Luca di Fulvio gehört zu den Autoren, die mich seit Jahren begeistern. Von ihm lese ich alles! Seine Fähigkeit, komplexe Plots zu konstruieren und über Hunderte von Seiten hinweg nicht den roten Faden zu verlieren, macht mich ein bisschen neidisch. Seine Charaktere sind lebensecht und vielschichtig. So sind auch die Hauptpersonen in „Das verborgene Paradies“ Menschen, die manchmal unkluge Entscheidungen treffen oder moralisch fragwürdige Dinge aus den richtigen Gründen tun, treffen auf Gegenspieler, die nicht einfach nur „böse“ sind, sondern so abgrundtief finstere Facetten haben, dass man sie kaum vergessen kann.

Mir fällt gerade auf, dass ich noch nie eines seiner Bücher hier auf meinem Blog besprochen habe. Keine Ahnung, vielleicht habe ich einfach immer darauf vertraut, dass jeder bereits von Luca di Fulvio gehört hat? Wenn ihr Lust habt, dass ich auch ältere Bücher von ihm rezensiere – zum Beispiel Der Junge, der Träume schenkte oder Als das Leben unsere Träume fand – schreibt mir doch einen Kommentar oder meldet euch auf Social Media. Ich bin immer offen für Anregungen!

Ein Roman, der in die Zeit der Inquisition spielt

„Das verborgene Paradies“ spielt im Europa des 17. Jahrhunderts. Genauer gesagt beginnt die Handlung im Jahr 1633, einer Zeit, die von religiöser Intoleranz und der grausamen Inquisition geprägt war. Der Schauplatz ist das kleine, fiktive Dorf Borgo San Michele in Norditalien, das durch die düstere Atmosphäre dieser Epoche lebendig wird.

Im Zentrum der Geschichte steht die junge Susanna, die von der Inquisition der Hexerei beschuldigt wird. Der Vorwurf kommt nicht aus heiterem Himmel – vielmehr steckt dahinter Constantin Tron, ein fanatischer Inquisitor, der seine Macht und seinen Einfluss auf perfide Weise missbraucht. Tron sieht in Susanna eine Gefahr. Deren einzige Hoffnung liegt in Daniele. Dieser wird als „Instructor Daemonii“, eine Art Spezialist für Prozesse dieser Art, hinzugezogen. Daniele ist nicht irgendwer: Seine Vergangenheit ist eng mit Susanna verknüpft, und auch mit dem alten Prior Fra’ Thevet, der ihn und Susanna wie ein Vater grossgezogen hat.

Es folgt ein nervenaufreibender Prozess, der den Hauptplot des 624 Seiten langen Buches ausmacht. In Rückblenden erfahren wir die Vorgeschichte der Figuren, insbesondere von Susanna und Daniele. Diese Rückblicke reichen bis ins Jahr 1610 zurück und beleuchten nicht nur die Kindheit der beiden, sondern auch die Spannungen, die sich im Laufe ihrer Beziehung aufgebaut haben. Gleichzeitig lernen wir Constantin Tron und seinen intriganten Gehilfen Paolo kennen – zwei Charaktere, die vor Skrupellosigkeit nur so strotzen und den Daniele und Susanna das Leben zur Hölle machen.

Ein Blick in eine grausame Zeit

Luca di Fulvio hat die Fähigkeit, historische Themen aufzugreifen und sie so darzustellen, dass sie die Leserschaft ganz direkt berühren. In „Das verborgene Paradies“ gelingt ihm das sehr gut: Die Furcht der Menschen vor der Inquisition, die Machtspiele innerhalb der Kirche und die allgegenwärtige Gefahr, aufgrund von Falschaussagen oder blossen Verdächtigungen gefoltert und verurteilt zu werden, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte.

Dabei vermittelt der Autor zwischen den Zeilen viel historisches Wissen. Wie lief ein Hexenprozess ab? Welche Rolle spielten die unterschiedlichen Beteiligten – von den Inquisitoren über die Zeuginnen und Zeugen bis hin zu den Angeklagten? Wie konnten Kirchenmänner ihre Position missbrauchen, und wie haben sich die einfachen Menschen vor ihnen gefürchtet? Die Handlung gibt Antwort auf diese und weitere Fragen, ohne dass es je belehrend wirkt.

In den Szenen, in denen Susanna die Verhöre und das Leben in Haft durchstehen muss, beschreibt Di Fulvio die Angst, die Verzweiflung Susannas und ihren zunehmenden Verlust der Hoffnung so greifbar, dass man sich beim Lesen fast selbst in den kalten Kerker versetzt fühlt. Gleichzeitig lässt er Raum für die unerschütterliche Loyalität von Daniele zu Susanna und die Weisheit und Herzensgüte von Fra’ Thevet, die wie kleine Flammen in einer sonst düsteren Welt leuchten.

Ein komplexes Netz aus Beziehungen

Ein weiterer Aspekt, der mich immer wieder an Luca di Fulvios Büchern fasziniert, ist die Vielschichtigkeit seiner Figuren. Niemand ist nur gut oder böse – jeder hat seine Ecken und Kanten.

