Ich bin stolz, Schweizerin zu sein – jedenfalls an den Abstimmungssonntagen.
Ich weiss, als linke Gutmenschin sollte ich das nicht zu laut sagen, aber vier Mal im Jahr empfinde ich genau so. Ein Bisschen Stolz, ein Bisschen Ehrfurcht und ganz viel Dankbarkeit.
Immer dann nämlich, wenn ich zur Abstimmung gehe und mit meiner Stimme daran teilhabe, die Gesetze, denen ich selber unterworfen bin, an die ich mich zu halten habe, mitzubestimmen.
„Das ist doch normal“, könnte man jetzt einwerfen, „jeder volljährige Schweizer kann doch abstimmen gehen“. So empfinde ich nicht. Direkte Demokratie ist weder normal, noch selbstverständlich. Überall auf der Welt geben in diesem Momenten ihr Leben dafür, um das zu bekommen, was wir Menschen mit Schweizer Staatsbürgerschaft an unserem 18. Geburtstag geschenkt bekommen: Das Recht auf politische Mitbestimmung.
Wir haben es!
Wir dürfen mitbestimmen! Direkt und unmittelbar!
Das muss man sich mal vorstellen. Es ist grossartig.
Direkte Demokratie ist ein Privileg
Mir rollen sich die Fussnägel hoch wenn ich sehe, wie dieses Recht von den einen lächerlich gemacht und von den anderen aus Faulheit oder Desinteresse nicht genutzt wird. Seit Jahren wird über die „Politikverdrossenheit der Jungen“ lamentiert – geschehen ist bisher nicht viel!
Für mich ist es einfach zu kurz gegriffen, über die Jungen zu schimpfen und es dabei zu belassen. Weshalb gehen die denn nicht abstimmen? Sind die Themen zu komplex? Ich glaube nicht. Fühlen sie sich ohnmächtig, machtlos? Dieses Gefühl würde durch das Nicht-Nutzen seiner staatsbürgerlichen Rechte nur verstärkt. Wer nicht abstimmt, hat erst recht nichts zu sagen!
Demokratische Rechte sind nie „nur“ Rechte, sondern immer auch Pflichten. Wir dürfen abstimmen und deshalb haben wir die verd…. Pflicht, dieses Recht auch wahrzunehmen und unsere Stimme abzugeben. Immerhin geht es dabei um unsere eigene Zukunft und die unserer Kinder.
A propos Kinder: Wo kommt eigentlich die Politikverdrossenheit her, die man heute den U30 andichtet?
Ich habe da eine These. Irgendwie habe ich gar nicht den Eindruck, dass die Jüngeren tatsächlich die Schnauze voll von Politik haben. Aber ich glaube, dass im Gegensatz zu uns und erst recht zu unseren Eltern, die „politische Politik“ heute nicht mehr so präsent ist im Alltag. Sie ist nicht mehr so fühlbar.
Ich kann mich erinnern, dass es bei uns zuhause jeweils um halb Eins hiess: „Ruhe, jetzt kommen die Nachrichten!“ und abends um Sieben kam „Echo der Zeit“, um halb Acht lief „Die Tagesschau“. Wir Kinder verstanden nicht alles und wenn die Sendung mal vorbei war, erklärten uns die Eltern das eine oder andere. Oder wir merkten, dass die Eltern besorgt waren und fragten nach. Ich kann mich beispielsweise daran erinnen, wie sie mal mit langen Gesichtern da sassen und auf Nachfrage sagte mein Vater: „Jetzt gibt es Krieg“. Das war der 6. Oktober 1981, ich war 10 Jahre alt und in Ägypten war ein Mann namens Sadat ermordet worden. Aber solche Vorkommnisse waren eher selten. Viel öfter kam es hingegen vor, dass mein Vater den Radio anbrüllte, sich über etwas aufregte, über etwas anderes freute, und immer wieder über die Leute schimpfte, die nicht an die Urnen gingen und damit leichtfertig auf ihre Rechte verzichteten.
„Wer nicht wählt soll sich dann auch nicht beschweren, wenn es nicht in seinem Sinne geht!“
„Wer nicht abstimmen geht, hat schon verloren!“
Solche und ähnliche Sprüche waren bei uns Gang und Gäbe.
Und am Abstimmungssonntag, nach wochenlagen Diskussionen am Mittagstisch, warf man sich in Schale und ging ins Schulhaus, abstimmen. Wir Kinder durften abwechslungsweise den Stimmzettel in die Urne werfen.
