Triggerwarnung: In diesem Text geht es um eine Fehlgeburt (Missed Abortion) in der Frühschwangerschaft
„Lass uns ein Baby machen.“
Ich lachte. Ich würde eine furchtbare Mutter abgeben.
„Ich meine es ernst: Lass uns ein Baby machen!“
Mein Mann meinte es tatsächlich ernst.
„Du spinnst doch! Ich kann das nicht.“
Ich nicht weniger.
Es war ein Abend im August. Wir waren nach dem Gewitter in den Wald gefahren, sassen jetzt auf einem grossen Stein und schauten auf das Tal hinunter. Wir waren beide Ende Dreissig, seit fast zwanzig Jahren ein Paar, beruflich etabliert und seit der letzten Reise ein paar Jahre zuvor kämpften wir gegen den sich immer wieder einschleichenden Alltagstrott. Eine schwere Paarkrise hatten wir gerade erst überwunden und genossen unsere neue Verliebtheit.
Der September war hektisch. Zuerst wurde uns die Wohnung gekündigt und Ende September kündigte mir mein Arbeitgeber. Nach dem strengen Sommer und dem Stress wegen der Wohnung war der Abend im Wald und die Babydiskussion in den Hintergrund gerückt. Ich genoss den aussergewöhnlich warmen und sonnigen Frühherbst, spazierte viel, las und schlief mir die Erschöpfung aus den Knochen.
Auch eine Woche später verspürte ich nicht die geringste Lust, mir eine neue Arbeit zu suchen oder mich wenigstens auf der RAV* anzumelden.
Beim Blick auf den Kalender glitt mein Auge über die Kreuzchen, die ich Anfang August eingetragen hatte. Meine Periode war überfällig! Der Pinkeltest aus der Apotheke bestätigte meinen Verdacht. Ich rief meine Frauenärztin an und konnte noch in der selben Woche hingehen, um die Schwangerschaft zu bestätigen. Blutabnahme und weitere Tests folgten, dann bekam ich ein ärztliches Attest. Am nächsten Tag ein Brief an den Arbeitgeber. Er musste mich wieder einstellen, auf anderer Funktion diesmal, direkt dem Direktor unterstellt. So machte mir die Arbeit richtig Spass und ich fing an, mich auf das Baby zu freuen. Die Welt war in Ordnung.
Mitte November, am Geburtstag meines Mannes, hatten wir den Termin für den ersten grossen Ultraschall und den Ersttrimestertest.
Blutabnahme, Blutdruck Messen, in einen Becher pinkeln: Die normale Routine bei einer Schwangerschaftsuntersuchung. Ein kurzes Vorgespräch mit der Ärztin über die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik. Dann der Ultraschall. Kalter Glibber auf meinen Bauch, dann fuhr die Ärztin mit ihrem Gerät hin und her. Ernstes Gesicht, „hmm“ hier und „hmm“ dort, danach nahm sie das Teil für den Vaginalultraschall zur Hand.
„Was ist los?“ fragt ich
„Hmmm…“, sagte die Ärztin, „da lebt nichts mehr“.
Mein Kopf ging auf Stand-by. Die Ärztin informierte mich darüber, dass in so später Schwangerschaftswoche eine natürliche Fehlgeburt ausgeschlossen und viel zu riskant sei. Es gab keine Alternative zur Ausschabung. Mir war es einerlei. Ich wollte heim, mich ins Bett verkriechen und nicht mehr herauskommen bis alles vorbei war. Die Ärztin redete und redete.
„So kann ich nicht arbeiten gehen“, unterbrach ich sie irgendwann.
Sie schrieb mir ein Attest und verabschiedete mich mit dem Hinweis, direkt ins Krankenhaus zu fahren, sollten Blutungen auftreten.
Wir fuhren heim. Im Treppenhaus begegnete uns Nadja, unsere Nachbarin.
„Was ist denn mit Euch los?“
„Das Baby ist tot!“
Sie umarmte erst mich, dann meinen Mann.
„Er hat Geburtstag und ich habe nicht mal einen Kuchen.“
Das war mir plötzlich unheimlich wichtig. Daran konnte ich mich festhalten.
Der Rest des Tages zog an mir vorbei. Ich schlief, mein Mann telefonierte mit allen möglichen Leuten. Gegen Abend fing ich an zu bluten.
„Ich halte das nicht aus“, sagte ich. „Ich dusche jetzt und dann fährst Du mich bitte ins Krankenhaus“.
„Zuerst essen wir etwas. Du wirst Kraft brauchen“.
Ich stand unter die Brause, packte Zahnbürste und Nachthemd und ass liebevoll angerichtete Spaghetti mit Tomatensauce – die Henkersmahlzeit für mein Kindchen, ging mir durch den Kopf. Danach fuhren wir ins Krankenhaus. Trotz Wollpullover und Daunenjacke zitterte ich.
Anmeldung, weitere Untersuchungen, eine Assistenzärztin holte die Oberärztin hinzu, sie erklärten uns den Begriff „missed abortion“ und was jetzt zu tun sei. Ich hatte etwas Totes im Bauch und das wollte ich nicht dort haben!
