Willkommen im Trotzalter! Es gibt Tage, da schaffe ich es kaum, die nötige Gelassenheit für den von uns gewählten Erziehungsstil aufzubringen.

Das sind die Tage, wo der erste Trotzanfall unseres nunmehr Zweieinvierteljährigen bereits vor dem ersten Kaffee stattfindet und nur die Aufwärmrunde für den Rest des Tages war. Meistens geht es dabei ja um Dinge, die die Welt eines Zweijährigen stark bewegen: Das Nicht-Vorhandensein der zu genau diesem Zeitpunkt präferierten Joghurtsorte beispielsweise. An solchen Tagen würde man manchmal am liebsten die ganzen pädagogischen Konzepte in die Tonne treten und das Kind anbrüllen: „Ruhe jetzt oder ich geb‘ dir einen Grund zum Heulen“.

Aber wir wollten es ja anders machen!

Trotzen sei eine biologische Notwendigkeit, die bei allen Primaten mehr oder weniger ausgeprägt vorkomme. Am stärksten bei den Schimpansen und den Menschen, schreibt der Biologe und Kinderarzt Herbert Renz-Polster in „Kinder verstehen“ (Werbelink). Diese Information ist durchaus interessant – aber keine grosse Hilfe wenn man neben einem Zweijährigen steht, der von einem Wutanfall hin- und hergeschüttelt wird und sich selbst nicht mehr spürt. Mir tut mein Kurzer jeweils leid, wenn wieder so ein Sturm durch ihn hindurchfegt. Denn Spass macht es ihm keinen, im Gegenteil.

Die Trotzphase, Autonomiephase oder das Trotzalter fällt mit der „natürlichen Abstillzeit“ des Menschen zusammen, also mit der Phase, wo sich Menschenkinder von selbst abstillen würden, wenn nicht kulturelle Zwänge in den meisten Fällen schon früher dazu geführt hätten. Zudem fällt sie in die Zeit, wo meistens ein Konkurrent um den Mutterbusen auftaucht: Das kleine Geschwister. Aber auch in den Fällen wo weder noch zutrifft – so wie bei uns – können Kleinkinder stark trotzen: Sie spulen ihr genetisches Programm ab um die davon schwimmenden Felle aufzuhalten bzw. um sich die mütterlichen Ressourcen zu sichern. Soweit die Erklärung des Biologen.

Andere Autoren (z.B. Naomi Aldort in „Von der Erziehung zur Einfühlung“ – Werbelink) erklären das Trotzen damit, dass die Kinder erst lernen müssen, ihre Gefühle zu erkennen und richtig einzuordnen und einen Sinn für die Relationen und welche Gefühlsäusserung in welcher Situation angebracht ist zu entwickeln.

Und noch andere – wohl die allermeisten – argumentieren mit der Frustration darüber, dass die Kinder nun Grenzen erfahren müssen.

Vielleicht ist es auch alles gleichzeitig. Als Mutter eines trotzenden Kleinkindes stehe ich dem Phänomen auch mit all dem angelesenen Wissen relativ hilflos gegenüber. Wenn „es“ den Kurzen packt, dann hat er keine Kontrolle mehr – an bewusste Manipulationsversuche und Improvisationstheater, um trotz einem elterlichen „Nein“ doch noch an ein gewünschtes Objekt zu kommen, glaube ich deshalb nicht.

Manchmal kommt es mir vor, als hätte er völlig den Kontakt zur Realität – und darin vor allem zu mir oder seinem Papa, wer von uns beiden halt gerade dabei ist – verloren. Voller Mitleid kann ich in der Situation nur bei ihm bleiben und ihn streicheln während er tobt und ihm durch den Körperkontakt einen Weg zurück in die Wirklichkeit aufzuzeigen.

Manchmal dauert so ein Trotzanfall eine halbe Stunde oder länger, bis Kurzer den Weg findet, meine  Anwesenheit wieder wahrnimmt, die vertraute Welt wieder erkennt und dann das Toben in normales Weinen übergehen kann, das sich nach ein paar Minuten schliesslich legt. Danach ist er gerne ein Bisschen alleine mit seinem Schlafhasen und schliesslich kommt er aus seinem Zimmer heraus und die Welt ist wieder in Ordnung.

Im Moment erleben wir mehrere solcher Anfälle im Tag. Nicht nur für den Kleinen ist das sehr ermüdend, sondern auch für uns Eltern. Man möchte manchmal am liebsten zurückschreien, dreinhauen, ihn in die kalte Winternacht rausschicken um abzukühlen. Man tut es natürlich nicht – aber wer noch nie daran gedacht hat, werfe den ersten Stein. Ich spendiere den Bart dazu 😉

Meistens schaffe ich es doch, in solchen Situationen meine Gelassenheit zu bewahren. Aber ich hoffe trotzdem, dass das Trotzalter bald vorbei geht.

Dies dank zwei Aussagen meiner momentanen Lieblingsautoren, die ich mir immer wieder bewusst zu machen versuche, während ich meinen Sohn durch seine Wutanfälle hindurch begleite:

„Das „nein“ des Kindes zu uns ist ein „Ja“ zu sich selbst“
(Jesper Juul)

„Schwierig wird es immer dann, wenn wir glauben, dass Weinen nicht sein darf und Tränen unterbunden oder verhindert werden müssen. [Unsere Kinder] können mit den Erfahrungen, die das Leben mit sich bringt, umgehen; wir Erwachsene jedoch haben oft Mühe, mit unseren Gefühlen über ihre Gefühle zurechtzukommen. (Naomi Aldort)

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