Die Kindheit: Mehr als nur die schönste Zeit des Lebens 5ed99b4bc30244f38c101050d6c9bc5fDie Kindheit: Mehr als nur die schönste Zeit des Lebens plzm

Die Werbung sagt: „Die Kindheit ist eine Zeit, um wunschlos glücklich zu sein.“ Aber ist das wirklich so? Viele Eltern erleben ihre Kinder vor allem in Momenten grosser Emotionen – und die sind längst nicht immer glücklich. Kindheit und grosse Gefühle gehören zusammen, aber vielleicht ist es an der Zeit, den Mythos von der „schönsten Zeit des Lebens“ kritisch zu hinterfragen.

Kindheit und grosse Gefühle: Mythos und Realität

Der Ursprung einer Illusion

Woher kommt diese Vorstellung, dass Kinder wie kleine, glückselige Sonnenstrahlen durchs Leben hüpfen sollen? Ich vermute, aus unserer eigenen Sehnsucht nach einer idealisierten Vergangenheit. Als Erwachsene neigen wir dazu, negative Erlebnisse unserer Kindheit auszublenden, vor allem die Enttäuschungen, die Frustrationen, die Ängste. Stattdessen erinnern wir uns lieber an die glücklichen Momente: Ponyreiten, endlose Nachmittage im Garten, Kuscheln im Elternbett wenn wir krank waren…

Für unsere Kinder sieht die Welt aber anders aus: sie leben im Jetzt, und die Wirklichkeit kann manchmal hart sein. Kinder haben keine Kontrolle über ihren Alltag, müssen sich ständig an Regeln anpassen und erleben ihre Gefühle oft intensiver als wir Erwachsenen. Beim Kurzen zeigt sich das deutlich. Er ist jetzt fünf, und bei ihm gibt es nur zwei Extreme: totale Begeisterung oder absolute Katastrophe. Wenn etwas nicht nach Plan läuft – wie letztens, als sein Siku-Traktor wie vom Erdboden verschluckt war – bricht für ihn eine Welt zusammen.

Ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum

Unsere Kinder erleben Zeit anders als wir Erwachsenen. Ein verlorenes Plüschtier kann das Ende der Welt bedeuten, und kann genau so intensiv betrauert werden, wie der Todesfall einer geliebten Person. Gleichzeitig sind unsere Kinder aber auch unfassbar resilient: Kurzer kann nach einem zehnminütigen Weinkrampf, bei dem ich selbst innerlich auf 180 komme, plötzlich wie ausgewechselt sein. „Jetzt habe ich fertig geweint!“ sagt er dann und geht zur Tagesordnung über, während ich noch mit meiner eigenen Reaktion auf den Anfall beschäftigt bin.

Wie Eltern helfen können

Gefühle ernst nehmen, statt sie klein zu reden

Wir neigen oft dazu, kindliche Gefühle zu bagatellisieren: „Das ist nicht so schlimm“, „Das tut doch gar nicht weh“ oder „Stell dich nicht so an“. Aber für ein kleines Kind fühlt sich eine umgeworfene Lego-Eisenbahn, an der es lange gebaut hat so an, als wäre ein Teil seiner Welt zerbrochen. Wenn wir das abtun, vermitteln wir ungewollt: „Deine Gefühle sind nicht wichtig.“

Wenn ich versuche, den Kurzen mit rationalen Argumenten zu beruhigen, regt er sich nur noch mehr auf, bis er vor Wut fast erbrechen muss. Erst als ich angefangen habe, zu sagen: „Ja, ich sehe, du bist jetzt richtig sauer, weil das Auto weg ist. Das ist wirklich blöd“, wurde es besser. Es war, als hätte meine Anerkennung seiner Gefühle den Druck aus der Situation genommen – gleichzeitig lernt er die korrekten Worte kennen, um seinen Zustand zu beschreiben.

Vorbild sein, auch wenn es schwerfällt

Das ist der härteste Teil! „Wir sind vor allem dann Vorbilder, wenn wir gerade keine sind“, hat mal jemand gesagt. Kinder beobachten uns ständig und natürlich auch, wie wir auf Stress reagieren, wie wir Konflikte lösen, wie wir mit unseren eigenen Gefühlen umgehen. Der Kurze reagiert extrem schnell und stark auf meinen emotionalen Zustand: Wenn ich ungeduldig oder gereizt bin, spiegelt er mir das sofort x10 zurück!

Aber natürlich bin ich auch nur ein Mensch. Es gibt diese Tage, an denen einfach nichts funktioniert. Wo ich müde bin, oder überfordert. Vor allem wenn wir beide schlechte Laune haben, möchte ich manchmal einfach zurückbrüllen. Aber das bringt ja nichts. Lieber tief durchatmen, oder ein paar Minuten alleine aufs Klo… und dann etwas sagen im Stil von: „Ich bin auch gerade genervt, tut mir leid, dass ich laut wurde.“

Man glaubt es kaum, aber das hilft wirklich. Unsere Kinder verstehen das besser, als wir denken!

