Für diesen Artikel beim Kasseler Lokalmedium lokalo24.de habe ich mit zahlreichen Müttern gesprochen oder mich schriftlich mit ihnen ausgetauscht. Das Ausmass und die Tiefe ihrer Erfahrungen hat mich zum Nachdenken und schliesslich auf die Idee des Themenschwerpunktes „Depression und Burnout“ hier in diesem Blog gebracht.

Burnout bei Müttern immer häufiger

von Katharina Bleuer

Nervenschwäche nannte man es früher, Neurasthenie, nervöse Melancholie oder Erschöpfungsdepression mit Begleitfolgen: Die Symptomatik, die heute „Burn-Out-Syndrom“ genannt wird, ist mitnichten ein neuer Modetrend, sondern wird in der medizinischen Literatur unter anderen Namen schon seit Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben.

In Deutschland sei jede vierte Mutter* von Stress und Burnout in einem Ausmass betroffen, dass eine Behandlung nötig sei, meldete das Müttergenesungswerk im Frühjahr 2014. Hochgerechnet sind das 2.1 Millionen Mütter allein in Deutschland!

Die Gründe sind seit dem 19. Jahrhundert dieselben geblieben: Oft anspruchslose, sich wiederholende Arbeiten, geringe Wertschätzung, hohe Verantwortung bei gleichzeitig geringer Selbstbestimmung, hohes Arbeitsvolumen und nur wenige Erfolgserlebnisse. In ihrem Zusammenspiel wurden diese Faktoren von der Arbeitspsychologie schon vor Jahrzehnten als wichtige Stressoren identifiziert.

Was ist Stress

Stress ist die biochemische Reaktion auf eine lebensbedrohliche Situation. Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin werden freigesetzt. Unsere Reaktionen werden schneller und die Schmerzschwelle gesenkt, so dass wir für kurze Zeit zu Höchstleistungen fähig sind. Wenn die Belastungssituation anhält, kommt Cortisol hinzu, das uns durchhalten lässt. Ist die Gefahr gebannt, folgt die Müdigkeit auf dem Fuss. Während Körper und Gehirn sich im Schlaf erholen, werden die Stresshormone abgebaut.

Lebensbedrohliche Situationen sind heutzutage freilich selten geworden. Trotzdem reagiert unser Körper bei hohen physischen und mentalen Belastungen aber immer noch mit dem hormonellen „Notcocktail“. Ist Erholung nicht möglich oder dauert die Belastung an, kann der Körper die Stresshormone nicht mehr abbauen.

Die körperlichen Langzeitfolgen von anhaltendem Stress sind bekannt. Geistig gerät die Person mit der Zeit in einen Zustand, wo sie einerseits dringend Ruhe bräuchte, und andererseits so aufgeputscht ist, dass sie sich trotzdem nicht ausruhen kann. Schlaflosigkeit und erste somatische Symptome können die Folge sein.

Anhaltender Stress führt zum Ausbrennen

Jeder von uns hat sich schon einmal erschöpft und ausgebrannt gefühlt. Normalerweise helfen ein paar Ruhetage darüber hinweg. Aber was, wenn es keine Ruhetage gibt? Wenn der Stress immer weiter geht? Nicht etwa Manager, sondern Pflegefachpersonen und Mütter von kleinen Kindern sind am häufigsten von chronischem Stress betroffen!

Menschen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, Lehrpersonen, Mütter – alles Tätigkeiten, die von den Personen, die sie ausüben, bestimmte Charaktereigenschaften verlangen: Pflichtgefühl und Verantwortungsgefühl gegenüber den Schutzbefohlenen, und teilweise starke emotionale Involviertheit. Alle Risikoberufe für Burnout bestehen zudem aus ständigen Wechselbeziehungen mit anderen Menschen, so dass während der Ausübung der Tätigkeit kaum Auszeiten möglich sind und Abgrenzung schwierig ist.

Mütter gehören sowohl was emotionale Verstrickungen mit ihren Schutzbefohlenen betrifft, als auch in Sachen ständiger Verantwortlichkeit zu den Risikogruppen.

Krisen und schwierige Lebensumstände als Ursache von Mütter-Burnout

Burnout wird oft als Problem von Einzelpersonen angeschaut: Hohe Erwartungen an sich selber, Leistungsstreben, das Bedürfnis, seine Umwelt zu kontrollieren, aber auch Versagensängste und ein ausgeprägtes Pflichtgefühl zeichnen Menschen aus, die wegen eines Burnout-Syndroms in Behandlung waren.

