Plädoyer für elterliche Weiterbildung und gegen das reine Bauchgefühl plzmPlädoyer für elterliche Weiterbildung und gegen das reine Bauchgefühl bb58b3a70fba4530a7baaedc06b9073c

Seit mein Sohn auf der Welt ist und ich mich öfter mal mit Eltern über Erziehungs- und Kinderthemen unterhalte, heisst es immer mal wieder, als Mutter, als Eltern, solle man sich auf sein Bauchgefühl verlassen, dann würde man schon das Richtige tun. Ich habe diese Aussage eigentlich nie hinterfragt. Bis auf heute.

Ein Hoch auf das Bauchgefühl

Im Artikel „Kinderrechte: Der eigene Wille“ von Mama Notes stolperte ich über diesen Kommentar einer Benutzerin namens Berit, in dem sie das elterliche Bauchgefühl lobt:

„Diese ganzen Erziehungsratgeber mögen auch alle nett gemeint sein, aber ich finde wenn man auf sein Bauchgefühl hört, kann man eigentlich nichts falsch machen.“

Und – zack – fiel es mir wie Schuppen von den Augen und ich fand Worte für das diffuse Unwohlsein, das mich schon seit längerer Zeit befällt, wenn wieder mal jemand das elterliche „Bauchgefühl“ beschwört.

Was ist denn „Bauchgefühl“ überhaupt?

  • einprogrammierte Glaubenssätze
  • all diese Wahrheiten über Kinder, die mit „sollte“ und „müsste“ einhergehen
  • die ganzen Erwartungen, die wir an unsere Kinder stellen
  • unsere eigenen (teilweise verschütteten) Kindheitserinnerungen
  • unsere eigene Erziehung und dabei gelernte Vorstellungen über „richtig“ und „falsch“

All diese Punkte sind in unserem Gehirn verankert und zwar auf einer nicht immer bewussten Ebene. Insbesondere die Emotionen, die damit einher gehen, sind im sog. limbischen System abgespeichert – dort wo unsere sog. „natürlichen Instinkte“ sitzen und von wo aus „instinktive Handlungen“ ausgelöst werden.

Was nichts anderes heisst, als dass wir in einer emotionalen Extremsituation zuerst wütend werden, entsprechend handeln (beispielsweise indem wir brüllen oder uns die Hand ausrutscht) und unser bewusstes Denken erst danach eine rationale Erklärung – meist in Form einer Schuldzuweisung – bereitstellt.

Emotionen aus unserer eigenen Kindheit kommen uns auf diese Weise im Alltag ständig in die Quere (siehe „Mama, was schreist du so laut?“ von Britta Hahn – Werbelink) und verhindern, dass wir uns so verhalten, wie wir eigentlich wollen würden.

Erlernte Verhaltensweisen

Mein Bauchgefühl sagt

  • Ein Klaps hat mir auch nicht geschadet
  • Dass einem die Hand ausrutscht kann passieren und ist nicht so schlimm
  • Eine Ohrfeige bringt ein Kind nicht um (und was es nicht umbringt, macht es stärker)
  • Kinder müssen sich unterordnen
  • Einmal ist keinmal
  • Kinder haben den Mund zu halten wenn Erwachsene reden
  • Ein Dreijähriges braucht keine Windeln mehr
  • Erziehung ist ohne Strafen und Belohnungen nicht möglich

Es ist schlicht unmöglich aufzudröseln, was davon unserem natürlichen Instinkt (aka „Bauchgefühl“) entspricht und welcher Teil im Laufe unserer Frühsozialisierung „einprogrammiert“ wurde. Insbesondere in Stresssituationen greifen wir einfach auf dieses „Wissen“ zurück, ohne noch gross darüber nachzudenken.

Das Ziel lautet Gewaltfreie Erziehung

In Sachen gewaltfreie Erziehung müssen wir deshalb dringend weg vom „Bauchgefühl“ und unserem unwillkürlichen, emotionalen Handlungen, hin zum Bewusstmachen der automatischen Abläufe in unserem Handeln, zur Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und bewussten Veränderung unseres Handelns.

Ein schwerer Weg aber mit entsprechender Hilfe (Kurse, Ratgeberliteratur, ggf. auch therapeutischer Unterstützung) können wir den herkömmlichen Erziehungsweg verlassen und zur gewaltfreien Erziehung wie sie uns vorschwebt, finden. Wissenschaftlich fundierte Ratgeber, wie Largos „Babyjahre“ (Affiliate-Link) können dabei helfen, Glauben in Wissen zu verwandeln. (*)

Liebevolle Achtsamkeit benötigen aber nicht nur unsere eigenen Kinder, sondern auch wir selber und insbesondere das Kind in uns, das Kind, das wir selber mal waren und das sich heute noch in gewissen Situationen hilflos, gedemütigt oder abgestraft fühlt und dringend Trost, Verständnis und Zuwendung braucht. Wer, ausser wir selber, kann uns das als Erwachsene noch geben?

So führt dann mit einem Mal die gewaltfreie Erziehung, wie wir sie bei unseren Kindern anzuwenden versuchen, zur Heilung unserer selbst.

Auf dass die Wut in Zukunft wegleibe.

(*) Dass es auf dem Buchmarkt auch viele unwissenschaftliche und esoterische Schriften gibt, ist unbestritten aber hier nicht das Thema.

Weitere Artikel zum Schwerpunktthema Wut