Was Überwachungs-Apps für Kinder mit uns machen plzmWas Überwachungs-Apps für Kinder mit uns machen 2e32ab71012941efbbcfa3816e02e829

Ach Du meine Güte, dachte ich, als mir der Algorithmus neulich wieder auf Werbung für eine dieser Überwachungs-Apps präsentierte. Egal wie die Überwachungs-Apps für Kinder heissen (Kinder Finder, Family Tracker, Net Nanny, etc.), diese Programme geben Eltern die Möglichkeit, die Handys ihrer Kinder jederzeit zu lokalisieren. Der Gedanke ist verlockend: Man hätte immer ein beruhigendes Auge darauf, wo sich das Kind gerade befindet. Aber ist diese Art der digitalen Überwachung wirklich das, was wir wollen, bzw. was unsere Kinder brauchen? Ich sehe das kritisch!

Wir selbst haben als Kinder unzählige Stunden alleine und unbeaufsichtigt draussen verbracht (ich könnte Euch Geschichten erzählen!). Wenn ich an die Freiheiten zurückdenke, die meine Geschwister und ich uns damals nahmen, und an die Tatsache, dass unsere Eltern niemals davon erfahren würden, wird mir ein wenig mulmig und weckt natürlich Ängste in Bezug auf meinen Sohn und was er ohne mein Wissen tun könnte.

Zwischen Fürsorge und Kontrolle muss es ein Gleichgewicht geben

Ich möchte gleich klarstellen: Ich stelle keine grundlegenden Sicherheitsmassnahmen in Frage!

Wann ein Kind alt genug ist, um allein zur Schule oder zum Spielplatz zu gehen, hängt von vielen Faktoren ab: unter anderem sein Alter, sein Entwicklungsstand, aber auch die Umgebung. Deshalb müssen solche Entscheidungen individuell getroffen werden, Kinder unter Begleitung Schritt für Schritt an gewisse Gefahren herangeführt werden.

Aber Überwachungs-Apps sind ein ganz anderes Thema! Sie geben uns die Illusion, unsere Kinder immer und überall im Blick zu haben – und suggerieren, dass dies notwendig und hilfreich sei. Doch was passiert, wenn diese „Sicherheit“ auf Kosten der kindlichen Entwicklung und der Eltern-Kind-Beziehung geht?

Vertrauen geht anders!

Eine der grössten Gefahren von Überwachungs-Apps sehe ich im Signal, das wir unseren Kindern damit senden.

  • Offene Überwachung: Wenn wir unseren Kindern mitteilen, dass wir ihren Standort verfolgen, kommunizieren wir ihnen unterschwellig: „Ich vertraue dir nicht.“ Kinder lernen durch Vertrauen und Freiheit, nicht durch ständige Kontrolle. Sie brauchen die Möglichkeit, eigenständig Entscheidungen zu treffen – auch wenn sie dabei Fehler machen.
  • Heimliche Überwachung: Noch gravierender ist die heimliche Überwachung. Hier würde nicht nur das Vertrauen des Kindes hintergangen, sondern auch das moralische Empfinden von uns Eltern strapaziert. Wer sein Kind heimlich überwacht, setzt sich in der Beziehungsebene selbst in eine Position der Unehrlichkeit, die langfristig schadet. Ein Kind, das später von solcher Kontrolle erfährt, wird sich betrogen fühlen – und zwar mit Recht!

Überwachung kann keine Kommunikation ersetzen! Wenn ein Kind spürt, dass seine Eltern ihm nicht vertrauen, wird es sich früher oder später zurückziehen und Geheimnisse für sich behalten. Die Grundlage jeder guten Beziehung – auch zwischen Eltern und Kindern – ist Vertrauen. Vertrauen ist keine Einbahnstrasse: Wer von seinem Gegenüber Vertrauen erwartet, muss es auch geben können!

Kontrolle ist nur eine Illusion

Ein weiteres Problem dieser Apps ist die falsche Sicherheit, die sie vermitteln. Eine App kann uns zwar Standort unseres Kindes zeigen – oder zumindest den seines Smartphones oder seiner Smartwatch. Aber was, wenn das Kind sein Handy verliert, es ausschaltet oder es schlicht keinen Empfang gibt?

Und was, wenn etwas geschieht, das durch Standortdaten auch nicht zu verhindern ist?

Die Abhängigkeit von Technologie kann uns Eltern ein trügerisches Gefühl von Kontrolle geben, das in Wirklichkeit gar nicht existiert, nicht existieren kann.

Deshalb finde ich es sinnvoller, wenn wir uns darauf konzentrieren, unseren Kindern die nötigen Fähigkeiten mitzugeben, um sie wirklich sicherer zu machen:

  • Wissen und Übung: Kinder brauchen klare Regeln und ausreichend Gelegenheiten, diese in sicherem Rahmen zu üben. Verkehrssicherheit beispielsweise lernt man nicht durch ständige Begleitung, sondern durch Vormachen, Erklären, und danach eigenständiges, schrittweises Üben.
  • Selbstständigkeit fördern: Indem wir Kindern Verantwortung übertragen, stärken wir ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Mit Hilfe dieses Selbstvertrauens können sie in schwierigen Situationen ruhig und besonnen handeln. Die Gewissheit, dass Mama jederzeit sehen kann, wo sie sind, hilft ihnen in einer brenzligen Situation nicht weiter.

