Knut Laaser und Jasmin Schäfer: „Der späte Gast“ (Bilderbuch ab 4) plzmKnut Laaser und Jasmin Schäfer: „Der späte Gast“ (Bilderbuch ab 4) 59e1ff4b3d144e64be1c751571b49f02

Es gab in meinem Leben Zeiten, da hätte ich alles Mögliche getan, um dazu zu gehören und von den Leuten, die ich bewunderte, akzeptiert zu werden. Unzählige Male verstellte ich mich, tat so als hätte ich eine andere Meinung oder sei ich eine andere, als ich tatsächlich war, nur um so zu sein, wie ich dachte, dass man mich haben wolle. So gross war mein Bedürfnis, mich angenommen und geliebt zu fühlen.

Ähnlich geht es dem Dackel aus dem Bilderbuch „Der späte Gast“ von Knut Laaser und Jasmin Schäfer, erschienen im Atlantis Verlag von Orell Füssli, der eines Abends an Franz‘ Tür klopft.

Inhalt von „Der späte Gast“

Es ist ein stürmischer Abend, als Franz allein zu Hause ist. Als plötzlich ein Klopfen an der Tür ertönt, beginnt eine aussergewöhnliche Geschichte.

Draussen steht ein Dackel, der auf der Suche nach einem Zuhause ist. Franz wünscht sich Gesellschaft, und der Dackel sucht einen warmen Platz, etwas zu essen und einen Menschen, der ihn bei sich aufnimmt. Es könnte so einfach sein. Doch der Dackel möchte Franz beeindrucken. Statt sich als Hund zu präsentieren, verwandelt er sich nacheinander in die seltsamsten Dinge: einen Bären, ein Flugzeug, ein Schaf und sogar in eine Handharmonika.

Das Chaos ist programmiert. Möbel gehen zu Bruch, die Wohnung wird auf den Kopf gestellt. Franz bleibt geduldig. Schliesslich sagt er, was er wirklich möchte:

„Hunde sind meine Lieblingstiere. Du könntest doch bei uns einziehen!“
Ehrlich?“ fragte der Besucher und verwandelte sich zurück.
„Wir könnten spazieren gehen, du würdest einen Ball bekommen und die Nachbarskatzen erschrecken“, zählte Franz auf.
Da bellte der Dackel […].

Die Geschichte endet, als beide zur Ruhe kommen. Die offene Frage bleibt: Ist der Dackel am nächsten Morgen noch da, oder war alles nur eine Fantasie von Franz?

Eine humorvolle Geschichte mit Tiefgang

Auf den ersten Blick ist „Der späte Gast“ eine unterhaltsame Erzählung über die Verwandlungen eines tollpatschigen Dackels. Kinder werden sich über die absurden Ideen amüsieren, die das Wohnzimmer von Franz in ein Durcheinander verwandeln. Doch die Geschichte hat noch eine zweite Ebene.

Der Kern der Geschichte behandelt das Bedürfnis, dazuzugehören, geliebt zu werden. Der Dackel tut alles, um Franz zu gefallen, doch seine Bemühungen führen ins Gegenteil. Dieses Verhalten dürfte vielen bekannt vorkommen, die sich schon einmal verbogen haben, um akzeptiert zu werden. Die Botschaft des Buches ist klar: Du musst dich nicht verstellen, um geliebt zu werden.

Franz wiederum verkörpert die Einsamkeit eines Kindes, das sich nach Zuwendung sehnt. Seine Eltern sind abwesend, und er ist allein mit seinen Ängsten. Der Dackel bietet ihm genau das, was ihm fehlt: Nähe und Verständnis.

Was meint die Zielgruppe

Mein Sohn, fünf Jahre alt, hat die Geschichte begeistert aufgenommen und findet lustig, was der Dackel alles anstellt. Die Botschaft, dass man sich nicht verstellen muss, um geliebt zu werden, hat er vermutlich noch nicht bewusst erfasst.

Was ihn dagegen sofort beschäftigt hat, war die Situation von Franz und dessen Einsamkeit: Seine Eltern fahren einfach in die Stadt und lassen ihn allein zuhause. Er muss sogar alleine Essen. Kein Wunder, dass ihm die Bäume im Sturm Angst machen und er Gesichter und Monster sieht.

Viele Kinder in dem Alter kennen bereits Momente, in denen sie sich allein fühlen oder sich nach einem Freund sehnen. „Der späte Gast“ bietet einen Anknüpfungspunkt, um über solche Gefühle zu sprechen.

