Bevor ich in die Sommerpause gehe, möchte ich noch meine letzten Leseerlebnisse mit Euch teilen. Viel Spass damit!
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„Was alles war“ von Annette Mingels
Susa wurde als Kind adoptiert und wächst bei liebevollen Eltern auf, wählt eine akademische Karriere als Meeresbiologin und studiert das Leben von Wattwürmern. Eines Tages erhält sie einen Brief von ihrer biologischen Mutter, die sie gerne kennenlernen würde. Sie treffen sich und bald darauf lernt Susa auch noch ihre biologischen Brüder kennen. Besonders zum älteren Cosmo fühlt sie sich hingezogen. In etwa zur selben Zeit lernt sie den Witwer Henryk und seine beiden Töchter kennen. Sie kommen sich nahe, verlieben sich, heiraten und Susa wird zur Ersatzmutter für die beiden Mädchen. Als sie selber schwanger wird und der kleine Leve zur Welt kommt, verändern sich nicht nur Susas Prioritäten sondern auch die Dynamik innerhalb der Familie. Alle bisherigen Selbstverständlichkeiten werden infrage gestellt: Wessen Karriere hat Vorrang, soll Susa wegen des Babys kürzer treten, wer sagt seine Vorlesungen ab, wenn der Kleine Fieber hat oder schlecht schläft? Susa weiss nicht mehr, wo ihr der Kopf steht, nur dass sie sich alles ganz anders vorgestellt hat. Eine Reise in die USA zu ihrem biologischen Vater soll Klarheit bringen.
„Was alles war“ erzählt vom Alltag, wie ihn viele von uns selber erleben oder erlebt haben: Frau und Mann sind beide berufstätig und ihre berufliche Zukunft ist einigermassen klar. Sie verlieben sich, ziehen zusammen, teilen sich Erwerbsarbeit und Haushalt fair und gleichberechtigt. Sie gründen eine Familie und danach bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. Die heutige Arbeitswelt – auch die der Universitäten – erlaubt nach wie vor kein wirklich gleichberechtigtes Familienleben und stürzt die Menschen täglich in innere Konflikte, wenn sie versuchen müssen, sich den Umständen anzupassen ohne sich selber dabei zu verleugnen oder zu verlieren. Weil die Autorin das Thema von der „Adoptions-Seite“ her angeht, entfallen für einmal die ganzen biologistischen Erklärungen und das Augenmerk liegt auf den Beziehungen innerhalb der Familie und zwischen der Familie und der (akademischen) Arbeitswelt.
Annette Mingels Schreibstil – so ganz ohne Anführungs- und Schlusszeichen – fand ich zu Beginn gewöhnungsbedürftig, als ich dann aber in der Geschichte drin war, zog mich das hohe Tempo mit. Mingels erzählt szenisch, dazwischen gibt es kaum Überleitungen und wie die Zeit vergeht (von Anfang des Buches bis zu seinem Ende sind es etwa vier Jahre), erfährt man eher so am Rande. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen.
„Was alles war“
Annette Mingels
Penguin Random House Verlag, 2017
Taschenbuch
ISBN: 978-3-8135-0755-3
auch als eBuch und Hörbuch erhältlich
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„Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde
Im Jahr 2098 fällt der kleine Sohn der Blütenbestäuberin Tao während eines Picknicks in tiefe Bewusstlosigkeit, aus der er nicht mehr aufwacht. Er wird von der Regierung weggebracht und seine Mutter macht sich auf die Suche nach ihm. In einem anderen Erzählstrang lernen wir den depressiven William kennen, der im Jahr 1852 in England lebt und Freude daran findet, Bienenvölker zu beobachten. Er erfindet und baut einen Bienenstock, bei dem man den Honig ernten kann, ohne die Bienen dabei umzubringen oder zu verjagen. Im letzten Erzählstrang schliesslich geht es um den Imker George, dessen Bienen 2007 dem „Colony Collapse Disorder“ genannten Bienensterben zum Opfer fallen, obwohl er sie liebt, pflegt und ihnen Sorge trägt. Wie die drei Erzählstränge zusammenhängen, erfahren wir erst kurz vor Schluss.
