"Die Gartenparty" von Katherine Mansfield (Kurzgeschichten) f80d566f64a3423ca941f92880f5855d"Die Gartenparty" von Katherine Mansfield (Kurzgeschichten) plzm

Katherine Mansfield gehört trotz ihres viel zu frühen Todes zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der Moderne. Ihre letzte zu Lebzeiten veröffentlichte Geschichtensammlung „Die Gartenparty“ aus dem Jahr 1923 gilt als Meilenstein der kurzen Erzählform. In dieser bei Manesse in Neuübersetzung erschienen Sammlung finden sich 27 Kurzgeschichten, darunter die titelgebende Erzählung „Das Gartenfest“, die als eine ihrer bekanntesten Werke gilt.

Die titelgebende Geschichte: „Das Gartenfest“

Im Mittelpunkt der Erzählung steht Laura Sheridan, ein junges Mädchen aus einer wohlhabenden Familie, auf dem Sprung zum Erwachsenwerden. Laura ist mit den Vorbereitungen für eine grosse Gartenparty beschäftigt. Die Nachricht vom plötzlichen Tod eines jungen Fuhrmanns in der Nachbarschaft stellt die Familie vor ein moralisches Dilemma: Soll die Party trotz des Unglücks stattfinden? Laura wird mit den Klassenunterschieden und der Realität des Todes konfrontiert – ein Wendepunkt, der sie aus ihrer privilegierten Kindheitswelt herausführt.

Diese Geschichte ist ein gutes Beispiel für Mansfields Fähigkeit, komplexe Themen wie soziale Ungleichheit und existenzielle Fragen in alltägliche Situationen zu verweben.

Hauptthemen der Kurzgeschichtensammlung „Die Gartenparty“

Katherine Mansfield setzt sich in ihren verschiedenen Erzählungen intensiv mit gesellschaftlichen Gegensätzen auseinander. Besonders die Trennung der sozialen Klassen und/oder anderer Gesellschaftsgruppen steht immer wieder im Mittelpunkt ihrer Erzählungen. Wie in „Das Gartenfest“ zeigt sie die feinen, aber unüberwindbaren Grenzen zwischen Arm und Reich bzw. in Neuseeland zwischen weissen Engländern und den einheimischen Maori, und macht deutlich, wie selbstverständlich die privilegierte Oberschicht ihren eigenen Lebensstil wahrnimmt, ohne die Existenzkämpfe der ärmeren Bevölkerung wirklich zu begreifen.

Ein anderes zentrales Thema des Buches ist die Vergänglichkeit des Lebens. Der Tod erscheint in vielen ihrer Geschichten als ein plötzliches, unausweichliches Ereignis, das den Figuren ihre eigene Sterblichkeit vor Augen führt. Dabei wird der Tod nicht dramatisch inszeniert, sondern einfach als Teil des Lebens dargestellt – ein natürlicher Übergang, der oft in scharfem Kontrast zu den lebendigen, oft sorglosen Alltagsmomenten steht. Hier die junge Frau, die den Blumenschmuck für ihr Gartenfest arrangiert, dort der Fuhrmann, der bei einem Unfall ums Leben kommt und seine Angehörigen – eine Gleichzeitigkeit, die einem selten so intensiv bewusst wird. Dieser Kontrast macht Mansfields Geschichten extrem eindringlich.

Die erwähnte Gleichzeitigkeit beschreibt Mansfield auch wenn es um die inneren Konflikten ihrer Figuren geht. Banale Alltagssituationen stehen neben existenziellen Extremsituationen, was die Protagonistinnen und Protagonisten häufig an Wendepunkte heranführt, an denen sie ihre eigenen Werte, Gefühle und Lebensentscheidungen hinterfragen müssen. Dies geschieht oft durch unerwartete Begegnungen oder Erlebnisse, die ihnen eine neue Sicht auf sich selbst und ihre Umwelt ermöglichen. Es sind oft junge Frauen, die nach Selbstbestimmung und einer eigenen Identität suchen und eine Auseinandersetzung mit weiblicher Emanzipation und Selbstfindung, die Mansfields Erzählungen für mich als Leserin trotz des zeitlichen und geografischen Abstandes nahbar und nachvollziehbar machen.

