Gewisse Themen verfolgen einem ständig. Dann denkt man, man sei sie los, aber schon bald stolpert man wieder über sie. Gerade wieder wurde ich – nach ein paar Wochen Ruhe – von verschiedenen Seiten mit dem Glaubenssatz konfrontiert, Kinder würden Lob benötigen, um motiviert zu sein und um Selbstbewusstsein zu entwickeln. Dieser Satz basiert auf ein paar weitere Glaubensbekenntnisse:
- Selbstbewusstsein sei Zweck der Erziehung
- es läge an uns Eltern, dem Kind Selbstbewusstsein zu geben, ohne unsere Bemühungen hätte es keines (implizite Aussage: Selbstbewusstsein komme von Aussen)
- das Kind hätte von sich aus keine Motivation, könne sich nicht selbst motivieren und ohne unser Lob würde es weder lernen noch für die Gemeinschaft sinnvolle Tätigkeiten ausüben
Wie auch immer: Fakt ist, dass Loben tatsächlich kurzfristig motivierend wirken kann – wenn es von Herzen kommt, spontan, authentisch und ernst gemeint ist. Im Moment aber, in dem wir einen Elternkurs besuchen, um zu lernen, wie genau wir ein Lob formulieren müssen, damit esÃÂ möglichst grosse Wirkung hat, um das Kind dazu zu bringen, das zu tun was wir von ihm erwarten, sind diese Bedingungen schon nicht mehr erfüllt. Kinder sind ja nicht doof: Sie merken sehr gut, wann wir sie manipulieren und unsere wohlverdienen Versuche, „das Richtige“ zu sagen, werden bei einem gesunden Individuum auf Widerstand stossen. Denn wer lässt sich schon gerne manipulieren?
~|~|~
Etwas, das mir in diesem Zusammenhang immer wieder auffällt, ist die Gleichsetzung undÃÂ Vermischung von Lob mit Anerkennung. Was natürlich auch zum Fehlschluss führt, ein Mensch benötige Lob, um sich anerkannt zu fühlen.
Nun, es ist ein menschliches Grundbedürfnis, von anderen wahrgenommen zu werden, gesehen zu werden, in der jeweiligen Zugehörigkeitsgruppe anerkannt zu sein. Es ist eng verwandt mit dem Bedürfnis, für die Gruppe wertvoll zu sein, geschätzt zu werden, nützlich zu sein. Menschen möchten ein wichtiger Teil ihrer Gruppe, ihrer Gemeinschaft sein und auch als einzigartiges Individuum, als unersetzlicher Teil innerhalb dieser Gruppe wahrgenommen werden. Und darauf basiert natürlich der Selbstwert: Auf das Wissen, dass man als Mensch, als Individuum, wertvoll ist. Wertvoll als Person kann jemand aber nur unabhängig von einer bestimmten Leistung sein.
Das Anerkennen einer Leistung ist natürlich auch etwas Schönes, gerade wenn wir uns über die Leistung freuen und uns wünschen, dass das Kind sie von Zeit zu Zeit wiederholt. Positive Verstärkung nennt man das. Aber ob Lob dazu wirklich das richtige Werkzeug ist? Das bezweifle ich stark!
Kinder sind Menschen, Erwachsene auch. Deshalb gehe ich jetzt einfach mal davon aus, dass mein Kind in solchen Dingen ähnlich tickt, wie ich auch. Ich arbeite von zuhause aus und mein Mann extern. Deshalb bin ich für zahlreiche Haushaltsarbeiten zuständig (andere teilen wir uns). Anerkennung, grad bei langweiligen Routinearbeiten wie Abwaschen, ist irrsinnig wichtig, damit es einem nicht verleidet. Nun stellen wir uns also vor, mein Mann würde meine Arbeit mit Lob anerkennen: „Fantastisch wie Du heute wieder abgewaschen hast, das Geschirr glänzt so wunderbar, kein Löffelchen hast Du vergessen, ich bin so stolz auf Dich wie toll Du das immer hinkriegst“.
Bei so einer „Anerkennung“ würde ich ihm vermutlich den nassen Abwaschlappen um die Ohren hauen!
Erstens steht es niemandem zu, die Qualität meiner Arbeit zu bewerten. Lob ist immer Bewertung und der Lobende stellt sich damit über die Person, die er damit bewertet.
Zweitens will ich für meine täglichen Arbeiten und Selbstverständlichkeiten nicht gelobt werden. Ich will, dass mein Einsatz gesehen wird und ich will, dass er anerkannt wird. Dass ich meine Arbeit so gut mache, wie ich kann, ist für mich selbstverständlich – und wenn dies einmal nicht der Fall ist, dann hatte ich meine Gründe dafür und brauche niemand, der mir sagt, dass ich das auch besser könnte.
Womit könnte also mein Mann diesen hohen Ansprüchen genügen?