(Die Besprechung bezieht sich auf die Hardcover-Ausgabe von btb)
„Die Geschichte der Bienen“ hat mich tief berührt. Nicht nur, weil das Buch sehr schön aufgemacht ist mit seinem einfach gestalteten Hardcover und der Biene im Relief. Es riecht auch so, wie in meiner Erinnerung richtige, neue Bücher zu duften haben. Diese Mischung aus Leim, Papier und Leinen – Ihr wisst schon. Ein Buch, das ich tagelang auf dem Nachttische liegen hatte, um zwischendurch in die Hand zu nehmen, aufzuschlagen, die Nase reinzustecken, und ein paar Sätze hier und dort an zufälligen Stellen zu lesen. Vorfreude aufbauen. Und dann in einem Rutsch quer durch die Nacht durchlesen im Wissen, dass der nächste Tag ein Harter werden wird, aber das ist es Wert.
Vor allem das Schicksal Taos hat es mir angetan. Als Mutter kann ich gut nachvollziehen, wie sie auf der Suche nach ihrem Kind durch das verlassene zukünftige Peking irrt, mit nicht viel mehr im Gepäck als der Hoffnung, ihren Sohn zu finden oder doch wenigstens zu erfahren, was ihm widerfahren ist. Und irgendwo zwischen George – also unserer Zeit, in der wir wider besseren Wissens die Bienen zugunsten des Profits einfach sterben lassen – und der Zeit von Tao keimt ein kleines Fünklein Hoffnung.
„Die Geschichte der Bienen“ ist grosse Leseliebe, eines der Bücher mit ewigem Bleiberecht in meinem Regal, das ich sicher von Zeit zu Zeit wieder in die Hand nehmen und erneut lesen werde.
„Die Geschichte der Bienen“ (im Original: „Bienes Historie“)
Maja Lunde, aus dem Norwegischen übersetzt von Ursel Allenstein
btb Verlag, München, 2017
Gebundene Ausgabe
ISBN: 978-3-442-75684-1
auch als eBuch und Hörbuch erhältlich
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„Plastikfreie Zone“ von Sandra Krautwaschl
„Was wäre, wenn wir als Familie ganz ohne Plastik leben würden?“ fragte sich Sandra, nachdem sie den Film „Plastic Planet“ gesehen hatte. Was als Schnapsidee an einem Frauenabend begann, wird langsam aber sicher zu einem ernsthaften Projekt, an dem sich die ganze Familie beteiligen will – erst einmal für einen Monat.
Im Laufe des Buches erzählt die Autorin ohne Verbissenheit und mit einem Augenzwinkern über die Schwierigkeiten, plastikfreie Produkte für den Alltag zu finden. Besonders spannend finde ich die Reaktionen ihrer Mitmenschen auf das Projekt, denn allein die Tatsache, dass jemand „es“ versucht, scheint viele aus ihrer Komfortzone hinauszukatapultieren.
Am Ende dauert das „Experiment“ natürlich länger als ein Monat und wir erfahren auch, dass die Familie in vielen Bereichen halt doch Kompromisse eingehen muss (Computer ohne Kunststoff ist undenkbar).
Das Buch konnte mich nicht gerade zum plastikfreien Leben bekehren, hat mich jedoch im einen oder anderen Punkt zum Nachdenken und manchmal auch zum Handeln gebracht. Hilfreich finde ich die Auflistung am Ende mit den „Tipps für einen plastikfreien Einkauf“ und wie man als Konsumentin im Alltag sonst Einfluss nehmen kann, ohne jetzt gleich zum Ökohippie zu mutieren.
„Plastikfreie Zone“
Sandra Krautwaschl
Wilhelm Heyne Verlag, München, 2012
Gebundene Ausgabe
ISBN: 978-3-453-60229-8
auch als eBuch erhältlich
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„Adolf total“ von Walter Moers
Oh Walter Moers, Held meiner Jugend, was habe ich „Das kleine Arschloch“ geliebt! „Adolf total“ ist ein Sammelband mit allen drei Bänden der Serie „Adolf, die Nazisau“.
Zum Glück habe ich einen recht deftigen Humor, denn den braucht man auch, um dieses Werk gebührend zu würdigen. Wer erfahren möchte, wie Hitler durch die Zeit reist, ins Bordell geht, Göring wieder trifft und Mengele vergeblich die Weltherrschaft an sich reissen möchte, ist mit diesem Buch gut bedient. Aber wie gesagt: Man muss einiges unter der Gürtellinie ertragen können.