Mansfield inszeniert oft den Alltag als Bühne für grosse Dramen. Emotionale Erschütterungen und tiefgehende Erkenntnisse werden selten durch grosse, weltbewegende Ereignisse ausgelöst. Viel öfter ist es ein Blick, ein Gespräch oder eine Geste, die eine neue Dimension eröffnen und den Figuren eine tiefere Einsicht in ihr eigenes Leben ermöglichen. Mansfields subtile Art des Erzählens liess mich als Leserin mehr als einmal mit offenem Mund staunen, wenn sich überraschend für einen kurzen Moment der Vorhang öffnete und einen Blick auf die Wahrheit ermöglichte.

Stilistische Merkmale

Katherine Mansfields Sprache zeichnet sich durch eine aussergewöhnliche Präzision und Bildhaftigkeit aus. Mit wenigen, Worten schafft sie eine dichte Atmosphäre, die einem unmittelbar in das Geschehen eintauchen lässt. Ihre Beschreibungen sind sind detailliert, dicht, und direkt auf den Punkt.

Mansfield interessiert sich vor allem für flüchtige Momente und Veränderungen im Leben ihrer Figuren. Ihre Erzählweise fängt Stimmungen und Empfindungen mit einer Leichtigkeit ein, die an impressionistische Malerei erinnert, in der nicht die exakte Abbildung, sondern das Spiel mit Licht und Schatten, Bewegung und Atmosphäre im Vordergrund steht. Die von ihr verwendeten Metaphern (z.B. „Die Überfahrt“ als Metapher für die Pubertät und Trennung vom Elternhaus) flechtet sie auf diskrete Weise ein, so dass sie nie banal oder abgegriffen wirken.

Viele von Mansfields Charakteren erleben Epiphanien, d.h. plötzliche Erkenntnisse, oft ausgelöst durch eine vermeintlich unscheinbare Begebenheit oder eine beiläufige Beobachtung, die für die Figuren jedoch tiefgreifende Folgen haben. Diese Augenblicke des Erwachens sind leise, aber verändern die Sichtweise der Charaktere nachhaltig und verleihen den Geschichten dadurch eine besondere Tiefe.

„Ganz bewusst konzentrierte sie [Mansfield] sich auf die detaillierte Beschreibung des Augenblicks: Die junge Hutverkäuferin, die am Fenster sitzend von Pelzmänteln und Sportcoupés träumt. Der Schock einer Sippe aus der High Society, als man vom gewaltsamen Tod eines Anwohners hört, dann aber doch darauf verzichtet, die Gartenparty abzusagen. Der Moment, in dem die Ehefrau begreift, dass ihr Mann die Hand ihrer Freundin um eine Sekunde zu lang gehalten hat. Wie kaum einer anderen Autorin gelingt es Katherine Mansfield, stets jenen Zeitpunkt einzufangen, der die ganze Wahrheit offenbart.“

Zudem schafft Mansfield sprachlich eine bemerkenswerte Nähe zu ihren Figuren, indem sie häufig aus einer personalen Perspektive erzählt. Die Leserin oder der Leser erlebt die Ereignisse unmittelbar durch die Gedanken und Wahrnehmungen der Protagonistinnen, wodurch eine intime Verbindung zur inneren Welt der Charaktere entsteht.

Die Manesse-Ausgabe

Ein Blick ins Buch
Katherine Mansfield „die Gartenparty“ Ausgabe von Manesse

Im Oktober 2022 veröffentlichte der Manesse Verlag eine exklusive Neuauflage von „Die Gartenparty“. Die Übersetzung von Irma Wehrli ist sehr gelungen, denn sie gibt Mansfields präzise Sprache und den subtilen Humor treffend wieder. Ergänzt wird die Ausgabe durch ein Nachwort der Schriftstellerin Julia Schoch, die Mansfields Werk als „noch heute ins Mark treffend“ beschreibt. Schoch betont Mansfields Bedeutung als Wegbereiterin der modernen Kurzgeschichte und hebt ihre Fähigkeit hervor, weibliche Lebensrealitäten literarisch greifbar zu machen.