Gefühle benennen – und Alternativen zeigen

Ein entscheidender Schritt war, Kurzer die Sprache zu geben, um seine Gefühle auszudrücken. Sätze wie „Ich bin wütend, weil…“ oder „Ich bin traurig, weil…“ helfen ihm, den Sturm in Worte zu fassen. Gleichzeitig arbeiten wir daran, Alternativen zu finden: Statt ein Spielzeug wütend durch den Raum zu werfen, kann er es zur Seite legen und tief durchatmen. Klingt simpel, klappt aber oft erstaunlich gut.

Nicht die schönste Zeit, aber eine echte Zeit

Warum ich den Mythos für schädlich halte

Mit der Idee, dass die Kindheit unbedingt die „schönste Zeit des Lebens“ sein soll, setzen wir unsere Kinder unter Druck – und uns auch! Wenn unser Kind unglücklich oder schlecht gelaunt ist, stellen wir sofort uns selbst und unseren Erziehungsstil, unsere Lebensweise in Frage. Dabei gehören Enttäuschungen, Wut und Trauer genauso zum Leben wie Freude und Spass.

Es ist nicht meine Aufgabe, mein Kind ständig nur glücklich zu machen (unglücklich natürlich auch nicht). Meine Aufgabe ist es, für ihn da zu sein – in guten wie in schlechten Momenten. Die Welt kann er später noch selbst retten; jetzt muss er erst mal lernen, seine eigene kleine Welt zu verstehen!

Kindheit ist eine Zeit des Lernens

Kindheit ist keine ununterbrochene Glückseligkeit, sondern eine Zeit voller intensiver Erfahrungen. Es ist die Phase, in der Kinder lernen, ihre Gefühle zu regulieren, sich in andere hineinzuversetzen und ihre eigene Identität zu finden. Um Gefühle regulieren zu lernen, muss man sie fühlen, und zwar das gesamte Spektrum!

Das bedeutet auch, dass sie mit Frustration und Niederlagen umgehen lernen müssen. Nicht nur im Spiel, sondern auch im richtigen Leben. Auch negative Gefühle sind eine Gelegenheit, um zu lernen und daran zu wachsen. Nicht vergessen: Für uns Eltern fühlt sich das manchmal schlimmer an, als für unsere Kinder, weil wir sofort trösten möchten und weil wir selbst als Kind gelernt haben, seelische Schmerzen zu verdrängen.

Ein Plädoyer für echte Kindheit

Kinder müssen nicht perfekt sein, und ihre Kindheit muss es auch nicht. Was sie brauchen, ist ein sicherer Hafen, in dem all ihre Gefühle Platz haben – egal ob Freude oder Tränenmeer. Es ist diese Authentizität, diese Echtheit, die ihnen später hilft, starke und resiliente Erwachsene zu werden.

Bücher über Kindheit und grosse Gefühle

Bücher für Eltern

Die Buchreihe „Beltz Nikolo – Grosse Gefühle verstehen und begleiten“ aus dem Beltz-Verlag hat uns als Eltern geholfen, mit den wahnsinnig intensiven Gefühlen unseres „gefühlsstarken“ Sohnes umzugehen: Seine Emotionen besser zu verstehen und verständnisvoller darauf zu reagieren. Besonders empfehle ich:

Bücher für Kinder

  • „Das bin ich und das bist du“ von Doris Rübel, Reihe „Wieso, weshalb, warum“ von Ravensburger (ab 2 Jahren) – ein Lieblingsbuch des Kurzen in diesem Alter!
  • „Ängstlich, wütend, fröhlich sein“ von Doris Rübel, Reihe „Wieso, weshalb, warum?“ von Ravensburger (ab 2 Jahren)
  • „Gefühle. So geht es mir“ aus der Reihe das-sind-wir des Usborne Verlag (4-5 Jahre)
  • „Gefühle sind wie Farben“ von Aliki (4-5 Jahre)

Diese Bücher zeigen Kindern auf einfühlsame Weise, dass alle Gefühle okay sind. Sie helfen dabei, Emotionen zu benennen und zu verarbeiten – eine Fähigkeit, die wir alle gebrauchen können, egal wie alt wir sind.

Zum Thema Wut habe ich eine ganze Artikelserie geschrieben: Schwerpunktthema Wut.

Fazit: Die echte Zeit des Lebens

Die Kindheit ist nicht immer die schönste Zeit, aber sie ist die ehrlichste. Es ist die Phase, in der Gefühle noch pur und unverfälscht sind, cash und ungefiltert ausgedrückt werden. Was zählt, ist nicht, ob Kinder immer glücklich sind, sondern ob sie die Freiheit haben, sie selbst zu sein und das gesamte Spektrum zu fühlen – mit allem, was dazugehört.

Was denkt Ihr über den Mythos der „schönsten Zeit“? Welche Strategien oder Bücher haben Euch geholfen, mit grossen Gefühlen in deiner Familie umzugehen? Teile deine Gedanken und Erfahrungen gerne in den Kommentaren!

Kindheit und grosse Gefühle gehören zusammen
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