Nach der Jungbürgerfeier durfte meine Schwester, ein Jahr später dann endlich auch ich abstimmen gehen. Ich habe bisher eine einzige Abstimmung verpasst, das waren die vom 13. Juni 1999 und ich fühle mich heute noch ein kleines Bisschen mitschuldig, dass die Mutterschaftsversicherung damals abgelehnt wurde, weil ich gerade auf Reisen war und deshalb nicht stimmen gehen konnte.
Was hat das alles nun mit der so genannten Politikverdrossenheit der jungen Generation zu tun? Ich glaube, sehr viel. Und zwar deshalb, weil die Elterngeneration (also wir) nicht mehr auf dieselbe Weise lebt, wie unsere Eltern. Man zieht sich zwar schon noch politische Sendungen rein – aber eher die „Arena“ am Freitag abend oder den „Club“ am Dienstag, spät in der Nacht. Auf jeden Fall, wenn die Kinder im Bett sind, denn die könnten sich ja langweilen oder noch schlimmer, beunruhigen, wenn sie mit der realen Welt ausserhalb der rosa Zuckerwattenkinderzimmerwelt kollidieren. Natürlich machte Tschernobyl uns Angst, oder der Brand in Schweizerhalle mit dem Fischesterben im Rhein. Aber sie bewirkten auch, dass wir uns für das, was um uns herum geschah, zu interessieren begannen und Einfluss nehmen wollten. Wir wurden aktiv, demonstrierten, sammelten Unterschriften auf Petitionen und Referenden, wir politisierten uns.
Irgendwann verschwand die Politik aus dem Lebensalltag. Heutzutage sind die Kinder schon im Bett, wenn die politischen Sendungen laufen. Und am Abend will man sich doch lieber unterhalten lassen als noch über schwierige Themen nachzudenken. Auch am Mittagstisch wird nicht mehr darüber geredet, wer in der Politik welchen Bock geschossen hat. Abgestimmt wird brieflich.
Einfluss der Briefwahl
Die Briefwahl! Deren Einführung, da bin ich ziemlich sicher, hatte einen grösseren Einfluss als man sich das im Voraus vorstellte auf das Abstimmungsverhalten der nachfolgenden Generationen. Denn ein Couvert zum Briefkasten tragen hat einfach nicht diesen symbolischen Gehalt wie das schön Anziehen und an die Urne gehen am Sonntag morgen mit der ganzen Familie. Es fühlt sich schon ganz anders an. Politik ist dadurch nicht mehr zum Anfassen. Keine Tradition mehr. Man erlebt sie nicht mehr.
Deshalb wird meiner Einschätzung nach auch die elektronische Wahl nichts an der hohen Abstinenz der Jungen bei Abstimmungen und Wahlen ändern.
Seit Kurzer auf der Welt ist, haben sein Vater und ich wieder damit angefangen, „richtig“ abstimmen zu gehen: An den Abstimmungssonntagen ziehen wir uns anständig an, polieren die Schuhe und gehen dann zu Fuss mit dem Stimmausweis und dem Stimmzettel in der Hand ins Stimmbüro. Dort zeigen wir unsere Stimmausweise, lassen das verschlossene Stimmcouvert abstempeln und der Kurze darf es dann in die Urne werfen.
Die Feierlichkeit, die von dieser Handlung ausgeht, ist greifbar. Der Kurze spürt, dass das etwas Besonderes ist.
Und wir sind an diesen Sonntagen stolz, und ehrfürchtig, und dankbar, Schweizer Staatsbürger zu sein und über die Gesetze, denen wir uns in der Folge zu unterwerfen haben, mitbestimmen zu dürfen. Denn das IST etwas ganz Besonderes.
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Ãh, was meinst du mit der „Blogparade“? Stehe auf dem Schlauch…. 😉
Ich habe die Kindheit wohl ähnlich erlebt, da insbesondere mein Vater politisch sehr interessiert war, und wir auch immer die Nachrichten am Radio hörten und die Tagesschau am Fernsehen schauten. Und mein Mann und ich sind beide politisch sehr interessiert, und ich bin ja da auch sehr aktiv – und das prägt schon heute unseren Familienalltag mit. Heute morgen fragte Carmen, wann denn die erste Schulkommissionssitzung sei und was wir da zu besprechen haben. Und Nando hat bezüglich der Ukraine schon erstaunlich genaue Fragen gestellt. Wir schauen manchmal die „Kindernachrichten“ auf Kika, die noch gut gemacht sind, wobei ich schon noch viel nacherklären muss, weil unsere ja doch noch klein sind.
