Einmal mehr geht ein Artikel durch meine Timeline, der beschreibt, wie der Nahrungsmittelkonzern Nestlé den Menschen in Afrika das Trinkwasser abpumpt. Dass solche Meldungen meist ein unzusammenhängendes Sammelsurium von unbelegten Behauptungen sind – geschenkt!
Man empört sich, klopft sich auf die Schultern und bestätigt sich gegenseitig, wie böse Nestlé ist. Gewinnorientierte Grosskonzerne sind böse, das weiss man doch – und teilt munter Clickbaite-Artikel von eben so gewinnorientierten Grosskonzernen mit Nachrichten, die unter Umständen durch die Marketingabteilungen von eben so gewinnorientierten Grosskonzernen in die Welt gesetzt wurden. Ach, ich vergass: Mondelez, Pepsico, Coca Cola, Unilever, Mars, Danone, Associated British Food und Kellogg’s würden so etwas natürlich nie tun. Das sind die Guten. Nur Nestlé ist böse.
Im Food & Beverage Markt herrscht Krieg und alle Mittel sind erlaubt. Auch die gezielte Manipulation der Konsumenten, um der Konkurrenz die Kunden abzujagen.
Anyway, darüber wollte ich gar nicht schreiben, sondern über das Trinkwasser in Afrika und die grosse Empörung, die sich diesbezüglich alle paar Tage in Europa breit macht (an den anderen Tagen jagen wir dann wieder andere Säue durchs Internetdorf und jene, die heute zum Nestlé-Boykott aufrufen, kaufen morgen wieder ihren hellblauen Thomy-Senf denn eine Bratwurst ohne ihn, echt, das wäre nicht zumutbar. Auch nicht, um eventuell ein paar afrikanische Kinder vor dem Dürretod zu retten (hier stand noch ein zynischer Satz über afrikanische Kinder, die, kaum erwachsen, schon in die Boote nach Europa steigen um hier mit des Schweizers Steuergeldern sich einen faulen Lenz zu machen, aber ich habe ihn wieder gelöscht).
Ich schweife schon wieder ab.
Auf einen Grosskonzern zu schimpfen ist gäbig. Denn dann haben wir einen Schuldigen gefunden und müssen uns nicht unserer eigenen Verantwortlichkeit in dieser Geschichte stellen oder gar unser eigenes Verhalten hinterfragen. Oder noch schlimmer: Verändern!
Nestlé pumpt in Äthiopien und Südafrika Wasser in Flaschen und verkauft sie in verschiedenen Afrikanischen Ländern. Gleichzeitig herrscht in Afrika die furchtbarste Dürre aller Zeiten. Also an anderen Orten Afrikas, da liegen schon mal ein paar Tausend Kilometer dazwischen, die in den besagten Hetzartikel gerne mal verschwiegen werden. Item. Nestlé und ihre Konkurrenten verkaufen ihr Wasser auch an Menschen in Dürregebieten. Das ist in der tat unmoralisch, unethisch und zutiefst verwerflich. Ja.
Man schlägt keinen Profit aus dem Elend der Menschen. So was tut man einfach nicht.
Oder?
Oder tun wir es etwa täglich? Indem wir T-Shirts für 5 Franken kaufen, Turnschuhe, die Vierjährige für uns genäht haben und Kaffee, der von Sklaven abgelesen wurde und wir kaufen den, weil er ein paar Franken günstiger ist pro Kilo als der andere, der fair produzierte, aber der ist ja auch gar nicht so fair wie die Etikette sagt… und so lügen wir uns lieber weiter selber in die Tasche und rechtfertigen und müssen gar nichts ändern. Die paar Franken pro Kilo günstiger sind ja dann auch nicht mehr wichtig, wenn wir Kaffee in Kapseln kaufen, um uns beim Kaffeemaschinenputzen nicht mehr die Hände schmutzig machen zu müssen. Egal, wenn für deren Produktion ganze Landstriche verwüstet und ganze Völker vertrieben werden… es sind ja nur Indianer, ausserdem schmeckt dieser Kaffee so viel besser als der andere, billigere.
Sorry, schon wieder abgeschweift. Wo war ich? Ach ja, beim Trinkwasser.
