"Kleine grosse Schritte" von Jodi Picoult (Roman) cfa5ce3bfd0240ce91c149da86a4e791"Kleine grosse Schritte" von Jodi Picoult (Roman) plzm

Jodi Picoult nimmt in ihrem Roman „Kleine grosse Schritte“ ein hochaktuelles Thema in den Fokus: Rassismus. Das Buch ist weit mehr als eine Abhandlung über Vorurteile und Diskriminierung. Es erzählt die Geschichte von Ruth, deren Leben sich von einem Moment auf den anderen komplett verändert und die gezwungen ist, alles, woran sie geglaubt hat, zu hinterfragen.

Die Handlung

Ruth Jefferson ist eine erfahrene Hebamme und Säuglingsschwester. Sie liebt ihre Arbeit und übt sie mit Hingabe und Professionalität aus. Ihr Lebensweg war nie einfach: Als schwarze Frau musste sie in einer von Weissen dominierten Gesellschaft mehr leisten, um ihren Platz zu behaupten. Ruth glaubt jedoch fest daran, dass harte Arbeit und ein makelloser Ruf der Schlüssel zu einem erfolgreichen Leben sind.

Doch dieser Glaube wird erschüttert, als sie angewiesen wird, sich nicht um den kleinen Davis, das Baby einer Neonazi-Familie, zu kümmern. Wenige Tage später stirbt das Kind – und Ruth wird vorgeworfen, den Tod absichtlich herbeigeführt zu haben. Sie wird wegen Totschlags angeklagt und muss vor Gericht.

Dort steht ihr Kennedy McQuarrie, eine engagierte Pflichtverteidigerin, zur Seite. Kennedy soll beweisen, dass die Anklage gegen Ruth rassistisch motiviert ist. Doch ihre eigene weisse Perspektive stellt sich dabei immer wieder als Hindernis heraus. Während Ruth um ihre Freiheit und ihren Ruf kämpft, bröckelt ihr bisheriges Leben: Ihr Sohn, der bisher unauffällig war, beginnt zu rebellieren. Vermeintliche Freundinnen und Freunde wenden sich von ihr ab. Ruth wird klar, dass die Regeln, nach denen sie bisher gelebt hat, sie nicht vor Diskriminierung schützen können.

Jodie Picoult verwendet drei Erzählperspektiven: Je von Ruth, ihrer Anwältin Kennedy und von Turk, dem Vater des verstorbenen Babys. Diese unterschiedlichen Sichtweisen beleuchten verschiedene Facetten von Rassismus und regen die Leserinnen und Leser dazu an, die eigene Haltung kritisch zu hinterfragen.

Die Themen

Das Hauptthema Rassismus zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Jodi Picoult thematisiert sowohl den offenen Hass, wie ihn Turk verkörpert, als auch die subtileren, alltäglichen Formen von Diskriminierung, mit denen Ruth konfrontiert ist. Dabei zeigt sie, wie tief rassistische Vorurteile in unserer Gesellschaft tatsächlich verwurzelt sind und wie sehr sie das Leben von von uns allen beeinflussen.

Neben dem Thema Rassismus ist „Kleine grosse Schritte“ auch eine Geschichte über Identität, Freundschaft und die Suche nach der Wahrheit. Ruth muss sich fragen, wer sie wirklich ist und welche Werte für sie zählen. Kennedy, die Anwältin, wird mit der eigenen Ignoranz und ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert und erkennt, dass sie ihre Privilegien lange als selbstverständlich angesehen hat. Turk, der Neonazi, erlebt eine Veränderung, die den Leser in einen unangenehmen moralischen Zwiespalt bringt.

Mein Eindruck

Jodi Picoult gestaltet ihre Figuren so menschlich und nahbar, dass man mit ihnen leidet, hofft und zweifelt. Ruths Zerrissenheit und ihr Versuch, in einer feindseligen Umgebung stark zu bleiben, sind herzzerreissend.