Daniele, der „Instructor Daemonii“ wirkt zu Beginn der Geschichte fast wie ein Antiheld: ein Mann mit Fehlern, Zweifeln und einem Hang zur übertriebenen Selbstkritik. Doch im Laufe der Handlung wächst er über sich hinaus und wird zu einer Figur, die man gerade wegen ihrer Menschlichkeit bewundert.Andererseits nervt er auch, denn gerade seine felsenfeste Integrität wird zu seiner grössten Schwäche, wenn die Bösewichte ihre Intrigen spinnen.

Susanna, die junge Frau, die der Hexerei beschuldigt wird, ist das emotionale Zentrum der Geschichte. Ihre Stärke liegt in ihrem unerschütterlichen Willen, trotz Angst und Verzweiflung ihre Würde und Unschuld zu bewahren, auch wenn die Welt um sie herum im Chaos versinkt.

Dann ist da noch Constantin Tron, der Inquisitor. Wenn ich sage, dass di Fulvio legendäre Bösewichte schreibt, dann meine ich genau solche Figuren wie ihn. Tron ist intelligent, charismatisch und manipulativ. Das macht ihn gefährlich. Seine Art, Macht auszuüben und andere für seine Zwecke zu benutzen, macht ihn zu einem faszinierenden Antagonisten.

Ein Plot voller Wendungen

„Das verborgene Paradies“ ist ein Buch, das man kaum aus der Hand legen kann. Immer wenn man denkt, die Lage könnte sich für Susanna endlich bessern, kommt der nächste Schlag. Di Fulvio versteht es, Spannung aufzubauen und die Leserschaft bei Stange zu halten.

Di Fulvio jongliert wie kein anderer mit Zeit- und Handlungsebenen. Die Rückblenden, die die Vorgeschichte von Daniele und Susanna erzählen, fügen sich nahtlos in die Haupthandlung ein. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass die Leserin die Hauptfiguren und ihre Motivation immer besser verstehen lernt.

Dann sind da die Nebenfiguren, die jede für sich kleine Glanzlichter der Geschichte sind. Fra’ Thevet, der alte Prior, ist warmherzig, weise, geduldig und voller Mitgefühl – ein Fels in der Brandung. Paolo, der fiese Gehilfe von Constantin Tron, ist hingegen ein Charakter, der mir durch seine unheimliche Loyalität und seine brutale Vorgehensweise regelmässig Schauer über den Rücken gejagt hat.

Mein Fazit

„Das verborgene Paradies“ ist nicht mein Lieblingsbuch von Luca di Fulvio. Das liegt weniger an der Qualität des Romans – die ist wie immer bei di Fulvio überragend –, sondern mehr an meinen persönlichen Vorlieben. Ich habe eine Schwäche für seine Auswanderergeschichten wie Der Junge, der Träume schenkte oder Als das Leben unsere Träume fand, deren emotionale Tiefe mich einfach noch ein kleines bisschen mehr berührt hat.

Trotzdem ist „Das verborgene Paradies“ ein Highlight. Es ist ein historischer Roman, der die Abgründe und die Schönheit der menschlichen Natur gleichermassen auslotet. Die Grausamkeit der Menschen genau so wie die Hoffnung und die Liebe, die sie antreibt.

Wenn ihr nach einem Buch sucht, das euch von der ersten bis zur letzten Seite fesselt, das euch in eine andere Zeit entführt und euch die Härten und Wunder des Lebens gleichermassen zeigt, dann solltet ihr „Das verborgene Paradies“ unbedingt lesen. Und wenn ihr es schon kennt, lasst mich wissen, was ihr davon haltet – ich bin gespannt auf eure Meinungen!

Luca di Fulvio - Das verborgene Paradies
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Luca di Fulvio: „Das verborgene Paradies“

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Informationen zu „Das verborgene Paradies“

Luca di Fulvio - Das verborgene Paradies
Luca di Fulvio – Das verborgene Paradies

„Borgo San Michele, ein Alpendorf umgeben vom Panorama majestätischer Berge. Dort verbinden sich die Schicksale von Daniele, einem jungen Mann, der mit einer besonderen Gabe zur Welt kam, und Susanna, die unter dramatischen Umständen geboren wurde. Es ist das Jahr 1633, und die Inquisition verfolgt gnadenlos jeden, der ihre Lehre anzweifelt. So auch den Universalgelehrten Galileo Galilei, der das Weltbild der Kirche mit einem spektakulären Beweis ins Wanken gebracht hatte: Nicht die Erde ist Mittelpunkt des Universums, sondern die Sonne.

Eine atemraubende Mission bringt auch Susanna und Daniele in tödliche Gefahr. Doch sind die Menschen um sie herum überhaupt bereit für eine neue Zeit? Und ist die Zeit bereit für eine Liebe über Grenzen hinweg?

Ein bildgewaltiges Epos, in dem Tradition und Aberglaube mit Fortschritt und Visionen von einer besseren Welt ringen, eine mitreissende Geschichte um mutige Entscheidungen, die Macht der Liebe und den unerschütterlichen Glauben an den Sieg der Gerechtigkeit“

„Das verborgene Paradies“
von Luca di Fulvio, aus dem Italienischen übersetzt von Elisa Harnischmacher
Lübbe, 2022

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