Unten („wir“ oben, „die Behinderten“ unten.)
Wichtig wäre, wenn die Betreuerinnen in der Krippe sich überlegen könnten, wie sie gewisse Aktivitäten und auch Einrichtungen in der Krippe nach Möglichkeit umgestalten könnten, damit Armand nicht ausgeschlossen wird – falls er überhaupt teilweise ausgeschlossen wird. Und die Kinder könnten auch nach mitüberlegen und mitreden. Aber das Wichtigste: Immer Armand mit einbeziehen. Und wenn die Betreuerinnen finden, es sei sicher schlimm für Armand, geschubst zu werden, ihn erst mal fragen. „Wie fühlst du dich, wenn du geschubst wirst?“. Und dann gleich auch die anderen „und wie fühlt ihr euch, wenn ihr geschubst werden?“. Und dann werden sie vielleicht merken, dass sich alle ähnlich fühlen! 😉 Wer weiss…
Dies meine ersten Gedanken dazu….
Ich finde es auch unangemessen, wenn die Betreuerin den Kindern sagt, sie sollten immer besonders nett sein zu dem blinden Jungen.
Da bin Deiner Meinung: Natürlich bedarf Armand besonderer Rücksichtnahme, wo er sich nicht selbst wehren kann. Aber eben erst da. Wie soll er denn lernen, Konflikte auszutragen und Selbstbewusstsein aufbauen, wenn er so bevormundet wird? Er wird ja als Person kaum ernst genommen, wenn ihm unterstellt wird, er könne sich überhaupt nicht wehren.
Ich habe keine Kinder, habe allerdings von Berufes wegen sowohl mit blinden wie auch mit sehenden Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Mit Kids mit kognitiver Einschränkung, mit Kids mit sozialer Auffälligkeit, mit autistischen Kindern und Jugendlichen etc. Meine ganz persönliche Einstellung dazu ist: „Besonders nett sein“ und „nicht (zu sehr) schubsen“ sind fürwahr zwei paar Schuhe. Ich sehe nicht ein, warum man zu einem Kind mit irgendeiner Einschränkung „besonders nett“ sein soll. Was genau soll das dem Kind bringen? Was hat das mit Integration zu tun? Sobald die Integrität eines anderen verletzt wird, sollten sich Erziehungspersonen einschalten, und zwar völlig egal, ob der „Täter“ nun in irgendwelcher Form beeinträchtigt ist. Das führt mich geradewegs zum „nicht zu sehr schubsen“: Eigentlich sollten Kinder grundsätzlich lernen, ihre Konflikte nicht nur tätlich zu lösen, nicht? Nun ist es gewiss ein Unterschied, ob ein Kind etwas angerempelt wird oder fest geschubst. Blinde Kinder können, wie bereits mehrfach erwähnt, nicht einschätzen, woher ein Schlag kommt, was dazu führen kann, dass sie in der Hinsicht wirklich deutlich hilfloser sind als andere Kinder. Am besten werden einem die Orientierungsshwierigkeiten klar, wenn man sich mit einer Dunkelbrille in den ÃV begibt. Blinden Kindern sollte man immer ankündigen, was man mit ihnen vorhat, sonst kommt alles „aus dem nichts“ und kann sehr bedrohlich wirken. Nun kann man das nicht einfach so von anderen kleinen Kindern erwarten, aber sie darauf hinzuweisen, dass ein blindes Kind bei Gerangel ganz klar keine Chance hat, oder dass man den Jungen nicht zu fest schubsen sollte, weil er das nicht kommen sieht und viel schneller stürzt sowie die Orientierung verliert als ein anderes Kind, dazu, finde ich, kann man Kindergartenkindern durchaus auffordern.
Bin gerade auf diesen Artikel gestoÃen. Generell denke ich, dass Kinder lernen sollten, das Schubsen, Schlagen und wie du mir so ich dir, nicht das Mittel der Wahl ist. Wäre ich in dieser Situation würde ich mich vielleicht mal mit den Eltern von Armand unterhalten, welche Vorstellungen, Wünsche und Erwartungen sie haben. Hört sich für mich auch so an, als bestünde Gesprächsbedarf mit den Erziehern und deren Umsetzung was Integration oder Inklusion angeht, denn schlieÃlich sollte ein klares Konzept da sein, wie man dieses Ziel erreichen möchte.
Ich bin gerade in deine Blog schnuppern gekommen und findet sie interessant…
Deine Text hat mich da schon angesprochen… er ist zwar etwa älter, aber ich reagiere mal doch.
Ich habe kein Kindern, aber war mal auch ein Kind… Irgendwie anders als die anderen. Sensibel, rasch verwirrt, verträumt… Thema „Sonderswurst“ oder nicht gab es damals auch und gibt es immer noch. Wenn ich zuückschaue, war auch keine einfache Sache. Um zu wissen wie genau man jemand behandeln sollte, was angemessen ist oder nicht, muss man fast sich in diese Mensch (oder Kind) einfühlen. Bei deine geschichte, finde ich die idee dass mal andere kindern mit verbundene augen etwas tuen noch sinnvoll, damit sie sich vorstellen können was Armand erlebt. Bei eine blinde Kind nicht so schwierig im Vergleich zu einiges anders…
Wenn ich Baby war, da ich erst geboren war, hatten einfach meine Eltern probiert auf mich einzugehen. Schreien=Unwohlsein.
Andere Kindern hatten irgendwie gemerkt dass ich „anders“ war. Nett waren sicher nicht alle, aber einigen haben mich im Schutz genommen. Manchmal hatte ich es als etwa bevormundet erlebt, aber es war besser als nichts… Wenn ich daüber nachdenke, ist mich bewusst wie 6-7 Jährigen zum Teil fast mehr Einfühlungvermögen und Sozialekompentanz gezeigt hatten als manche Erwachsenen.
Meine mutter hat weiter probiert auf mich, auf mein Wesen einzugehen und mich nicht nach eine gewisse Muster erzogen. Jede ihre 3 Kindern war einzigartig, daher konnte sie nicht von alle 3 das Selbe verlangen!
Aber in der Schule, war der Norm da und der Meinung, ich sollte es doch können… Mit Druck… Mit einigen war ich allein gelassen.
Ich konnte noch unten anderen mich schlecht wehren… War irgendwie keine Stärke von mich, wie es andere Kindern das Rechnen schwer fällt. Aber als einzige Hilfe heisst es nun „du muss dich wehren“. Hat nichts gebracht. Schulkolleginnen haben mich erklärt wie es geht, wie es machen, aber konnte irgendwie nicht umsetzten. Mich wehren habe ich dann viel später gelernt und lerne immer noch. Aber auf meine Weise.
Zu viel Schutz hatte ich im gesamte nicht, ehe zu wenig. Dabei merke ich dass in unsere Gesellschaft Behinderten wie Blinden, Tauben noch viel Entgegenkommen erleben… Weil es jeden klar ist dass er es nichts dafür kann und so was irgendwie noch vorstellbar ist…
Ich bin der Meinung, dass auch behinderte Kinder ganz normal behandelt werden wollen. Trotzdem muss man natürlich darauf achten, dass deren Behinderung nicht ausgenutzt und missbraucht wird.