Die Dynamik der Beziehung zwischen Ruth und Kennedy zeigt, wie schwierig es ist, Brücken zwischen verschiedenen Lebensrealitäten zu bauen. Kennedy möchte Ruth zwar helfen, muss im Laufe der Zeit jedoch einsehen, dass ihre eigene, beschränkte Sichtweise nicht genug ist, um die Komplexität von Rassismus zu begreifen.

Die Kapitel, die aus Turks Perspektive geschrieben sind, haben mir viel abverlangt. Picoult lässt ihn seine Geschichte mit einer verstörenden Schonungslosigkeit erzählen. Damit zwingt sie die Leserinnen und Leser, sich aus der Ich-Perspektive mit einer Weltsicht auseinanderzusetzen, die man am liebsten ignorieren würde, und sie gegen den inneren Widerstand zu „verstehen“.

Das erfordert Mut – sowohl von der Autorin als auch der Leserschaft.

Allerdings hat der Roman auch seine Längen. Picoult möchte das Thema Rassismus umfassend beleuchten, was stellenweise zu ausufernden Erklärungen führt. Doch diese Längen sind verzeihlich, weil sie dem Gesamtbild Tiefe verleihen.

Fazit

Obwohl „Kleine grosse Schritte“ ein Pageturner ist, ist der Roman definitiv kein leichtes Buch. Es konfrontiert die Leserinnen und Leser mit unangenehmen Wahrheiten und fordert sie heraus, ihre eigenen Vorurteile zu hinterfragen. Die Autorin bringt ihre Figuren immer wieder in moralisch schwierige Situationen, und die verschiedenen Konflikte sind so geschickt gezeichnet, dass man regelrecht mit den Protagonistinnen mitleidet.

Einmal mehr hat es Jodi Picoult geschafft, ein komplexes Thema in eine bewegende Geschichte zu verpacken, die lange nachhallt. Der Roman „Kleine grosse Schritte“ berührt emotional und intellektuell, ist aber kein „Problembuch“, sondern sehr unterhaltend und spannend geschrieben.

Leserinnen und Leser, die Geschichten mit Tiefgang schätzen und bereit sind, sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen werden dieses Buch lieben. Ich empfehle „Kleine grosse Schritte“ an alle, die bereit sind, ihre Perspektive zu erweitern und sich auf eine emotionale Reise einzulassen.

Wer die Protagonistin Ruth noch besser kennenlernen möchte, dem sei das E-Buch „Das Mädchen mit den roten Schuhen“ ans Herz gelegt.

"Kleine grosse Schritte" von Jodi Picoult - Cover
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„Kleine grosse Schritte“ von Jodi Picoult

Informationen über das Buch

"Kleine grosse Schritte" von Jodi Picoult - Cover

Ruth Jefferson ist eine der besten Säuglingsschwestern des Mercy-West Haven Hospitals in Connecticut. Dennoch wird ihr die Versorgung eines Neugeborenen von der Klinikleitung untersagt – die Eltern wollen nicht, dass eine dunkelhäutige Frau ihr Baby berührt. Doch eines Tages arbeitet Ruth allein auf der Station und bemerkt, dass das Kind keine Luft mehr bekommt. Sie entscheidet schliesslich, sich der Anweisung zu widersetzen und dem Jungen zu helfen. Doch ihre Hilfe kommt zu spät, und Ruth wird von den Eltern des Jungen angeklagt, schuld an dessen Tod zu sein. Ein nervenaufreibendes Verfahren beginnt …

Originaltitel: Small Great Things
Roman von Jodi Picoult, aus dem Englischen übersetzt von Elfriede Peschel
Erscheinungstermin: 2017 (Hardcover) und 2018 (Taschenbuch)
C. Bertelsmann Verlag (Hardcover) und Penguin Randomhouse (Taschenbuch)
592 Seiten, 11,8 x 18,7 cm


Bezugsquellen

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Der Roman ist als Hardcover, Taschenbuch, eBook und Hörbuch erhältlich:

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