Diese Woche veröffentlichte Rita Angelone („Die Angelones“) mit „Jogginghose Ja oder Nein?“ einen Artikel über die Frage, ob Kinder in der Schule Trainerhosen tragen sollten. Auch die sich daraus entwickelnde Diskussion auf Facebook zeigte grossen Diskussionbedarf zum Thema Kleidervorschriften an der Schule.
Ich muss zugeben, ich bin erstaunt darüber, wie viele Menschen kein Problem haben, überall in Trainerhosen oder sonstiger Sportkleidung herumzulaufen. Natürlich sind Kleidervorschriften heutzutage nicht mehr so streng, wie auch schon. Trotzdem halte ich sie nicht ganz für überflüssig, eben so wenig wie andere kulturelle oder gesellschaftliche Konventionen oder Normen, die unser Zusammenleben auf die eine oder andere Art organisieren.
Kleiderregeln sind sinnvoll
Vielleicht liegt es an meinem Alter, aber ich wäre wirklich sehr irritiert, wenn meine Anlageberaterin in Trainerhosen zur Anlageberatung käme. Oder die Pfarrerin im Gottesdienst im bauch- und schulterfreien Top.
Anders gesagt: Es gibt gewisse Konventionen und „Codes“, die unser soziales Leben organisieren und strukturieren. Manche machen in meinen Augen Sinn, andere vielleicht weniger. Trotzdem existieren sie und haben ihre Daseinsberechtigung.
Kleider- und andere Benimmregeln sind nicht nur Einschränkungen, sondern können auch Sicherheit geben. Zum Beispiel wenn man weiss, wie man sich an einer Beerdigung kleidet oder was man bei bestimmten Gelegenheiten sagt, schreibt, tut.
Ich finde es wichtig, dass unsere Kinder diese Normen und Regeln auch lernen – denn nur, wenn sie sie kennen, können sie sich bewusst brechen oder damit spielen, um etwas zu kommunizieren. Es ist etwas anderes, wenn jemand sich „danebenbenimmt“, weil er/sie es nicht besser weiss (dann kann es peinlich werden) oder weil er/sie damit etwas bezwecken will. Nur wenn ich eine Regel kenne, kann ich mich bewusst dafür oder dagegen entscheiden!
Man kann nicht nicht kommunizieren – auch bei der Kleidung!
Der berühmte Satz des Sozialpsychologen Paul Watzlawick – «man kann nicht nicht kommunizieren» – gilt auch, wenn es um die Bekleidung geht.
Auch diejenigen, die Dresscodes und andere «Äusserlichkeiten» ausdrücklich ablehnen, drücken ihre Werte und Zugehörigkeit ebenso über Kleidung aus, wie diejenigen, die einen konservativen Kleidungsstil befürworten. Alle gesellschaftlichen Bewegungen, Jugend-, Sub- und Gegenkulturen haben versucht, sich durch ihre äussere Erscheinung von der dominierenden Kultur abzugrenzen: Hippies, Punks, Hiphop, Gothic… sind nur ein paar offensichtliche Beispiele. Auch andere Gruppierungen heben sich von der Mehrheitsgesellschaft durch eine bestimme Kleiderordnung ab: Angehörige gewisser Berufsgruppen oder religiöser Gruppen kann man zum Beispiel bereits an ihrer Kleidung erkennen.
Auch und gerade diejenigen, die von sich behaupten, nicht auf Äusserlichkeiten zu achten, drücken ihre Zugehörigkeit und ihren Status über einen bestimmten Dresscode aus. Vielleicht nicht durch Anzug und Krawatte, aber zum Beispiel durch hochwertige, natürliche Materialien, bunte „genderneutrale“ Kinderkleidung oder durch das Tragen bestimmter Marken – und das arrogante Nasenrümpfen über Eltern, die ihre Kinderkleidung bei gewissen Grossverteilern oder günstigen Kleidermarken kaufen.
Kleidervorschriften an der Schule
Der Kurze ist auch so ein Trainerhosen-Mensch. Er mag es nicht, wenn es am Bauch drückt. Seit der Mittelstufe haben sie jedoch im Schulhaus Trainerhosenverbot. Das war jedoch nur auf den ersten Blick eine Herausforderung – es gibt heute zahlreiche Alternativen zu rigiden Hosenbünden und Gürteln. Stichwort „Schlupfhose“ (Kurzer nennt sie „Betrügerhosen“): Geschnitten wie eine Jogginghose, Gummizug am Bund, aber aus „akzeptablem“ Stoff. Für die Jungs ist es etwas schwieriger als für Mädchen, bequeme, aber akzeptable Schulhosen zu finden, aber es ist machbar.
Darüber hinaus haben die Jungs sich auch einen Sport daraus gemacht zu testen, wie sehr sie die bestehenden Kleiderregeln in der Schule ausreizen können. Auch das ist wichtig in der Pubertät: Regeln herausfordern, Grenzen testen, Konsequenzen ausloten. Über die Buben, die mit Mädchenkleidern zur Schule gingen, weil sei es unfair fanden, dass sie im Sommer keine Bermudas tragen durften, die Mädchen jedoch kurze Röcke und Sommerhosen, hat die Presse international berichtet.
Übrigens, wie das Schicksal so spielt: Noch während in diesen Artikel in den Entwürfen habe, kam diese Woche ein Mail von der Schule. Wir Eltern wurden darüber informiert, dass die Kleiderordnung sich ändert:
- Kleidung, die der Schulwelt angemessen ist
- Kopfbedeckungen (Mütze, Kappe, Kapuze,…) sind in den Gebäuden verboten
- Trainerhosen toleriert
- Körperteile, die bedeckt sein müssen (vorne und hinten):
Wenn jetzt Trainerhosen wieder toleriert werden, kann ich mein gesamtes Argumentarium, weshalb und weswegen anständige Kleidung in der Schule ein „Must“ ist, wieder einpacken. Sei es drum! Dann halt in Zukunft wieder bequem!
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Liebe Katharina, toller Beitrag und danke vielmals fürs Erwähnen meiner Kolumne! Und ja… welch ein Zufall, diese Mail von der Schule. Da bleibt wirklich nichts anderes übrig, als einzupacken 🙂 Lieber Gruss, Rita