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„Bin ich eigentlich die Einzige hier, die zwischen totaler Gleichgültigkeit und totaler Panik hin und her schwankt?“ fragte vor ein paar Tagen eine Freundin auf Facebook zum Thema Corona.

Nein, mir geht es genau so! Wobei Gleichgültigkeit das falsche Wort ist. Sagen wir lieber: Gelassenheit. Was uns drei betrifft, bin ich relativ gelassen. Wenn es nach der Statistik geht – und ich halte mich immer an die Statistik – sollten wir eigentlich recht glimpflich davon kommen.

Aber ich mache mir Sorgen um andere: Meine Eltern, die auch nicht jünger werden, Menschen, die ich gerne mag und die Diabetes haben, Bluthochdruck, jemand, der seit mehreren Jahren mit Krebs kämpft und seit ein paar Wochen wieder bestrahlen muss und sogar ein Kind in Remission. Der Mann arbeitet mit dem Vater eines Kindes, das gerade jetzt in Chemotherapie ist. Das alles sind gute Gründe für mich, akribisch genau aufs Hände waschen zu achten und ansonsten mich nicht unnötig unter Menschen zu begeben. Ehrensache, dass ich mein Möglichstes tue, um nicht angesteckt zu werden und vor allem: andere nicht anzustecken!

Ich möchte wirklich nicht, dass jemand, den ich kenne, an dem Scheissvirus stirbt!

Wovor ich mich noch viel mehr fürchte, als vor dem Virus, ist das Verhalten mancher Menschen!

Man könnte meinen, dass wenn es nicht genügend Schutzmasken und Desinfektionsmittel hat, man diese selbstverständlicherweise den Leuten überlässt, die darauf angewiesen sind: Medizinisches Personal und Menschen mit hohem Risiko. Für mich ist das ein Nobrainer.

Leider denken nicht alle so. In manchen Krankenhäusern wurden die Reserven an Masken und Händedesinfektion gestohlen, weil die Drogerien und Apotheken nicht mehr liefern können. Da werden Leute sterben, weil ihre Āžrzte ohne Masken operieren müssen!

Nachdem der Bundesrat grössere Veranstaltungen verboten hat, um die Geschwindigkeit der Ansteckungen zu verlangsamen, brüsten sich vielerorts Leute damit, dass sie sich nicht an das Verbot halten werden (siehe Basler Fasnacht) oder unbewilligte Demos organisieren (Zürcher Komittee des Frauenstreiks).

„ICH habe keine Angst vor Ansteckung.“
„Jeder muss selber wissen, ob er sich anstecken will.“
„Das ist ja nicht viel mehr als eine Grippe“

Aber es geht hier verdammt noch mal nicht um euch!

Der Ansteckungsprozess muss nicht wegen euch verlangsamt werden – Ihr werdet wahrscheinlich tatsächlich mit einem Schnupfen und einem heftigen Husten davon kommen.

Aber das Bundesamt für Gesundheit und die Regierung haben die Aufgabe, für den Schutz von allen zu sorgen. Der Ansteckungsprozess muss verlangsamt werden, damit Menschen mit hohem Risiko überhaupt die Chance haben, entsprechende medizinische Betreuung zu erhalten. Wenn eine halbe Million Menschen gleichzeitig krank werden, bricht unser ganzes Gesundheitssystem zusammen. Nicht nur, weil es nicht genügend Sauerstoffgeräte für alle geben würde. Menschen, die einen Platz auf der Intensivstation benötigen würden, bekommen keinen mehr, weil schon alle besetzt sind. Es gäbe wahrscheinlich auch noch zu wenige ĀžrztInnen und PflegerInnen, weil die sich in Ermangelung der geklauten Schutzkleidung und Desinfektionsmittel ja ebenfalls anstecken und somit ausfallen würden.

Wenn zu viele gleichzeitig krank werden würden, müssten Menschen nur deswegen sterben, weil sie keine adäquate medizinische Versorgung bekämen!

Sie würden nicht wegen dem Virus sterben, sondern wegen der Rücksichtslosigkeit jener, die nicht über ihre eigene Nasenspitze hinaus denken.

Die Schicht der Zivilisation ist so verdammt dünn – wie dünn merkt man erst, wenn der Wind etwas kälter weht (auch wenn er noch weit weg ist von einem ausgewachsenen Sturm!). Die Jahrzehnte des grassierenden Neoliberalismus haben ihre Spuren in der Mentalität der Menschen hinterlassen. Jeder ist sich selbst der Nächste und der Stärkste gewinnt – dass er dabei verlieren wird, weil die Menschen nur überleben können, wenn sie zusammen halten und kooperieren, wird er hoffentlich nicht erst merken, wenn es zu spät ist!

Etwas anderes bereitet mir an dieser Geschichte ebenfalls Sorgen: Unser ganzes System ist extrem verletzlich. Es ist vorstellbar, dass diese Virengeschichte einen Dominoeffekt erzeugt. Eine schlimme Krise, die langfristige Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben wird und unter Umständen zum Zusammenbruch der Sozialstaaten, der Gesundheitsversorgung und der Infrastrukturen führen kann.

Was einerseits natürlich gut wäre, denn mit dem bisherigen Raubbau am Planeten kann es ja sowieso nicht weitergehen. Andererseits wäre es natürlich schön, wenn dieser (nötige) Veränderungsprozess möglichst schmerzlos vor sich gehen könnte. Oder ist das bei einem Systemwechsel Wunschdenken?

Das Positive ist, dass hier mit einem für die Mehrheit relativ harmlosen Virus das Szenario geübt werden kann und dort, wo es Probleme gibt, die Abläufe korrigiert und verbessert werden können.

Beispielsweise wird ja sehr schnell klar, dass die Abhängigkeit Europas von der chinesischen Wirtschaft verheerende Folgen hat: Es fehlt an allen Ecken und Enden. Europäische Firmen müssen die Produktion still legen, nicht weil viele ihrer Mitarbeitenden krank wären, sondern weil die Lieferkette unterbrochen ist. Das zeigt auch, wo der Haken bei Just in Time liegt – es funktioniert eben nicht, wenn die Zulieferer nicht mehr liefern können.

Gerade in der Gesundheitsversorgung kann man nicht Just in Time arbeiten. Davor haben Experten schon lange gewarnt und jetzt müssen unter Umständen Menschen die Quittung dafür bezahlen, dass in dem Bereich so vieles weg rationalisiert worden ist. Oder auch bei ordinären Medikamenten wie Ibuprofen, das offenbar nur an zwei oder drei Orten weltweit produziert wird – die blöderweise alle in China liegen. Da kann es plötzlich durchaus passieren, dass uns das am weitesten verbreitete Schmerzmedikament ausgeht. Eigentlich unvorstellbar, aber: Das System ist, wenn man genau hinsieht, extrem verletzlich. Nur haben offensichtlich bisher gewisse Entscheidungsträger zu sehr davon profitiert, um genau hinsehen zu wollen.

Ich hoffe, dass unsere Wirtschaft, unsere Industrie, sich bald darauf zurück besinnt, dass nicht nur der kurzfristige Gewinn zählt, sondern dass langfristig derjenige die Nase vorn hat, der überhaupt liefern kann!

Wie auch immer die Zukunft aussehen wird: Es liegt in unserer Macht, denn wir werden sie gestalten. Und nur wir können uns entscheiden, wer wir sein wollen: Sind wir diejenigen, die Schwächere schützen oder sind wir diejenigen, die dem Krankenhauspersonal die Schutzmasken und Desinfektionsmittel stehlen?

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