Ich habe auch noch nicht viele Abstimmungen verpasst in meinem Leben – aber doch schon die eine oder andere, weil ich grad´ auf Reisen war oder auch mal, weil ich das doofe Couvert verschlampt hatte…… *schäm* Vor Einführung der Briefwahl habe ich auch mal eine Abstimmung deswegen verpasst, weil ich keine Lust hatte, extra zur Gemeinde zur Urne zu gehen. Ich stimme definitiv seit Einführung der Briefwahl viel regelmässiger ab – weil ich auch immer grad´ alles ausfülle und am anderen Tag in den nächsten Briefkasten werfe, so dass eben die Unterlagen auch nicht vergessen oder verloren gehen können….
Hei Käthle, mir gehts ganz ähnlich wie Dir :)! Ich bin zwar nicht wirklich stolz Schweizerin zu sein, aber einfach sehr dankbar und sehe das Wahl- und Stimmrecht bzw die Demokratie auch nicht als selbstverständlich an. Darum ist es für mich selbstverständlich, regelmässig an Wahlen und Abstimmungen, Ausnahmen bestimmen die Regel, teilzunehmen. Jetzt kommt mir doch gerade in den Sinn, dass die beiden Stimmcouverts, das von meinem Mann und das von mir, noch in meiner Handtasche sind. Hei, habe es doch tatsächlich versäumt, diese heute in den Briefkasten zu werden ;). Egal, ob schriftlich oder „altmodisch“, Hauptsache, man stimmt ab und wählt ;)! Ja, tatsächlich stammen Spüche wie „Wer nicht wählt soll sich dann auch nicht beschweren, wenn es nicht in seinem Sinne geht!â von mir :lol:! Ja gopf, wenn man schon dieses Recht hat – ein Recht, das ein Grossteil eben nicht hat und für dessen Kampf viele Leute sterben müssen – dann soll man dieses doch auch wahrnehmen! Schliesslich geht es bei Wahlen und Abstimmungen nicht nur um unsere Zukunft, sondern auch und vor allem um jene unserer Kinder und Grosskinder! Ich bin zwar ganz klar gegen eine Stimmpflicht wie es sie glaube ich in Schaffhausen gibt. Es soll nach wie vor Sache des Einzelnen sein und bleiben, ob er/sie an die Urne gehen will und aktiv mitentscheiden will oder eben nicht. Was meine Kindheit und Jugendzeit anbelangt: doch, diese war auch politisch sehr geprägt. Allabendlich wurde die Tagesschau geschaut, freitags häufig die Arena, die damals glaubs noch „Freitagsrunde“ hiess und auch häufig Radio gehört. DRS1 stand damals hoch im Kurs *kicher*. Zudem wurde auch bei uns diskussiert, nicht auch zuletzt weil mein Vater politisch aktiv war, einer Partei angehörte bzw. noch immer angehört und zuerst sowohl im Stadtrat wie später auch im Grossrat war. Mich hat Politik, aktuelles Weltgeschehen und Weltgeschichte immer, das heisst, seit ich etwa 11/12 Jahre alt bin, sehr interessiert. Es war die Zeit als ich auch regelmässig abends mit meinen Eltern vor der Tagesschau sass, freiwillig, weils mich interessierte, weil ich wissen wollte, was, wo, wie, wieso, warum, weshalb ;)? Ich glaube, ich habe meine Eltern mit meiner Fragerei teilweise halb in den Wahnsinn getrieben :lol:! Zum Glück waren und sind meine Eltern sehr verständnisvoll und haben mir die Fragen IMMER und ohne „dafür bist du noch zu jung“ beantwortet. Mein Grosser (7) fängt bereits jetzt an und hat auch schon Fragen zu Syrien und anderen aktuellen Geschehnissen gefragt. Für mich/uns ist es selbstverständlich, ihm diese so kindgerecht wie möglich zu beantworten. Die Tagesschau schauen sie noch nicht. Da denke ich, sind beide (7 + 5,5) doch noch etwas zu jung und die Brutalität zu krass…
So, die muss die nächste Pendenz in Angriff nehmen: Stimmcouverts absenden ;)!
Ich werde erst mal in Ruhe daüber nachdenken und dann auch versuchen zu bloggen 😉 ich bin nicht ganz deiner Meinung. Aber noch unentschlossen.