Mit einem einfachen, wertungsfreien, simplen DANKE!
Mehr braucht es nicht.
Dasselbe gilt im Zusammenleben mit Kindern. Es ist nicht nötig bzw. wahrscheinlich sogar kontraproduktiv, bei jedem Hasenfurz in Lobeshymnen auszubrechen. Aber wenn einem das Kind geholfen hat oder man gemeinsam ein Ziel erreicht hat, wirkt ein simples „Danke, dass Du mir gehofen hast“ oder „Danke, dass ich den Nachmittag mit Dir verbringen durfte, es hat mir viel Spass gemacht“, Wunder. Das Kind kann sich damit als anerkanntes, nützliches Mitglied der Gesellschaft fühlen. Als jemand, der einen Unterschied macht.
Und letzteres ist das, was uns am Laufen hält und unseren Selbstwert begründet: Ich mache einen Unterschied aus. Ich, als Individuum, bin wichtig. Ich kann etwas bewirken.
~~~||~~~
Zum weiterlesen:
- Brummelman E., et al.: „On Feeding Those Hungry for Praise: Person Praise Backfires in Children With Low Self-Esteem“, Journal of Experimental Psychology, February 18, 2013
- Kohn, Alfie: „Punished by Rewards – The Trouble with Gold Stars, Incentive Plans, A’s, Praise and Other Bribes“, Boston, Houghton Mifflin, 2. überab. Aufl. 1999
- Kohn, Alfie: „5 Gründe gegen ‚Gut gemacht!‘ – Wie wir durch Loben manipulieren und was wir sonst tun können“ in: „Mit Kindern wachsen“, April 2011
„Erstens steht es niemandem zu, die Qualität meiner Arbeit zu bewerten. Lob ist immer Bewertung und der Lobende stellt sich damit über die Person, die er damit bewertet.“
Kann ich nicht sagen, dass ich gut finde, was jemand macht, dass es mir gefällt, dass sein Werk toll geworden ist, ohne mich über ihn zu stellen?
Glaub ich eigentlich nicht.
Für mich besteht ein grosser Unterschied darin, ob jemand sagt „das gefällt mir“ (Ich-Botschaft) oder „das hast Du schön gemalt“ oder auch „das ist toll geworden“ (Du-Botschaft). Die erste Botschaft enthält für mich kein Machtgefälle (A spricht über A), die zweite aber schon (A bewertet B).
Wenn ich „das hast du schön gemalt“ sage, schwingen da Metabotschaften mit:
Ich bin halt eine Person, die vieles wörtlich nimmt 😉
Das ergibt natürlich einen gewissen Sinn, auch wenn ich es selbst anders empfinde.
Grundsätzlich gebe ich Dir bezüglich (zu viel) Loben recht, wobei ich nicht gross unterscheide zwischen âdas hast du toll gemachtâ und âdas ist ein schönes Bildâ. Für mich persönlich ist wichtig, dass das Lob bzw. die Anerkennung von Herzen kommt, ehrlich gemeint und echt ist und die âLobereiâ im Rahmen bleibt. Auch ich lobe meine beiden Kinder nicht für jeden âMuckenfurzâ, denn dies ist kontraproduktiv und wirkt mit der Zeit kontraproduktiv. Die Kinder sollen ja schliesslich etwas tun, weil sie es wollen und nicht weil sie müssen bzw. sie danach ein Lob erwarten. Motivation sieht für mich auch anders aus. Wird ein Lob erwartet, das ausbleibt, ist Frust programmiert. Noch schlimmer wirds, wenn kritisiert statt gelobt wird in so einer Situation.⦠Für mich ebenfalls sehr wichtig ist, mich bei meinen Kindern aufrichtig zu bedanken. Leider meinen einige Erwachsene immer noch, von Kindern und Jugendlichen gutes Benehmen und Anstand wie güssen, sich bedanken und sich entschuldigen erwarten zu dürfen, ohne ihnen diese â für mich auch wichtigen Werte â entgegen zu bringen :(. Doch gerade auch Kinder haben das Recht, mit Anstand und Respekt behandelt zu werden â da gehört meiner Meinung nach auch ein simples âMerciâ dazu! Nur weil Kinder eben Kinder sind noch ohne viel Lebenserfahrung heisst das ja nicht, dass man sie deshalb âabschätzigâ und minderwertig behandeln kann â im Gegenteil! Vor ca. 2 Monaten hat meine damals knapp 4,5jährige Tochter im Tram einer betagten Frau einfach so und unaufgefordert ihren Platz angeboten. Leider hat es die âDameâ nicht für nötig befunden, sich bei meiner Tochter zu bedanken, was mich sehr geärgert und enttäuscht hat :(. Das habe ich dann eben für sie gemacht und meiner Tochter laut, deutlich und stolz gesagt, wie toll sie das jetzt gemacht hätte ;).