Spätestens seit den sprachlichen Anpassungen an der „Kleinen Hexe“ von Otfried Preussler taucht alljährlich vor der Fastnacht bzw. dem Karneval in den Medien die Frage auf:
Darf man seine Kinder noch als Indianer verkleiden?
Die Frage klingt erst einmal harmlos – schliesslich geht es „nur“ um Fasnacht, Karneval oder Halloween. Kinder lieben bunte Verkleidungen und fantasievolle Kostüme. Aber sobald wir die Debatte weiterdenken, müssen wir uns fragen: Wessen Kultur wird hier eigentlich nachgespielt? Und mit welcher Geschichte ist sie verbunden?
Inhaltsverzeichnis
Kostüme und kulturelle Aneignung: Wo ziehen wir die Grenze?
Wo kämen wir hin, wenn wir unsere Kinder dazu ermutigen, in ihren Fastnachtskostümen Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer Menschen zu nehmen? Wo kämen wir hin, wenn wir heilige Gegenstände, Symbole und Traditionen anderer Kulturen respektieren würden?
Die Antwort ist simpel: Vielleicht in eine Gesellschaft, in der wir bewusster mit der Vergangenheit umgehen, ein tieferes Verständnis für andere Kulturen entwickeln und unseren Kindern nicht unbewusst beibringen, dass man sich an Traditionen anderer Menschen bedenkenlos bedienen darf – egal, welchen Stellenwert sie für die Betroffenen haben.
Aber genau hier fängt die Diskussion erst an.
Sind wir bereit, bei unseren eigenen Werten dieselbe Toleranz zu zeigen, die wir von anderen Kulturen verlangen?
Was wäre, wenn Angehörige von Gruppen, die Christen brutal verfolgt haben, ihre Kinder mit kleinen gekreuzigten Jesus-Figuren spielen liessen? Würden wir das als harmlose Folklore abtun? Oder würden wir es als Respektlosigkeit empfinden, als Spott über das Leiden und den Glauben anderer?
Wenn es uns verletzt, wenn jemand unsere religiösen Symbole oder die Geschichte unseres Volkes zur Belustigung nutzt, warum sollte das für andere weniger schmerzhaft sein?
Cowboys & Indianer oder Nazis & Juden?
Eine Frage, die mich erschreckt hat – weil ich sie nicht so leicht beantworten kann.
Warum empfinden wir es als absolut undenkbar, dass Kinder „Nazis & Juden“ spielen, halten aber „Cowboys & Indianer“ für ein harmloses Kinderspiel?
Vielleicht liegt der Unterschied darin, dass die europäische Erinnerungskultur den Holocaust als eines der grössten Verbrechen der Menschheit begreift. Wir haben gelernt, mit der Geschichte sensibel umzugehen und zu verhindern, dass die Schrecken der Vergangenheit verharmlost werden.
Aber was ist mit dem Schicksal der indigenen Völker Nordamerikas? Die Tatsache, dass Millionen Menschen durch Kriege, Zwangsumsiedlungen, Krankheiten und Hunger ermordet, ganze Völker ausgerottet wurden? Dass ihre Kultur systematisch zerstört und ihre Nachfahren bis heute diskriminiert werden?
Wir haben uns nie intensiv mit dem Genozid an den Indianern auseinandergesetzt – und vielleicht empfinden wir ihn deshalb als weniger schlimm.
Spielen ist unschuldig – oder doch nicht?
Natürlich sind die Spiele unserer Kinder unschuldig. Kein Kind setzt sich mit Federschmuck auf den Kopf und denkt dabei an die brutale Kolonialisierung Nordamerikas. Aber genau hier liegt das Problem: Wenn wir es als „nur ein Spiel“ betrachten, nehmen wir unseren Kindern die Möglichkeit, zu hinterfragen.
Welche Botschaft vermitteln wir ihnen, wenn sie sich als „Indianer“ verkleiden?
- Dass indigene Kulturen eine Art „Freizeitpark“ seien, aus dem man sich bedienen könne – ohne die dazugehörige Geschichte zu kennen.
- Dass das Bild des „edlen Wilden“, das Hollywood geprägt hat, der Realität entspräche.
- Dass es keine Rolle spiele, dass manche Menschen mit indigenen Wurzeln sich durch solche Darstellungen verletzt fühlen.