Themen, die ansprechen

Das Buch spricht zwei zentrale Themen an, die Kinder und Erwachsene betreffen: das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und die Einsamkeit.

Die Verwandlungen des Dackels stehen für den Versuch, sich anzupassen und Erwartungen zu erfüllen. Viele Menschen – ob gross oder klein – kennen das Gefühl, nicht zu genügen. Kinder erleben es zum Beispiel im Kindergarten und der Schule, wenn sie glauben, sich verstellen zu müssen, um akzeptiert zu werden.

Franz‘ Einsamkeit ist ein Thema, das auch junge Leser verstehen. Der Sturm, die Schatten der Bäume, das Alleinsein – das sind Situationen und Dinge, die auch ihnen Angst machen würden. Der Dackel, der an die Tür klopft, ist nicht nur ein Retter in der Not, sondern auch ein Symbol für Freundschaft und Verbindung.

Fantasie oder Realität?

Eine Frage, die das Buch offenlässt, ist, ob der Dackel real ist oder nur in der Fantasie von Franz existiert. Viele Szenen könnten auch das Ergebnis eines Kindes sein, das sich Gesellschaft wünscht.

Die Handlung konzentriert sich auf Dinge, die ein Kind allein machen könnte: Essen, Musik hören, nicht einschlafen können, Schäfchen zählen. Die Frage, ob der Dackel am nächsten Morgen noch da ist, lädt dazu ein, die Geschichte mehr als einmal zu lesen und jedes Mal neue Aspekte zu entdecken.

Mein Eindruck

Mich persönlich hat bei „Der späte Gast“ die Kombination aus Humor und Ernsthaftigkeit besonders berührt. Der Witz der Erzählung und der Illustrationen lockern die Moral der Geschichte auf, so dass diese nicht belehrend rüber kommt. Ähnlich wie in „Theo und HAInz“ und „Unter Bodos Bett“ spielt ein unwahrscheinlicher tierischer Freund eine Hauptrolle.

Noch ein Wort zu den Illustrationen von Jasmin Schäfer. Sie sind schlicht gehalten, nicht überladen, und lenken den Fokus auf das Wesentliche. Der Dackel ist eine sympathische Figur und seine Verwandlungen mit Witz und Freude dargestellt.

Für Kinder bietet das Buch eine Geschichte, die zum Lachen und Nachdenken anregt. Erwachsene können die tiefere Bedeutung erkennen und mit Kindern über Themen sprechen, die oft schwer greifbar sind: Einsamkeit, Freundschaft, das Gefühl, nicht zu genügen.

Mein Fazit

„Der späte Gast“ ist ein gelungenes Bilderbuch, das Kinder ab 4 Jahren anspricht. Es erzählt humorvoll von Verwandlungen und Chaos, vermittelt aber gleichzeitig eine wichtige Botschaft: Du bist gut, so wie du bist.

Meinen Sohn hat vor allem das Thema Einsamkeit angesprochen: Franz ist allein und braucht unbedingt einen Freund.

Dank seiner Vielschichtigkeit bietet das Buch Eltern und Pädagog:innen viele Möglichkeiten, mit Kindern über Zugehörigkeit, Freundschaft und Selbstakzeptanz zu sprechen. Es eignet sich hervorragend zum Vorlesen und Diskutieren – ich liebe es, einfach nur die Geschichte vorzulesen oder zu erzählen und dann zu schauen, was mein Kind daraus macht.

Eine klare Empfehlung für alle, die eine Geschichte suchen, die sowohl unterhält als auch zum Nachdenken anregt.

Knut Laaser und Jasmin Schäfer: „Der späte Gast“
Knut Laaser und Jasmin Schäfer:
„Der späte Gast“

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Cover von Knut Laaser & Jasmin Schäfer: "Der späte Gast"
Knut Laaser & Jasmin Schäfer: „Der späte Gast“

Infos zum Buch

Klappentext:

„Wer hier bei Franz an die Tür klopft, in KEIN gewöhnlicher Hund, hat aber ein sehr gewöhnliches Bedürfnis: Er möchte geliebt werden.
So verwandelt der Zauberhund sich laufend in Dinge, die Franz mag.
Doch erst als der Hund ganz sich selber ist und bleibt, findet die Geschichte ein gutes Ende – und die Freundschaft mit Franz einen Anfang.“

„Der späte Gast“
Knut Laaser (Text) und Jasmin Schäfer (Illustration)
Atlantis Verlag, Zürich
ISBN 978-3-7152-0686-8
Altersempfehlung des Verlags: ab 4 Jahren

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