(dies ist die überarbeitete Version eines Postings vom März 2014)

Nach den Lesen von Alfie Kohns „Punished by Rewards“ (auf Deutsch „Liebe und Eigenständigkeit“ – Werbelink) war ich immer ein wenig skeptisch gegenüber dem, was ich auf unseren Reisen in Grossbritannien im Umgang mit Babys und Kinder erlebt hatte. Überall nur „good boy“ und „good girl“, „well done“ und „terrific“ und zwar mit der Giesskanne und ohne mit der tatsächlichen Leistung des Kindes zusammenzuhängen.

Als mir die Studie von Eddie Brummelman et al. in die Hände fiel, wurde mir dann klar, was mir daran so suspekt war und weshalb ich oft dachte, „das kann doch in diesem Ausmass nicht gut sein“.

Im Kasseler Online-Magazin Lokalo 24.de habe ich Anfang 2014 über Brummelmans Studie geschrieben:

„Das ist so unglaublich wunderschön“

Welche Auswirkung hat ein Lob auf das Selbstbewusstsein eines Kindes und auf sein Verhalten? Eine Gruppe von Forschern der Universität Utrecht ist der Sache nachgegangen. In ihrer Forschungsarbeit „That’s Not Just Beautiful – That’s Incredibly Beautiful!: The Adverse Impact of Inflated Praise on Children With Low Self-Esteem“ haben Eddie Brummelman und seine Kollegen herausgefunden, dass übertriebenes Loben die Leistung negativ beeinflusst.

VON KATHARINA BLEUER

Lob, so sagt der gesunde Menschenverstand, stärke das Selbstbewusstsein und je mehr wir seine Leistungen positiv erwähnten, desto stärker würden wir unser Kind machen. Bekannte und beliebte Erziehungsmethoden doppeln nach, indem sie „positive Verstärkung“, also Lob und Belohnungen, benutzen, um ein Kind in die gewünschte Richtung zu dirigieren. Neun von Zehn Eltern sind überzeugt, dass Kinder Lob benötigen, um sich gut zu fühlen. Je schlechter sich ein Kind fühlt, desto stärker loben sie es in ihrem Bemühen, sein Selbstbewusstsein zu verbessern.

Aber stimmt es denn tatsächlich? Welche Auswirkung hat ein Lob auf das Selbstbewusstsein eines Kindes? Ist die Auswirkung eine andere, wenn das Lob mal stärker, mal schwächer ausfällt?

Diese Fragen haben sich eine Gruppe von Psychologen rund um Eddie Brummelman der Universität Utrecht gestellt. In drei wissenschaftlichen Versuchen ging es darum, herauszufinden, wie stark Erwachsene loben, je nachdem ob das Kind selbstbewusst ist oder nicht und in einem weiteren Versuch, ob Kinder durch ein stärkeres Lob tatsächlich stärker ermutigt oder im Gegenteil entmutigt werden

In einem ersten Versuch gaben die Forscher Erwachsenen frei erfundene Beschreibungen von Kindern zu lesen und bat sie dann, deren Leistungen zu bewerten. Dabei kam klar heraus, dass sie Kinder mit vermeintlich schlechtem Selbstwertgefühl (z.B. „Tom ist oft unzufrieden mit sich selber“) im Vergleich stärker lobten, als vermeintlich selbstbewusste Kinder (z.B. „Tim mag sich selber“).

Der zweite Versuch – diesmal mit Eltern-Kind-Paaren – bestätigte dieses Resultat: Eltern liessen ihre Kinder vorgegebene Rechenaufgaben lösen, korrigierten sie und mussten danach dem Kind ein Feedback zu seinen Leistungen geben. Auch hier stellte sich heraus, dass sie Kinder mit geringem Selbstwertgefühl stärker lobten.

In einem dritten Versuch wollten die Forscher herausfinden, wie die Kinder, die übertrieben gelobt wurden, mit zukünftigen Herausforderungen umgingen. Im Vorfeld der Studie massen die Forschenden den Selbstwert der Kinder.

Als erstes wurden sie gebeten, eine Zeichnung zu malen und erhielten je nach zufällig ausgeloster Gruppe ein übertriebenes, ein „normales“ oder gar kein Lob von einem vermeintlichen „Kunstmaler“.

Nachdem sie das Feedback erhalten hatten, bat man die Kinder, eine weitere Zeichnung anzufertigen. Diesmal konnten sie aus vier verschiedenen Sujets verschiedener Komplexität auswählen.

Es stellte sich heraus, dass Kinder mit geringem Selbstwertgefühl, die übertrieben gelobt wurden, sich weniger als die anderen Kinder trauten, eine der komplexen Figuren zu malen. Sie beschränkten sich auf die einfacheren Formen.

Der Unterschied ist subtil: Nur das kleine Wörtchen „unglaublich“ („incredibly“) macht aus, ob ein Kind sich eine schwierige Aufgabe zutraut oder nicht. Ein unbeteiligter Beobachter mag den Unterschied nicht einmal bemerken. Die Auswirkungen auf das Kind hingegen können ziemlich gross sein: Um etwas lernen zu können, muss ein Mensch sich an die Aufgabe herantrauen und darf sich nicht davor fürchten, Fehler zu machen. Jemand mit geringem Selbstwertgefühl interpretiert einen ersten Misserfolg aber unter Umständen gleich als persönliches Versagen und wagt keinen weiteren Versuch. In der Folge kann er seine Fähigkeiten aber nicht verbessern, kann nicht dazulernen.

Durch übertriebenes Loben legt man also paradoxerweise die Messlatte für ein Kind mit geringem Selbstwert höher, als mit einem neutralen Feedback. Das Kind fürchtet, seine gute Leistung nicht mehr reproduzieren zu können und die Angst beim nächsten Versuch zu scheitern, wächst überproportional.

So löst ein übertriebenes Lob den Selbstschutzmechanismus eines Kindes mit geringem Selbstwertgefühl aus. Um ein vermeintliches „Versagen“ im Vornherein zu vermeiden, traut es sich schon gar nicht erst, die nächste Herausforderung anzunehmen.

Eines positives oder neutrales, aber realistisches Feedback hingegen können tatsächlich das Selbstvertrauen stärken und das Kind für weitere Lernerfahrungen motivieren.

Menschen mit geringem Selbstwertgefühl nehmen herausfordernde Aufgaben nur in einem Umfeld an, in dem sie sich sicher fühlen. Ein neutraler Kommentar gibt einem solchen Kind mehr Sicherheit, und nimmt ihm die Angst zu versagen zuverlässiger, als das gut gemeinte „ganz besonders unglaublich toll gemacht“.

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Pin mit Schrift "well done" und dem Titel Nachgeforscht: Weshalb übertriebenes Loben dem Selbstbewusstsein schadet

Aber wie geht es richtig?

Nora Völker erklärt in diesem Video, wie man Kinder ermutigen kann, ohne ihnen ständig zu sagen, wie toll und grossartig sie sind: