Winter. Zeit der Einkehr, der Ruhe, Kuscheln auf dem Sofa und so. Bei uns wird viel vorgelesen und viel selber gelesen. Hier ein paar meiner Highlights der letzten Wochen.

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„Die Erfindung der Flügel“ von Sue Monk Kidd

Sue Monk Kidd erzählt in diesem halb fiktiven, halb historischen Roman die Geschichte der Schwestern Sarah und Angelina Grimké, die Anfang des 19. Jahrhunderts für die Abschaffung der Sklaverei und Gleichberechtigung der Frauen kämpften. Mithilfe des (erfundenen) Sklavenmädchens Hetty „Handful“ geht Monk Kidd der Frage nach, wie Sarah als höhere Tochter einer wohlhabenden, sklavenhaltenden Südstaatenfamilie dazu kam, für die bedingungslose Freilassung aller Sklaven und Gleichberechtigung der Farbigen und der Frauen einzutreten und sich damit gegen ihre Herkunft und ihre eigene Familie zu stellen.
Sarah war schon immer wissensdurstig und haderte damit, als Frau nicht studieren zu dürfen. Nach dem Tod ihres Vaters konvertierte sie zu den Quäkern und zog als alleinstehende Frau von Charleston nach Philadelphia – ein Skandal! Ihre jüngere Schwester Angelina folgte ihr alsbald und beide fingen an, gegen die Sklaverei anzuschreiben und später auch als erste Frauen überhaupt vor Publikum Reden zu halten.
Zuerst wusste ich nicht so recht, ob ich dieses Buch überhaupt lesen wollte – ich mag zur Entspannung keine schweren Themen. Als ich damit mal anfing, konnte ich gar nicht mehr aufhören. Beeindruckend fand ich, wie geschickt die Autorin den Kontrast, aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen der jungen Sklavin namens „Handful“ und Sarah, der privilegierten Tochter aus reichem Haus herausgearbeitet hat: Beide sind Gefangene der jeweiligen Umstände, aber der goldene Käfig der Einen ist trotzdem nicht zu vergleichen mit der totalen Hörigkeit einer Sklavin. Bei allen Benachteiligungen, denen sie als Frau ihrer Zeit ausgesetzt ist, kann Sarah trotzdem ausbrechen. Sie bezahlt einen hohen Preis dafür, aber nicht mit dem Leben oder ihrer körperlichen Unversehrtheit. Aber im Kopf ist Hetty Handful eben so frei, weil sie weiss, dass nur ihr Körper anderen gehört.
“Die Erfindung der Flügel“ ist eine spannende Lektion in der Geschichte der Anti-Sklaverei-Bewegung und der Frauenbewegung, die beide untrennbar zusammenhängen. Die Autorin schont ihre Leserschaft nicht, sondern lässt sie an den inneren Konflikten und äusseren Zwängen der Protagonistinnen manchmal fast verzweifeln. Trotzdem ist es kein schweres Buch, sondern gute Unterhaltung. Dafür, dass ihr dieser Spagat zwischen Unterhaltung und ernstem Hintergrund so gut gelungen ist, hat die Autorin meinen tiefsten Respekt!

“Die Erfindung der Flügel“ (The Invention of the Wings, übersetzt von Astrid Mania) ist als Hardcover, Taschenbuch, eBuch und Hörbuch im btb Verlag erschienen

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„Zwei Hotels und ein Iglu“ von Fatima Vidal

Die Winterthurer Verlegerin und Autorin Fatima Vidal lernte ich vor vielen Jahren kennen, als sie das Schweizer Pendant zum „NaNoWriMo“, das „Novemberschreiben“ organisiert hatte. Seither „followen“ wir uns gegenseitig in den Medien und im Internet und ich selber habe bereits zwei Kurzgeschichten in von ihr herausgegebenen Anthologien veröffentlicht.
In ihrem neuen Buch „Zwei Hotels und ein Iglu“ geht es hoch zu und her: Oliva Molina reist aus Spanien nach Zürich, um den Mitarbeitenden des Hotels Sonne die Schliessung des Hotels mitzuteilen. Die haben aber bereits vorher Wind von der Sache bekommen und Massnahmen ergriffen, um ihren Arbeitsplatz und ihr Team zu schützen. Als Oliva Molina während ihrer Geschäftsreise verschwindet und auch ihr Handy nicht mehr erreichbar ist, machen sich ihre Kinder Eulalia und Lorenzo Sorgen und engagieren die toughe Privatdetektivin Jane Pond.
„Zwei Hotels und ein Iglu“ ist ein warmherziger Roadmovie mit originellen, aber glaubwürdigen Protagonistinnen und Protagonisten, und ein paar überraschenden Wendungen. Dass die Leserin die ganze Zeit über weiss, wo sich Oliva befindet, zerstört die Spannung mitnichten, im Gegenteil, es erhöht sogar noch den Lesegenuss. Eine erfrischend leichte Lektüre, ohne ins Banale abzurutschen. Für mich das bisher Beste von Fatima Vidals Büchern, das ich sehr gerne weiter empfehle.

“Zwei Hotels und ein Iglu“ ist als Taschenbuch Vidal Verlag erschienen.

Bezugsquellen

  • In Deutschland: amazon.de | buch24.de | buecher.de | genialokal.de | osiander.de | thalia.de | weltbild.de
  • In der Schweiz: buchhaus.ch
  • In Österreich: thalia.at

„Darm mit Charme“ von Giulia Enders

Kein Roman, sondern ein Sachbuch. Ich habe es im öffentlichen Bücherschrank gefunden und wollte es eigentlich direkt weiterverschenken. Aber dann habe ich mich beim Blättern darin festgelesen. Enders schafft es, ein eigentlich nicht sehr appetitliches Thema amüsant und spannend aufzubereiten und am Ende des Tages hat man viel über das Thema Verdauung, nette und unfreundliche Darmbewohner, und allerlei Hilfreiches gelernt, ohne sich dabei auch nur eine Minute dabei gelangweilt zu haben. Trotzdem ist alles, was die Autorin schreibt, gut mit Quellenangaben und Fussnoten unterlegt. So müssen populärwissenschaftliche Bücher sein!

“Darm mit Charme“ ist als Taschenbuch, eBook und Hörbuch im Ullstein Verlag erschienen.

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„Die Frau, die allen davon rannte“ von Carrie Snyder

Aganetha Smart ist 104 Jahre alt und lebt in einem Altersheim irgendwo in Kanada, als sie zwei junge Menschen abholen kommen, weil sie einen Film mit ihr drehen wollen. Die beiden fahren sie zu dem alten Bauernhaus, in dem sie in den 1910er Jahren aufgewachsen war und das heute abgebrannt ist. In zahlreichen Rückblenden erzählt die alte Frau ihr Aufwachsen im ländlichen Kanada, vom Sterben ihrer Geschwister, von ihrem verwirrten Vater, der ständig irgend welche absurden Dinge baut und der Mutter, die alles zusammenhält und als Hebamme und Engelmacherin arbeitet. Als junge Frau zieht Aggie nach Toronto, wo schon zwei ihrer Geschwister leben und fängt dort an, für die Olympischen Spiele im Mittelstreckenlauf zu trainieren. 1928 in Amsterdam dürfen erstmals Frauen in diversen Leichtathletikdisziplinen starten und Aganetha gewinnt den 800-Meter-Lauf. Dieser Sieg bringt ihr jedoch nicht nur Glück.
Aganetha Smith ist eine erfundene Person, die von der Autorin in ein akribisch recherchiertes, historisch authentisches frühes zwanzigstes Jahrhundert hineingeschrieben wurde. Ich fand die Geschichte über weite Strecken recht deprimierend. Ständig sterben irgend welche Leute und nicht mal Aggies grosse Liebe und die Freundschaft zu ihrer Teamkollegin Gladys haben Bestand. Der schöne Twist am Ende hat mich dann aber mit der Geschichte versöhnt!
Die ständigen Wechsel zwischen verschiedenen Zeitebenen machten mir anfangs Mühe. Diese Art zu erzählen entspricht aber wohl der sprunghaften Art, wie eine so alte Dame über ihr Leben nachdenken würde und ist deshalb ganz passend. Und das Ende zeigt, dass man sie genau so erzählen musste, um die Spannung aufrecht zu erhalten.
„Die Frau, die allen davon rannte“ ist ein Stück Frauengeschichte, handelt von einer interessanten Persönlichkeit und ist gut erzählt. Definitiv ein Buch, das ich behalte, um es in einem Jahr oder so in Ruhe noch ein zweites Mal zu lesen.

“Die Frau, die allen davon rannte“ (Girl Runner, übersetzt von Cornelia Hornfelder-von der Tann) ist als Taschenbuch und eBuch im btb Verlag erschienen.

Bezugsquellen (grösstenteils vergriffen, manchenorts nur noch als e-Book erhältlich)

„Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky

Von diesem Buch ist ja in meiner Filterblase viel geschwärmt worden unter anderem auch von Leuten, von deren Büchergeschmack ich weiss, dass er mit meinem praktisch deckungsgleich ist. Aus diesem Grund habe ich es mir schliesslich auch besorgt und was soll ich sagen: Ich wurde nicht enttäuscht. Wenn Oma Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand, so erzählt man sich im Dorf. Die zehnjährige Luise und ihr Freund Martin haben natürlich mit dem Tod nichts am Hut, aber sie bekommen mit, wie die Erwachsenen anfangen, ihre Leben aufzuräumen.
Da sind also diese zwei Kinder, Selma, der Optiker, der Einzelhändler, die traurige Marlies und die dicke Elsbeth, Luises Mutter und Vater, Martins ständig betrunkener Vater, später kommen noch ein Buchhändler und ein buddhistischer Mönch hinzu und natürlich der Hund Alaska. Um diese Personen dreht sich die Geschichte, die die Autorin in poetischer Erzählsprache um die Leserin herum spinnt, am Ende möchte man einfach weiterlesen, damit sie nicht zu erzählen aufhört.
Es geht um das Leben, den Tod, das Dableiben und das Wegfahren, Liebe, Freundschaft, und um all diese Menschen mit ihren eigenen Geschichten, die Geschichte dauert fast 20 Jahre und am Ende stirbt schon wieder jemand, aber diesmal hat alles seine Richtigkeit. Und irgendwie geht es dann auch wieder weiter.
Dringende Leseempfehlung, unbedingt zum mehrmals lesen!

“Was man von hier aus sehen kann“ ist als Hardcover, als eBook und als Hörbuch bei Dumont erschienen.

Bezugsquellen

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