Wie immer bei Manesse hat man bereits Freude an dem Buch, bevor man zu lesen beginn: Das Design ist elegant, das Cover diskret, der Vorsatz mit der Handschrift der Autorin dekoriert, der Schutzumschlag fühlt sich solide an und die Fadenheftung und das Lesebändchen verleihen der Ausgabe eine besondere Sinnlichkeit. Das kleine Buch liegt äusserst angenehm in der Hand, riecht fein, und fühlt sich so an, dass man es einfach gerne in die Hand nimmt, um darin zu blättern und zu schmökern.

Mein Fazit

Katherine Mansfield hat die Fähigkeit, universelle Themen in kurzen, intensiven Momenten einzufangen. Dadurch werden ihre Kurzgeschichten zeitlos. In „Die Gartenparty“ beweist sie erneut, wie sie aufmerksame Beobachtungen in präzise Sprache umwandeln kann. Dadurch verleiht Katherine Mansfield alltäglichen Szenen psychologische Tiefe und man kann verstehen, warum sie in der Literaturgeschichte als Meisterin der Kurzgeschichte gilt.

Die Autorin ist Neuseeländerin und viele ihrer Geschichten spielen in Neuseeland. Dieser Schauplatz und einige gesellschaftliche Eigenheiten wirken auf uns mitteleuropäische Leserinnen etwas fremd. Deshalb war ich froh über die vielen Fussnoten und Erläuterungen am Ende des Buches, in denen die Übersetzerin ihre historische, sprachliche und kulturelle Erklärungen beisteuert.

Die Manesse-Ausgabe ist eine grossartige Gelegenheit, diesen (und andere!) literarischen Klassiker neu zu entdecken und zu verstehen. Für Leserinnen und Leser, die sich für prägnante, emotionale Erzählkunst interessieren, die zum Nachdenken anregt, ist „Die Gartenparty“ ein absolutes Muss! Ich persönlich lasse es auf dem Beistelltischchen neben dem Sofa liegen, damit ich es ab und zu wieder in die Hand nehmen und darin schmökern kann.

"Die Gartenparty" von Katherine Mansfield
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Informationen über das Buch

"Die Gartenparty" von Katherine Mansfield

„Grosse weibliche Erzählkunst von der Meisterin der modernen Short Story
Mit dieser exklusiven Auswahl lässt sich die Meisterin der kleinen Form (wieder)entdecken. Es war der kurze, oft alles entscheidende Lebensmoment, der Katherine Mansfield faszinierte. Ganz bewusst konzentrierte sie sich auf die detaillierte Beschreibung des Augenblicks: Die junge Hutverkäuferin, die am Fenster sitzend von Pelzmänteln und Sportcoupés träumt. Der Schock einer Sippe aus der High Society, als man vom gewaltsamen Tod eines Anwohners hört, dann aber doch darauf verzichtet, die Gartenparty abzusagen. Der Moment, in dem die Ehefrau begreift, dass ihr Mann die Hand ihrer Freundin um eine Sekunde zu lang gehalten hat.
Wie kaum einer anderen Autorin gelingt es Katherine Mansfield, stets jenen Zeitpunkt einzufangen, der die ganze Wahrheit offenbart. Mit ihren Erzählungen schuf sie eine moderne Form der englischen Kurzgeschichte und gleichzeitig ein Werk, das dank seiner psychologischen Raffinesse bis heute nichts von seiner Anziehungskraft eingebüsst hat. Wer moderne Literatur liebt, die unterhaltsam und raffiniert zugleich ist, kommt an dieser Autorin, die selbst Virginia Woolf als „die beste aller Schriftstellerinnen“ bezeichnete, nicht vorbei.“

„Die Gartenparty“
von Katherine Mansfield, aus dem Englischen übersetzt von Irma Wehrli
Erscheinungstermin: 05. Oktober 2022
Manesse Bibliothek „Klassikerinnen“
544 Seiten, 9,0 x 15,0 cm
ISBN 978-3-7175-2532-5

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