In den letzten knapp 10 Monaten konnten wir es irgendwie verhindern, dass unser Sohn mit buntem Dingel-Dängel-Bling-Blong-Spielzeug beschenkt wurde. Hoch im Kurs standen bisher Plüschis und Lego, Rasseln und Holzspielzeug. Wenn dies alles – plus alles, was so ein Baby an Bespielbarem in einem durchschnittlichen Haushalt findet und untersuchen muss – nicht ausreicht, um Langeweile abzuwenden, wird schnell, schnell umdisponiert und statt Reis füllen nun Kichererbsen die Blechdose, so dass sie wieder neu und interessant anders tönt. Bis anhin war das völlig ausreichend.

Es scheint, als hätten der Lange und ich irgend eine Entwicklung verpasst: Wir sind nämlich der Meinung, dass aktives Spiel dem passiven Konsum von Gütern (ebenfalls  „Spielzeug“ genannt, auch wenn man eigentlich nicht viel damit anfangen kann, jedenfalls nicht, bevor die kleinen Fingerchen keinen Schraubenzieher zwecks Demontage zu bedienen wissen) vorzuziehen ist. Deshalb erschienen mir einige Abschnitte in dem von mir ansonsten sehr geschätzten Buch Oje, ich wachse! (Werbelink) auch etwas verwirrend: Um eine ausgeglichene motorische, psychische und intellektuelle Entwicklung eines Babys zu gewährleisten benötigt es, so schreibt der Experte, einen Hellraumprojektor (um farbige Tiere an die Wand zu projizieren und diese herumwandern zu lassen), ein „Aktivitätscenter“, ein Mobilé (aber nicht so ein billiges Holzteil, sondern ein richtiges, mit blinkenden Lämpchen und „Musik“) sowie eine „Activitydecke“ mit mindestens einem Spiegel, einer Hupe und Etwas, das bei Berühung hupdüdelt. In den erwähnten Buch kann die eifrige Mutterundhausfrau dann auch in einer vorgedruckten Seite ausfüllen, wie ihr Baby in welchem Lebensmonat lernt, die diversen Tüüts und Piiiips zu provozieren und wie es darauf reagiert.

Nach dieser Lektüre wollte ich meinem Sohn diese Entwicklungshilfen natürlich nicht mehr vorenthalten und begab mich schnurstracks in unseren Kinder-Second-Hand-Laden. Der hatte natürlich nichts Derartiges im Angebot, wie immer, wenn man etwas dringend braucht. Also ab in die nächste Stadt, wo es  einen Laden mit Babyaccessoires hat. Ich also zu der gelangweilten Dame hinter dem Infodesk (heisst das so?) und sage:

„Ich bräuchte so ein Fliwatüüt-Dingens“

Das Fräulein – ich musste kurz darüber nachdenken, ob die obligatorische Schulzeit kürzlich abgeschafft worden war, kam dann aber zum Schluss, dass nicht sie so jung, sondern ich so alt war – schaute mich aus grossen Augen an, kaute zweimal auf ihrem Kaugummi und antwortete langsam:

„Ein WAAAS?“
Fliwatüüt?

wiederholte ich, diesmal mit fragendem Unterton. Sie hatte wirklich keine Ahnung, wovon ich sprach. Der Anfang unserer Beziehung war irgendwie nicht so erfolgversprechend, wie ich mir das gewünscht hätte.

So versuchte ich es nun anders rum und erklärte ihr:

„Ich suche eine Activitydecke für mein Baby“.

Da leuchteten ihre Augen auf. Sie führte mich zu einem Gestell, an dem zahlreiche gelb-rot-blau-bunte Stoffvierecke aufgehängt waren und fing an, mir mit ihrem auswendig gelernten Verkaufsgesalbe die Ohrenblutig zu texten. Irgendwann musste sie Luft holen und diese Gelegenheit nutzte ich, um mit meiner tendenziell unhöflichen Frage dazwischen zu gehen:

„Wieviel kostet denn sowas?“

Dieser Blick!

Wenn es um die Förderung der frühkindlichen Entwicklung geht, gehört es sich offensichtlich nicht, an den Rest des Monats nach dem Ende des Geldes zu denken.

Nach erfolgter Preisauskunft bedankte ich mich artig bei der Verkäuferin für ihre Hilfe und verliess fluchtartig das Geschäft.

Zuhause angekommen tat ich, was ich in solchen Situationen immer tue: Ich googelte. Und fand dabei zahlreiche Bastelideen für Mobilés und Spielbögen, eine kreativer und schöner, als die andere. Da sich meine Kreativität nicht auf visuelle Gestaltung ausdehnt, überliess ich die Umsetzung meinem Göttergatten, der für den Kleinen einen fantastischen Spielbogen über’s gesamte Laufgitter hinüber montierte. An den hängten wir in den folgenden Wochen und Monaten zahlreiche kleine Spielsachen, und wechselten diese wöchentlich aus, damit keine Langeweile aufkam.

Das ist Monate her und weder Spielbogen noch Laufgitter erfreuen sich bei Junior mehr grosser Beliebtheit. Aber Spielsachen hat er immer noch genug, denn seine ganze Welt ist voll davon!

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Leider hat sich vor einer Woche die Situation drastisch verändert. Kurzens Patenonkel kam zu Besuch und brachte ihm aus England eine kunterbunte, um präzise zu sein: eine orange-violett-leuchtgrün-gelbe Spielgarage aus Kunststoff, bestückt mit zwei eben so kunterbunten, rasselnden Spielzeugautos, die, wenn sie über eine bestimmte Stelle der vorgesehenen Bahn fahren, einen heimtückischen Schalter auslösen, der seinerseits wiederum die abartigsten Geräusche produziert.

„Kinder mögen so was!“

Der Schenkende sprachs mit Überzeugung!

Kurzer sah das Teil, das vor ihm aufgebaut wurde, misstrauisch an. Kaum ging das Gedüdel los, heulte er, wie er noch nie geheult hatte, noch nicht mal neulich, als ihn das grosse Pferd direkt ins Gesicht schnaubte. Die pure Panik! Schnell räumte Langer das Höllending weg und ich putzte Tränen und Nase und tröstete das weinende Baby. Der Patenonkel hingegen war leicht konsterniert.

Baby mit Spielzeug
Komische Geräusche können den echten Forscher nur kurze Zeit faszinieren.

Einige Tage sind seither vergangen und das Höllending steht in der Mitte des Wohnraumes. Junior muss jeweils einen grossen Umweg krabbeln, wenn er vom Wohnzimmer in sein Kinderzimmer möchte. Und tatsächlich: Irgendwann schaute er sich das Ding an. Vorsichtig krabbelte er heran, darum herum, fasste es an, nahm es in den Mund und erforschte es eingehend. Bis…, ja genau: Bis zu dem Moment, als er aus Versehen den Schalter drückte!

Und dann ging die Sirene los!

Nach weiteren vorsichtigen Untersuchungen des besagten Gegenstandes und mehrfachen Abhörens der fünf oder sechs nervtötenden Geräusche des Dings, befand übrigens mein cleverer Sohn, dass er nun lieber wieder etwas Nützliches tun möchte und ging die Tupperware-Schublade aufräumen.

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