Raum zu Wachsen und um sich zu entwickeln

Kinder entwickeln sich durch Freiräume. Sie lernen, mit Risiken umzugehen, wenn sie die Möglichkeit bekommen, diese eigenständig zu bewältigen. Unbeaufsichtigtes Spielen fördert nicht nur die Kreativität, sondern stärkt auch wichtige soziale und kognitive Fähigkeiten.

„Das unbeaufsichtigte, unstrukturierte Spiel gibt dem Kind Freiheit. Die Freiheit, seine Herausforderungen selber zu wählen. […] Bei keiner von Eltern oder Lehrpersonen vorgegebenen Aufgabe kann die Motivation höher und die Beharrlichkeit grösser sein, als bei einer selbst gewählten Herausforderung.“ (aus dem Artikel „Wie Kinder heute wachsen„)

Überwachungs-Apps hingegen nehmen Kindern diese Möglichkeit. Sie schaffen eine permanente Beobachtungssituation, die es dem Kind erschwert, etwas auszuprobieren, oder Fehler zu machen, ohne dass ein Elternteil danach Feedback gibt. Ein Kind, das weiss, dass es ständig „gesehen“ wird, wird sein Verhalten unbewusst anpassen – und sich weniger trauen, Neues auszuprobieren.

Müssen wir Eltern alles wissen?

Natürlich gibt es Situationen, in denen Überwachung Sinn macht – etwa bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen oder in akuten Gefahrenlagen. Doch im Alltag, bei durchschnittlichen Situationen, sollten wir uns fragen, ob unsere Ängste wirklich gerechtfertigt sind – oder ob wir uns durch die Technik einfach nur absichern und zu einem ruhigen Gewissen verhelfen wollen.

Dabei lohnt sich auch ein Blick auf uns selbst: Warum fühlen wir uns überhaupt so unsicher? Haben wir das Vertrauen in die Welt um uns herum verloren – oder in unsere eigenen Fähigkeiten, unseren Kindern das nötige Rüstzeug zum Überleben mitzugeben?

Ich muss zugeben, für mich sind das Themen, an denen ich seit dem Atemstillstand meines Sohnes mit Hilfe einer Therapeutin gearbeitet habe – arbeiten musste! Deswegen habe ich ein recht gutes Bewusstsein, wenn wieder eine Stolperfalle auftaucht und ich habe mir angewöhnt zu reflektieren, woher ein „Achtung, Gefahr“ in Bezug auf mein Sohn kommt und wie ich damit umgehen soll. Meine erste Frage in solchen Fällen ist immer, ob die Gefahr real ist. Wenn ja, ob mein Sohn bereits selbst damit fertig werden kann. Und wenn nein, was ich konkret tun kann, damit mein Sohn den Umgang mit der Gefahr lernen kann.

Lieber echten Kontakt statt Überwachungs-Apps

Elternsein ist keine leichte Aufgabe. Wir brauchen Mut, um loszulassen, um Vertrauen zu schenken und darauf zu vertrauen, dass unsere Kinder ihren eigenen Weg finden. Manche Apps können uns vielleicht dabei unterstützen, uns aber auch davon abhalten, die wirklich wichtigen Gespräche zu führen!

Anstatt ständig den Standort unseres Kindes zu prüfen, könnten wir auch nachfragen: „Was hast du heute erlebt?“, „Wo bist du heute gewesen?“ Solche Gespräche – wenn sie nicht in eine hochnotpeinliche Befragung ausarten! – zeigen unseren Kindern, dass wir uns für sie interessieren. Und sie geben uns echte Einblicke in die Gedanken- und Erlebniswelt unseres Nachwuchses – ohne Misstrauen oder technische Hilfsmittel.

Schlussgedanken: Vertrauen statt Überwachungs-Apps

Wir alle haben das Bedürfnis nach Sicherheit. Und natürlich wollen und müssen wir unsere Kinder beschützen. Aber wir müssen aufpassen, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse nicht auf Kosten der Freiheit und des Vertrauens unserer Kinder ausleben!

Überwachungs-Apps mögen verlockend sein, doch sie lösen keine der Herausforderungen, die das Elternsein mit sich bringt. Viel mehr schaffen sie neue Probleme, indem sie Beziehungen belasten, Freiheiten einschränken und falsche Illusionen nähren.

Wenn wir wirklich wollen, dass unsere Kinder sicher und selbstbewusst aufwachsen, sollten wir nicht auf GPS-Daten und Kontrollmechanismen setzen, sondern auf Vertrauen, Kommunikation und die Freiheit, eigenständig Erfahrungen zu sammeln.

Denn Sicherheit entsteht nicht durch Überwachung – sondern durch die Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen.

Was Überwachungs-Apps für Kinder mit uns machen
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Was GPS-Tracker für Kinder mit uns machen

P.S. Was in diesem Artikel vollständig fehlt, sind die Bedenken von Kinderschützern und Datenschützern bezüglich des Rechts auf Privatsphäre einerseits, und Datenschutzbedenken andererseits, die ebenfalls die Sicherheit der Kinder betreffen und die zum Beispiel im Artikel „Sind Tracking-Apps für Kinder sinnvoll?“ erklärt werden.


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