Schnell steht deshalb der (Selbst-)Vorwurf im Raum, man habe es selbst verschuldet und/oder versagt, wenn man zusammenbricht.

In Wahrheit ist die Entstehung und Chronifizierung von Stress bis hin zum Burnout jedoch eine Mischung aus individuellen, situationsbedingten und umweltbedingten Faktoren.

Sehr oft können die betroffenen Mütter im Alltag gut mit dem Stress und der Verantwortung umgehen. Wenn dann jedoch weitere Faktoren hinzukommen, ist das der berühmte Tropf, der das Fass zum Überlaufen bringt und sie kommen ins Straucheln:

Konflikte in der Familie, finanzielle Probleme, Todesfälle oder Veränderungen und Unsicherheiten am Arbeitsplatz sind zum Beispiel Situationen, die den „normalen“ Stress des Alltags zusätzlich erhöhen und schliesslich Burnout führen können.

Auch Umweltfaktoren, wie die gesellschaftliche Geringschätzung von Müttern und Care-Arbeit, eine angespannte Wirtschaftslage oder politische Krisen verstärken den Druck und Gefühle von Kontrollverlust und Entfremdung bei den Betroffenen. Das konnte man beispielsweise auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie an der heftigen Zunahme von Mütter-Burnout gut erkennen.

Wenn die Stress auslösenden Probleme nicht innerhalb nützlicher Frist gelöst werden können, besteht das Risiko, dass die Person in eine Spirale von erfolgloser Anstrengung, Misserfolg und noch mehr Anstrengung gerät, die bis zum Zusammenbruch, bzw. Burnout führen kann.

Mütter-Burnout ist ein gesellschaftliches Thema

Burnout bei Müttern ist mehr als ein individuelles Schicksal. Es ist ein Spiegel unserer Gesellschaft, die Care-Arbeit oft weder wertschätzt noch ausreichend unterstützt. Wer ständig die eigene Energie bis zum Äussersten einsetzen muss, ohne Rückhalt oder Pausen, riskiert mehr als nur Erschöpfung – die eigene Gesundheit und Lebensfreude stehen auf dem Spiel.

Es ist wichtig, frühzeitig Alarmzeichen zu erkennen, sich Hilfe zu holen und vor allem: nicht allein mit der Verantwortung zu bleiben. Netzwerke, Gespräche und der Austausch mit anderen Betroffenen können erste Schritte sein, um aus der Stressspirale auszubrechen. Und manchmal bedeutet Selbstfürsorge, nicht nur an die Kinder, sondern auch an sich selbst zu denken.

Wobei auch das die Verantwortung wieder an dieselbe Person abgibt. Die Mutter im Burnout muss sich dann nicht nur mehr um andere kümmern, sondern auch noch um sich selbst, was dem Stress und der Überforderung eine weitere Schicht hinzufügt. Es ist ein Teufelskreis! Deshalb kann ich zum Abschluss nur sagen: Achtet aufeinander. Auf Eure Schwestern, Tanten, Nachbarinnen, Freundinnen – sind sie ständig müde? Ziehen sie sich zurück? Haben sie keine Lust auf Dinge, die ihnen vorher Freude machten? Dann sprecht sie darauf an, sucht das Gespräch oder schickt sie zum Arzt!

Wir sind eine Gemeinschaft

Habt Ihr selbst schon Erfahrungen mit Mütter-Burnout machen müssen? Welche Lösungen haben Euch geholfen? Schreibt mir an blog@buchstabensalat.ch und teilt Eure Geschichte, denn oft hilft es schon, zu wissen, dass man nicht allein ist.

Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass Mütter die Unterstützung erhalten, die sie verdienen – und dabei vielleicht auch den Blick auf eine Gesellschaft verändern, die genau diese Unterstützung so dringend braucht.

Mütter-Burnout: Pflichtgefühl und Engagement
Mütter-Burnout: Pflichtgefühl und Engagement

Unter dem Stichwort „Schwerpunktthema Stress, Burnout und Depressionen“ findet Ihr unter anderem auch Gastbeiträge von Müttern, die unter Burnout gelitten haben.

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*Gemeint sind alle Personen, die den grössten Teil der Verantwortung für die Care-Arbeit in der Familie übernehmen. Der Einfachheit halber schreibe ich „Mütter“, es können aber auch Väter, Grosseltern, Pflegeeltern etc. sein.

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Zum Weiterlesen

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