Geht es eigentlich den Menschen in Äthiopien besser oder schlechter, seit Nestlé dort ihre Fabrik betreibt? Hatten sie denn vorher Zugang zu sauberem Trinkwasser und jetzt haben sie keinen mehr? Oder ist es umgekehrt? Und die Leute, die diese Flaschen kaufen – hatten sie vorher Gratiswasser und jetzt nicht mehr? Welche Alternativen haben sie zum Wasser aus der Flasche? Was ist eine Arbeitsstelle wert? Medizinische Versorgung und Schulen für die Kinder der Angestellten?
Ich weiss es nicht! Weisst Du es?
Kannst Du – darfst Du? – darüber urteilen, was für die Menschen in Äthiopien das Beste ist?
Trinkwasser sollte Allgemeingut sein, sagst Du. Tönt gut. Also lasst uns vor der eigenen Türe wischen und eine Initiative lancieren, die die Verstaatlichung aller Mineralwasserquellen der Schweiz fordert. Kein Valserwasser mehr, kein Henniez, Passugger, Aproz, Elmer und Adelbodner und wie sie alle heissen. Wasser ist Allgemeingut.
Geht nicht? Kannst du nicht bringen! Würde der Wirtschaft schaden! Arbeitsplätze gefährden! Kaufkraft schwächen! Ja, in der Tat. Hier genau so, wie in Südafrika, Algerien und Äthiopien.
Also doch lieber vor der eigenen Türe wischen.
Als erstes könnten wir uns mal überlegen, weshalb wir so empört sind, wenn ausgerechnet Nestlé sich unmoralisch verhält und ihren Gewinn maximiert. Wieso stört es uns weniger, wenn Mondelez, Pepsico, Coca Cola, Unilever, Mars, Danone, Associated British Food und Kellogg’s dasselbe tun? Weil wir Schweizer sind. Und Nestlé ist eine Schweizer Firma, die ihren Konzerngewinn in der Schweiz versteuert. Also profitieren wir indirekt auch vom unmoralischen Verhalten des Konzerns, und das wiederum verträgt sich natürlich ganz, ganz schlecht mit dem sauberen Selbstbild und der weissen Weste, die wir uns so gerne umhängen (jedenfalls solange bis das neueste geilste Smartphone auf den Markt kommt und wir deswegen schnell unsere Prioritäten und Ausreden neu tischelen, damit wir dann vor uns selber wieder gut dastehen…)
Nein, wir sind keine guten Menschen. Wir alle, die das lesen, tun zwar unser Bestes. Aber es reicht nicht! Mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist dabei aber nicht zielführend, im Gegenteil. Also was können wir konkret tun in der Wassersache?
Als Konsumentinnen und Konsumenten können wir auf der Etikette nachlesen, woher das Wasser kommt, das wir gerade kaufen wollen. Ist es aus Afrika, können wir es wieder zurück ins Gestell stellen. Dazu muss man wissen: Unternehmen wie Nestlé haben nur eine einzige Motivation: Sie wollen Profit machen. Kauft niemand ihr Produkt, bringt es keinen Profit und wird vom Markt genommen. Also lasst solche Produkte wie dieses „Pure Life“ im Gestell und trinkt Hahnenwasser.
Als politisch handelnde Individuen können wir zudem Petitionen lancieren und unterschreiben, die von unserer Regierung verlangen, ihren Einfluss auf die äthiopische und südafrikanischen Entscheidungsträger geltend zu machen, damit diese keine Betriebslizenzen für Mineralwasserabfüllanlagen mehr ausstellt. Gleichzeitig können wir Geld sammeln und jene Organisationen unterstützen, die die Trinkwasserversorgung für die Menschen in besagten Ländern bauen und unterhalten, damit diese Länder beim Aufbau ihrer Infrastrukturen nicht mehr auf ausländische Investoren angewiesen sind.
(Klammerbemerkung: Es würde zu weit führen, jetzt auch noch darüber nachzudenken ob wir Schweizer uns darüber freuen würden, wenn die Einwohner von sagen wir Äthiopien uns vorzuschreiben versuchen, ob und wie wir unsere Infrastrukturen nutzen sollen und an wen wir Lizenzen für ihre Nutzung vergeben dürfen)
Immer noch als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger können wir gleichzeitig eine Initiative lancieren zur Verstaatlichung der gesamten Wasserversorgung und aller Trinkwasserquellen in der Schweiz. Denn das wäre nur konsequent.
Sehr interessante und nachvollziehbare Gedanken, habe ich sehr gerne gelesen. Danke dafür!