Eine Pflegerin führte mich aufs Zimmer, das ich zum Glück für mich alleine hatte. Ich nahm alles wie durch Watte wahr, die Pflegerin fragte nach Belanglosigkeiten.
Mein Mann überliess mich ihrer Obhut. Es war nach zehn und er wollte auch duschen und danach schlafen gehen.
Um halb zwölf klopfte es ganz fein an die Tür. Ich schreckte aus einem verweinten Halbschlaf hoch. Herein schlich mein Mann mit einem Kuchen und einer Kerze. Nadja habe ihm einen Geburtstagskuchen gebacken. Wir setzten uns auf den kleinen Balkon des Krankenzimmers, zündeten die Kerze an und assen Schokoladenkuchen mit dem Löffel aus der Form. Ich rauchte dazu eine Zigarette um die Andere.
Danach legte ich mich wieder hin und mein Mann kuschelte sich an mich, bis ich eingeschlafen war, dann erst schlich er davon.
Morgens um sechs, als mich die Pflegerin mit lautem Scheppern des Frühstückwagens weckte, sass er schon wieder im Stuhl neben dem Bett und schlief selig.
Später kamen Ärzte und weitere Pflegerinnen, steckten mir Pillen oben und unten rein, dann wurde ich weggefahren. Ich war immer noch in meiner Wattewolke. Der Operationssaal war altmodisch und unerträglich hell. Ich wollte überall sein, nur nicht dort! Narkose und Aufwachraum.
Das Baby war weg. Mein Bauch war leer. Ich war leer. Tränen liefen mir aus den Augen, bis das Kissen nass war. Zum Glück musste ich nicht allzu lange warten, das Stöhnen der anderen Patienten im Aufwachraum machte mich fertig. Ein Pfleger fuhr mein Bett zurück auf die Etage. Ich wollte heim. Beim Aufstehen knickten mir fast die Beine weg, nach weiteren Untersuchungen wurde ich schliesslich mit vielen Ermahnungen und einem ärztlichen Attest entlassen.
Im Treppenhaus stiessen wir erneut auf Nadja. Sie kam mit uns hoch. Fragte, wie ich mich fühlte.
„Ich weiss nicht, komisch, anders“.
„Du bist jetzt Mutter. Eine ohne Kind, aber trotzdem eine Mutter. Das verändert einem.“
Dann weinte ich.
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*Regionale Arbeitsvermittlung: Entspricht der deutschen Agentur für Arbeit
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Ich danke Euch allen für die lieben, mitfühlenden Kommentare. Die Erlebnisse aus diesem Bericht sind vom Herbst 2008. Im Oktober 2009 durften wir einen wunderbaren kleinen Jungen in die Arme schliessen.
Hilfe für Betroffene einer Fehlgeburt oder eines perinatalen Kindstodes
Für Betroffene und Fachpersonen in der Schweiz gibt es die Fachstelle Kindsverlust, die in solchen Fällen kompetent weiterhelfen kann.
Liebe Katharina,
ich habe das auch einmal erlebt, 2003, und es hat lange in mir nachgehallt. Die Ausschabung war fürchterlich, ich habe 12 Wochen geblutet danach, was ungewöhnlich ist und keiner erklären konnte, ich glaube heute, mein Körper hat getrauert, weil ich nicht geweint habe.
4 Mal war ich schwanger, ich habe 3 Kinder. Aber das Kind, das nicht kam, ist erstaunlich präsent dafür, dass es nur bis zur 8. SSW blieb.
Herzlichst, Christine
Knuddel
Du bist (damit) nicht allein!
Liebe Katharina,
ich habe das auch schon hinter mir habe 2007 eine kleine tochter zur welt bringen müssen ob wohl ich wusste das sie nicht leben wird und das im 9 monat. meine fraunärztin sagte nur zu mir es muss schnell entfernt werden aber die im kh haben zu lange gewartet wenn mein mann nicht bei mir gewessen wäre , wäre ich auch gestorben und die im kh haben nichts gemacht ich hatte sollche schmerzen das ich nicht einmal schmerzmittel bekommen habe. und nun habe ich 3 kinder die gesund sind 2 jungs und ein kleines mädchen.
liebe güÃe yvonne aykut
Hallo,
Ich hab das ganze leider zwei mal durchmachen müssen. Das erste mal 2009 war das schlimmste was ich je erlebt hab. Ich hatte Wochen lang so eine Wut im Bauch und hab Tag und Nacht nur geweint. Richtig schlimm wurde es an dem Tag als das Baby auf die Welt kommen sollte. 2010 versuchten wir es noch einmal und leider klappte es auch wieder nicht. Unsere Ãrzte meinten da wir so Jung sind wäre es sehr komisch und wir sollten uns doch Genetisch untersuchen lassen da es Paare gibt die einfach nicht zusammen passen. Es blieb aber noch eine zweite Möglichkeit da die erste uns sehr Angst machte. Ich hab mein Blut untersuchen lassen und es wurde festgestellt das ich ein Gerinnungsfehler hab und das deswegen kein Baby überlebt hat. Ich musste erst Medikamente nehmen und Januar 2011 war ich wieder schwanger und ich musste mich die ganze Schwangerschaft Spritzen dass mein Blut dünn bleibt. Die ersten 12 Wochen waren der Horror da ich auch liegen musste. Und dann der erlösenende Ultraschall. Alles in bester Ordnung. Im November bekam ich dann einen Kerngesunden jungen. Die ersten beiden sind immer wieder in meinen Gedanken und ich werde sie auch nie vergessen. Auch wenn sie nur 8 Wochen in mir gelebt haben. Es geht dann doch immer irgendwie weiter, man darf nur nicht aufgeben.