„Adolf total – Alles über den Führer in einem Band“
Walter Moers
Penguin Verlag, München, 2016
Taschenbuch
ISBN: 978-3-328-10069-0
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Rachel Joyce: „Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte“
Nachdem Besley Hill, die psychiatrische Klinik, in der er den grössten Teil seines Lebens verbracht hatte, geschlossen wurde, lebt der fünfzigjährige Jim in einem Wohnwagen und pflegt neben seiner Arbeit als Tischeputzer im Selbstbedienungsrestaurant eines Supermarktes seine zahlreichen Zwangsstörungen. Auf der Arbeit lernt er die faszinierende, aber etwas verrückte Eileen kennen. Nachdem Eileen ihn fast überfahren hätte, nehmen die junge Paula und ihr Freund Darren Jim unter ihre Fittiche. Doch bevor er sich auf eine Beziehung mit Eileen einlassen kann, muss erst noch ein alter Freund aus seiner Vergangenheit auftauchen und ein Kreis sich schliessen.
In „Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte“ erzählt Rachel Joyce, Autorin von „Die unglaubliche Pilgerreise des Harold Fry“ die Geschichte von Jim, aber auch die Geschichte der beiden Freunde James und Byron und was die beiden im Sommer 1972 zusammen erlebten, das alles in ihrem Leben verändert hat. Es geht um Depressionen, Traurigkeit, Liebe, Neid, Unglück und Schuld und doch ist dies keine schwermütige Geschichte. Nein, das wäre gelogen, die Melancholie zieht sich durch das ganze Buch hindurch. Wie geht es Kindern depressiver Eltern, die von ihnen damit allein gelassen werden? Wie gehen sie mit der Situation um und was geschieht dabei mit ihnen? Dieses Buch gibt eine mögliche Antwort auf diese Frage.
Ich habe „Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte“ sehr gerne gelesen. Es ist schwermütig, aber nicht schwer und es hallt lange nach. Kauzige Figuren und Personen, die gerade genug deutlich gezeichnet werden, um die Fantasie anzuregen, sind Joyces Stärke und sie schafft es auch in diesem Roman, einem auf einer tieferen Ebene anzusprechen, so dass es noch lange nachhallt.
„Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte“ (im Original: „Perfect“)
Rachel Jocyce, aus dem Englischen übersetzt von Maria Andreas
Fischer Taschenbuch Verlag, 2014
Taschenbuch
ISBN: 978-359619537-4
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Sarah Hall: „Bei den Wölfen“
Rachel ist Wolfsforscherin in den USA, aber ursprünglich stammt sie aus dem nordenglischen Lake District. Ihre Mutter Binny, mit der sie sich schon vor Jahren überworfen hatte, lebt immer noch dort. Eigentlich ist Rachel zufrieden mit ihrem Leben und „ihren“ Wölfen, doch gewisse Ereignisse führen dazu, dass Rachel dort nicht bleiben will. Sie lässt sich von einem exzentrischen englischen Lord überreden, bei der Auswilderung von Wölfen im Lake District die Leitung zu übernehmen. Erst skeptisch, wird lässt sie sich auf das Unternehmen ein und lernt mit der Zeit, dass auch sie nicht gegen ihre Natur ankommt und sich ein Rudel suchen muss.
„Bei den Wölfen“ ist ein vielschichtiger Roman. Rachel, die einsame Wölfin, die ein neues Rudel sucht, daneben die menschlichen und politischen Verstrickungen der Adelsfamilie, für die sie arbeitet, deren Geschichte und Motive, die spannende Frage, ob die Auswilderung von Wölfen im Europa des 21. Jahrhunderts überhaupt möglich ist und wenn ja, unter welchen Bedingungen, und die Entwicklung der Beziehung zu Rachels Mutter und ihrem Bruder, all diese Themen verstrickt Sarah Hall zu einer dichten Geschichte. Die Erzählstimme passt wunderbar zu den Charakteren und zur beschriebenen Landschaft.
Das war das erste Buch, das ich von Sarah Hall gelesen habe, aber sicher nicht das Letzte.
„Bei den Wölfen“ (im Original: „The Wolf Border“)
Sarah Hall, aus dem Englischen übersetzt von Nikolaus Stingl
Albrecht Knaus Verlag, 2016
gebundene Ausgabe
ISBN: 978-3-8135-0679-2
Als Hardcover und als eBuch erhältlich
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