Natürlich geht es dabei nicht um ein Verbot. Kein Kind wird zum Rassisten, weil es sich einmal als Indianer verkleidet. Aber vielleicht ist es an der Zeit, dass wir als Eltern unser eigenes Denken hinterfragen!
Wie können wir sensibel mit dem Thema umgehen?
Es gibt keinen einfachen Weg, dieses Dilemma aufzulösen, aber ein bewussterer Umgang mit der Thematik kann ein erster Schritt sein.
- Geschichte erzählen: Wenn ein Kind sich als indigene Person verkleiden möchte, können wir es begleiten: „Weisst du, warum diese Kleidung besonders ist?“
- Alternativen finden: Möglichkeiten, dem Wunsch des Kindes nach Kreativität und Verkleidung gerecht zu werden, ohne eine Kultur nachzuahmen, die mit einem leidvollen Erbe verbunden ist?
- Gespräch eröffnen: Wir können mit unseren Kindern darüber sprechen, dass nicht jede Kultur oder Tradition als Fastnachtskostüm geeignet ist – und dass Respekt manchmal bedeutet, bewusst auf etwas zu verzichten.
Vielleicht führt das nicht dazu, dass ein Kind sofort sein Kostüm ändert – aber es sät den Samen für späteres Bewusstsein.
Von kultureller Aneignung zu kulturellem Respekt
Die Frage, ob wir Kinder als Indianer verkleiden dürfen, ist Teil einer weiter gefassten Debatte über kulturelle Aneignung. Sie reicht von Federschmuck und Traumfängern als Dekoration bis hin zur Vermarktung von Ritualen, die in indigenen Kulturen eine tiefere spirituelle Bedeutung haben.
Aber bedeutet das, dass wir gar nichts mehr übernehmen dürfen?
Nicht unbedingt. Viele indigene Gruppen teilen ihre Traditionen gerne mit anderen – aber auf eine respektvolle Weise. Das Problem liegt oft in der Art und Weise, wie diese Traditionen kommerzialisiert und aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen werden.
Es geht nicht darum, alles zu verbieten, sondern bewusster zu sein.
Wenn wir eine indigene Kultur respektvoll kennenlernen, mit den Menschen in Austausch treten und ihre Traditionen auf ihre Weise würdigen, ist das keine Aneignung, sondern Wertschätzung. Auch wenn wir ihrem Kunsthandwerk Respekt zollen.
Fazit: Spielen mit Bewusstsein
Ich bin mir selbst noch nicht ganz sicher, wo mich dieser Denkprozess hinführen wird. Aber ich weiss, dass es wichtig ist, ihn zu führen!
Verbote oder Tabus alleine werden kaum mehr Respekt bewirken – aber Aufklärung und Bewusstsein schon.
Vielleicht ist der erste Schritt, dass wir nicht mehr blind alles nachspielen lassen, sondern mit unseren Kindern darüber sprechen, was genau sie da nachspielen. Vielleicht müssen wir keine globalen Regeln aufstellen, sondern einfach den gesunden Menschenverstand einschalten.
Am Ende geht es ja nicht darum, unseren Kindern den Spass zu verderben – sondern darum, dass sie lernen, mit Respekt und offenen Augen durch die Welt zu gehen.

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Externe Links zum Weiterlesen
- Als Indianer verkleiden: Indigene kritisieren Indianerkostüme
- Als Indianer verkleiden: Darum ist die Verkleidung nicht okay
Ich bin da ganz bei dir. Auch bei mir hat ein Denkprozess begonnen, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Deshalb waren (und sind) die Diskussionen so wertvoll und wichtig, egal welche Position der Verfasser vertreten hat.
Danke für eure Offenheit dem Thema gegenüber <3!
Zitat: „Wo ist der Unterschied zwischen âCowboys & Indianerâ und âNazis & Judenâ?“
es gibt keinen ………
Und wenn man unter diesem Aspekt so manches Ritual gerade im christlichen Bezug betrachtet, dann gibt es eine Menge, was geändert gehört!
Und ehrlicherweise dürften die Kinder sich auch nicht als SWAT/COP/Polizist oder so was verkleiden. Soll ich dann beim Ritter eine Ausnahme machen? *gübel*
Wer hat eigentlich zuletzt über den eigentlichen Grund von Karneval nachgedacht und wann ist der harmlose Spaà eigentlich hirnlos geworden?