Lg
Das tut mir so leid für euch..:'( letztes jahr habe ich zwillinge in der 13 ssw verloren. ..es war so schlimm das ich monate nicht schlafen konnte…in der 6 ssw rausgefunden…man hat noch nicht viel gesehen auÃer 2 kleine hüllen â¡ die Ãrztin meinte es sei alles ok…2 wochen später wieder us..das eine hatte einen Herzschlag. .das andere nicht 🙁 ich musste mir dann selbst 3x täglich eine spritze vaginal einführen mit so nem zeugs…ich hatte ständig leichte Blutungen. .leider ist nichts besser geworden..meine Ãrztin meinte ich kann entscheiden ob die 2 raus sollen oder ich noch abwarte..natürlich wartete ich ab…in der 13 ssw war ich abends auf der couch mit sehr starken schmerzen..wie presswehen ( noch in Erinnerung vom 1. Kind) ich hab mich soo schlecht gefühlt. ..nachts um 3:00 weckte ich meinen freund..das ich es nicht mehr aushalte und er soll mich sofort ins kh fahren. ..die fahr die eig 7min dauert kam mir vor wie 30 min..ständige wehen , alle 2 min…ich wusste sofort das es nicht gut ausgeht…angekommen am kh stieg ich aus dem auto aus, es fühlte sich an als würde ein kleiner ballong in meinem unterleib platzen. .ALLES VOLLER BLUT..ich bekam Panik. .überall Ãrzte die mich mit dem rollstuhl in den KreiÃsaal fuhren. ..och sollte moch dann untenrum frei machen. .ich zog hose und Unterhose aus..da fiel ein groser, faustgroÃer blutklumpen raus..ich bin fast ohnmächtig geworden. .da lagen meine babys auf dem Boden :'( musste dann auch ausgeschabt werden…es war der Horror. .das wünsche ich niemanden 🙁 es gibt nichts schlimmeres als etwas zu verlieren was man angefangen hat über alles zu lieben.. :((( ich fühle mit dir und schicke dir viel kraft..
glg elisa wunder â¡â¡â¡
Ich kann allen gut nachfühlen, habe ich dies doch auch 1997 in der 10 ssw , jedoch ohne Ausschabung, ( ein Zwilling überlebte zum Glück ) und 2006 in der 15 ssw ( mit Ausschabung ) erlebt. 1 Monat nach der Ausschabung wurde ich von meinem dazumaligen Ehemann vergewaltigt und gerade dieses Mädchen wurde zum Segen für die ganze Familie !
Allen Mammas, die ein Kind gehen lassen müssen viel viel Kraft und Segen.
Jerry, Mama v. 5 Mädels
Hallo,
kann euch gut verstehen. War das erste Mal 2004 schwanger – zuerst der Schock über die ungewollte Schwangerschaft, dann die nächse Hiobsbotschaft, dass sich der Fötus im Eierstock eingenistet hat – musste dann ins Krankenhaus zur Abschabung – fühlte mich grauenhaft, musste 2 Tage bis zur OP warten – das waren echt 2 schlimme furchtbare Tage. Brauchte Jahre um dieses Erlebnis zu verarbeiten, denke heute noch oft an das ungeborene Kind. 2010 war ich zum 2. Mal schwanger – sah zunächst alles gut aus – hatte wöchentliche Kontrolle beim Frauenarzt aufgrund meiner Vorgeschicht – dann in der 11. Schwangerschaftswoche die grausame Nachricht – das Herz des Babies schlägt nicht mehr – für mich brach wieder einmal eine kleine Welt zusammen. Musste wieder ins KH zur Ausschabung. Hab die ganze Nacht vor der OP nur geweint – oft kommt mir vor – in dieser Zeit hat mich keiner verstanden. Die meisten haben dann zu mir gesagt „sei doch froh, dass es so füh passiert ist“ – fand das so grausam. Diese Fehlgeburt habe ich mit Sicherheit immer noch nicht ganz verarbeitet. 2011 wurde ich zum 3. Mal schwanger – am 14. März 2012 kam meine kleine Tochter Jana Maria zur Welt – sie ist der ganze Sonnenschein im meinem Leben.
PS: Muss aber noch anmerken, ohne meinen Mann an meiner Seite, hätte ich das sicher nicht alles so durchstehen können.
GLG
Ein wunderbarer Text, der mich sehr bewegt hat.